Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Zwei Sinn

Der Großraum Nürnberg hat sich zu einer spannenden Region für moderne Küche entwickelt. Im Zwei Sinn lohnt sich vor allem das Gemüsemenü.

Von Josef Wirnshofer

Der Großraum Nürnberg hat sich zu einer spannenden Region für moderne Küche entwickelt. Im Osten der Stadt fährt das Zwei Sinn ein Doppelprogramm: Im einfacheren Bistro werden schon ab mittags französische Klassiker serviert, im Restaurant gibt es abends ambitionierte Hochküche. Lohnenswert ist vor allem das Gemüsemenü, findet unser Autor.

Wer die Äußere Sulzbacher Straße im Nürnberger Osten entlang läuft, denkt eher nicht an gutes Essen. Wie auch, wenn man von schmucklosen Bürogebäuden umgeben ist, in denen Steuerberater, Optiker und Apotheken untergebracht sind. Als Sound dazu: das Rattern der Eisenbahnwaggons am nahen Ostbahnhof. Da denkt man eher an Pizza-Lieferdienste und Sandwich-Ketten.

Und doch: Seit zwei Jahren kommen Menschen des guten Essens wegen hierher. Denn im März 2016 hat Stefan Meier hier sein Restaurant "ZweiSinn" eröffnet. Und schon nach ein paar Monaten zählte das ZweiSinn - neben dem "Essigbrätlein" und dem "Sosein" in Heroldsberg - zu jenen Lokalen, die den Nürnberger Raum inzwischen zu einer außerordentlich interessanten Gegend für moderne Küche machen.

Aufhebens um sich macht man aber zum Glück nicht. Früher war hier ein Lampenladen, der Eingang wirkt unscheinbar. Wie der Name nahelegt, setzt Meier, 33, auf zwei Konzepte: Links vom Eingang liegt das Bistro. Dort serviert er schon mittags französische Evergreens - karamellisierten Ziegenkäse, Beef Tatar, Crème Brulée. Abends öffnet rechterhand dann der Fine-Dining-Bereich, der angenehm schlicht gehalten ist. Sichtbeton-Wände, Holztische, keine Tischdecken, kein brokatschweres Trara.

Wir bestellen zwei Menüs: das "Entdeckungssinn" und das vegetarische "Gemüsesinn". Jeweils vier Gänge (85 Euro). Zum Winzersekt reicht der Service ein paar Kleinigkeiten. Eine deftige Version der Milchschnitte etwa, bei der eine Zwiebelcreme zwischen Biskuitscheiben steckt. Auch die mit Roter Bete eingefärbte Zuckerwatte bewegt sich zwischen deftig und süß. Sie umhüllt ein Stück Blutwurst, die in dieser Kombination ihren Muff ablegt und nahezu filigran wirken darf. Der Gruß aus der Küche macht dann noch vor dem eigentlichen Menü klar, was sich im Lauf des Abends bestätigen wird: dass Stefan Meier vor allem mit Gemüse erstaunlich umzugehen weiß. In jedem Schälchen ruht eine Nocke Rotkrauteis auf griechischem Joghurt, eingefasst von einem Sud aus Rotkrautsaft - das macht allein schon wegen der unterschiedlichen Temperaturen Spaß. Dehydrierte Rotkraut-Chips steuern noch etwas Knusper bei, grandios ist aber das Schnittlauchöl, das dem Ganzen kräuterige Tiefe gibt.

Das Fleischmenü macht dann zunächst einen Schlenker in die französische Klassik: Kalbstatar mit Rauchaal und der Zwiebelcreme, die schon in der Milchschnitte Thema war. Der Rauchaal ist mit Honig und Soja lackiert, das Tatar hervorragend abgeschmeckt mit Limonen- und Olivenöl. Schade nur, dass es das Fleisch hier schwer hat: Unter der Zwiebel und der Umami-Wucht des Aals geht es ziemlich in die Knie.

Der vegetarische Teller ist dann kreative Gemüseküche im besten Sinne: Feldsalat, in Gestalt von geeisten Perlen und als Mousse, das mit Goldstaub zu "falschen Steinen" modelliert wurde. Was pompös klingt, funktioniert schlicht gut: Granatapfelkerne und eingelegte Perlzwiebeln triezen die Lieblichkeit des Salates, Sauerteig-Chips geben den weichen Elementen Halt. Bei der Zwiebelcreme fragt man sich zwar, warum sie schon wieder auftaucht, doch diesmal übertönt sie nichts, sondern rundet den Gang mit erdig-saurem Schmelz ab. Fleisch? Vermisst man hier ebenso wenig im zweiten Gemüsegang, bei dem der Blumenkohl im Zentrum steht. Er ist wunderbar - sowohl als Creme als auch als Röschen mit intensiven Röstaromen. Dazu passen fein gehobelte Kastanienspäne, Brunnenkresseschaum und drei Tupfer Bergamotte-Gel, das feine Säurespitzen liefert.

Das Fleischmenü setzt im zweiten Gang auf einen Klassiker: Surf and Turf, allerdings in ungewöhnlicher Kombination: perfekt gegarte Jakobsmuschel und Kalbszunge. Doch wie beim Tatar ist mancher Begleiter zu dominant, in diesem Fall der frittierte Grünkohl. Darüber tröstet der "ZweiMännerWein" hinweg: ein Sauvignon Blanc vom fränkischen Winzerhof Stahl, der mit komplexer Frucht einen eigenen Akzent setzt in der sonst eher zurückhaltenden Weinbegleitung (40 Euro für vier Gläser).

Auf seiner Webseite schreibt Stefan Meier über sein Ziel, "traditionellen Gerichten neues Leben einzuhauchen". Eine Hochküchen-Floskel, hinter der aber Substanz stecken kann, wie der Hauptgang zeigt: Meiers Secreto vom schwarzen Schwein mit Paprika und Kartoffel ist eine aufgemotzte Variante dessen, was man früher "Zigeunerschnitzel" nannte. Das Secreto, ein grobfaseriges (verdächtig modisches) Stück aus dem Rücken, wurde sous-vide gegart, gegrillt und mit Gelee von Spitzpaprika und gepoppten Schwartenstücken belegt. Funktioniert aber. Schön dazu auch die "Beilagen": samtiger Kartoffel-Schaum, grüne Paprika und Maki-Röllchen aus Sauerkraut.

Während die Gemüseteller bisher durch große Eigenständigkeit glänzten, ja interessanter waren als die Fleischgerichte, ernüchtert der Hauptgang. Auf dem Teller finden sich im Wesentlichen die Begleiter des Secretos, ergänzt nur um etwas Sauerkraut-Schaum. Statt Spannung drängt sich das Gefühl auf, dass irgendwas fehlt. Schade!

Dem tritt das Dessert entgegen. Die Süßkartoffel (als Chips, als Creme und roh mariniert) mit Skyr, Ingwer und Holunder tänzelt nicht nur harmonisch auf der Grenze zwischen warmer Küche und Pâtisserie. Sie wird auch vom Holundersirup herrlich parfümiert. Wer das Zwei Sinn verlässt und wieder die Äußere Sulzbacher Straße entlang läuft, vorbei an den Bürogebäuden, der weiß, dass sich der Weg lohnt. Vor allem wegen Meiers Gemüseküche, die sogar noch etwas mutiger werden darf.

In einem Satz

Das Zwei Sinn ist kein rein vegetarisches Lokal, Nürnbergs Gemüsekompetenz hat es trotzdem wieder ein Stück erweitert.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●○○

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●○

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Quelle:
SZ vom 10.03.2018
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