Amsterdam ist heute eine europäische Schlaraffenstadt, die sich in Sachen Genuss nicht hinter London oder Paris zu verstecken braucht. Und wenn in den bunten Küchen hier die ganze Welt zu Hause ist, dann natürlich auch wegen der langen Vergangenheit der Niederlande als Handels- und Seefahrernation und Kolonialmacht. Panasiatische Einflüsse, ob indonesische Reistafeln, Thai-Suppen, Kimchi oder indische Currys, gibt es fast überall, in Chinatown zwischen Niewumarkt und dem Rotlichtviertel De Wallen wird Peking- und Kanton-Hochküche angeboten. Und darüber hinaus ist in der Stadt auch die Liebe zur französischen Tradition spürbar.
Die niederländische Küche selbst gibt sich indes bescheiden; balkendicke Pommes frites sind Staatsheiligtum, stolz ist man natürlich auf Käse und Matjes aus Holland, auf Snacks wie Kibbeling, Kabeljaufilet im Backteig, oder die in Handarbeit hergestellten, knusprigen Kroketten mit cremiger Kalbsragout-Füllung. Und die beliebten Bitterballen, kleine frittierte Bällchen zum Bier (ursprünglich zum Magenbitter), werden im Streetfood-Hotspot "De Hallen" in jeder Variation angeboten ("Bouillabaisse", "Tom Kha Gai"), auch vom Sternekoch. Grundsätzlich unterscheidet man in Amsterdam nicht groß zwischen Ernst und Unterhaltung, entspannt muss Genuss sein und unprätentiös. Derzeit sind in den Restaurants Mini-Teller mit bezahlbaren Köstlichkeiten besonders beliebt - Tapas, wenn man so will; so kann der Gast mehr probieren.
In diesem Genre ist das "Worst Wijncafè" eine hervorragende Wahl, eine Restaurant-Bar, die Wein zu Wurst serviert. Was banal klingen mag, sich aber rasch als kulinarisches Kleinod erweist. Ein winziger Gastraum mit einfachen Holztischen, viel Kerzenlicht und ein paar historischen Werbeplakaten. Wer Glück hat, ergattert einen der Plätze am Tresen vor der Küchenzeile, vis-à-vis von Koch und Kellner. Im Rücken erstreckt sich ein gläserner Chambrair mit Weinen aus aller Welt, vor allem aus Frankreich und Österreich. 260 verschiedene sind es derzeit, bereits im Sommer wolle man um die 300 Flaschen anbieten, erklärt Sommelier Jop Verhulst stolz und serviert die empfohlenen Apéros: Lillet Blanc mit Orange und Cremant (5,50 €) sowie einen "Cremant Atmospheres" (7 €), auf Basis von Calvados, eine so simple wie anregende Erfrischung.
Nebenan am Tresen richtet Koch Marcel van den Berg die ersten Teller des Abends an. Es duftet würzig, und die Wahl aus der ungewöhnlichen Speisekarte fällt schwer. Mit den Weinen ist es einfacher, man muss sich nur in die Hände von Jop Verhulst begeben, der zur Stockfisch-Brandade (11 €) ein Glas frische Weißwein-Cuvée aus den Cevennen einschenkt: Der Domaine de Tarverna (4,50 €) aus Ugni blanc, Sauvignon Blanc und Chardonnay ist trocken, mineralisch und perfekt zum cremigen Stockfisch, der mit geröstetem Landbrot und Essiggemüse serviert wird. Es folgt ein Rillette aus zartem Schwein im eigenen Schmalz mit gelben Möhren und Roten Beten (8,50 €). Knackig gepickelt ist das Gemüse mit einer deutlichen Weinessig-Note, das passt hervorragend zur cremig-fetten Rillette. Dann kommt die Kreeftenworst, eine "Wurst" aus weißer, luftiger Fischfarce mit Krebs- und Hummerfleischstücken und einer duftenden Hummersauce (15 €). Die formgebende Wurstpelle ist beinahe zu rustikal für dieses hochelegante Gericht, aber wer wollte hier jammern!
Zur saftigen Fenchel-Bratwurst gibt es in Butter geschmortes Gemüse aus Fenchel und abgezogenen Kirschtomaten, dazu eine tomatige Jus, leicht pfeffrig (10 €). Nur vier Komponenten auf dem Teller, aber ganz Frankreich auf der Zunge und dankenswerterweise auch im Glas: Der 2001 Château de Villeneuve, Saumur Champigny von der Loire (7 €) ist ein Glücksfall für die fleischigen Hauptgänge. Seine krautige Würze, das Aroma von schwarzen Beeren und ein Hauch von Holz machen ihn samtig. Er passt zum Pied de chochon, zartes Fleisch vom Schweinsfuß, eingeschlagen in ein weißes Schweinenetz, das beim Braten schmilzt und eine papierdünne, knusprige Haut bildet (16 €).
Aus den tönernen Töpfen, die auf dem Kochtresen stehen und mit fermentierten Gemüsen, geschmorten Pilzen, Artischocken und anderen Beilagen gefüllt sind, wählt man die Beilage selbst. Zum Beispiel cremiges Gemüse aus dicken, grünen "Saubohnen" und weißen Cassoulet- Bohnen mit würziger Jus. Der Coleslaw ist eine Empfehlung; untypisch leicht und zitronig, bringt er erstaunliche Frische auf den Teller. Unterdessen schaut der Chef vorbei; Kees Elfring gehört auch das Restaurant Marius nebenan, wo es nur ein täglich wechselndes Viergang-Menü gibt. Elfring hat Käse dabei: französische Klassiker, und einen gereiften Gouda, der ohne den üblichen, Plastiküberzug (Coating) reifen durfte. Brüchig wie alter Parmesan, im Mund cremig, im Geschmack üppig, mit einem Aroma von Currypulver und getrockneten Birnen. Erstaunlich, von welcher Qualität Gouda sein kann! Dazu gibt es ein beeriges Schwergewicht aus Italien, Caudium Aglianico von der Masseria Frattasia (6 €) - der beste Beweis dafür, dass der zuletzt etwas in Verruf geratene Rotwein zum Käse (besser seien halbtrockene Weißweine, rät der Zeitgeist) seine Berechtigung hat.
Für Konventionen ist aber eh kein Platz im kulinarischen Amsterdam, das sich nur Zweierlei verschrieben hat: besten Produkten und Vielfalt. Gibt es ein köstlicheres Rezept?