Lokaltermin:Wirtshaus Meyers Keller

In Biergarten und Gaststube gibt es gehobene Landhauskost, im Hinterzimmer Fine Dining. Alles gut in Nördlingen!

Von Marten Rolff

In der Gourmetküche wechseln Trends und Köche immer schneller. Wie beruhigend, dass es noch Orte gibt wie das Wirtshaus Meyers Keller in Nördlingen, findet unser Autor. Hier steht der Chef seit mehr als 30 Jahren am Herd: In Biergarten und Gaststube gibt es gehobene Landhauskost, im Hinterzimmer Fine Dining. Alles gut!

Wir brauchen wieder mehr Köche, die aus dem Bauch heraus handeln. Nicht solche, die erst nach dem dritten Businessplan loslegen, nach Abwägen aller gängigen Moden, Aufstellen einer Regional-Charta oder nach Tipps vom Storytelling-Berater. Das alles mag seine Berechtigung haben, nur fehlt es da eben schnell an ein paar für das Gastgewerbe besonders wichtigen Soft Skills: an Herz, Überzeugung und ja - auch an einem Quäntchen Wahnsinn.

Joachim Kaiser vom "Wirtshaus Meyers Keller" in Nördlingen im Landkreis Donau-Ries ist so ein Überzeugungstäter, der gern mal gegen die Regel handelt. Wenn er zum Beispiel findet, er braucht einen eigenen Culatello, dann macht er eben einen. Nun ist dieser edle, in der Schweineblase gereifte Schinken eigentlich eine rare Spezialität aus der Gegend von Parma. Es geht um schwarze Schweinerassen, Eichelmast, komplizierte Edelschimmelkulturen. Kaiser ficht das alles nicht an. Er ließ sich das in Italien genau erklären, experimentierte über Jahre; erst mit Ries-Schweinen (zu mager), dann mit Schwäbisch-Hällischen, mit Luftfeuchtigkeit und Kellerlagerung. Am Ende serviert er - als Amuse-Gueule zu Rotwein- und Nussbutter und hausgemachter Focaccia - einen Schinken, dessen hochfeiner Geschmack seinesgleichen sucht. Rieser Culatello Riserva. Auch so geht übrigens Regionalküche!

Kaiser ist am Herd ein Langstreckenläufer, der mit 21, nach der Hotelfachschule und ohne jede namhafte Küchenstation, ins Wirtshaus der Eltern zurückkehrte, dessen Stil irgendwann sanft in Gourmet-Richtung trieb und stetig weiterentwickelte. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert gab es dann den ersten Stern, was den langen Atem des Chefs wohl am außenwirksamsten unterstreicht. "Kreativküche" nennt er sein Gourmetprogramm, das mag abgegriffen klingen und so wenig konkret wie die meisten solchen Label. Andererseits: Hier trifft es endlich mal zu. Denn ist der Koch von einer Idee überzeugt, dann hält er sich nicht mit Denkverboten auf, sondern bringt beherzt zusammen, was für ihn zusammengehört.

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Herrje, Hummer und Seeigel, Languste, Rochen und Rotbarbe in einem Restaurant am Rand der Schwäbischen Alb? Ganz richtig. Der Küchenchef liebt Meeresfisch und lokale Produkte. Zartbesaitete Regionalpuristen, die bei diesem Menü die Stirn runzeln, dürfte Kaiser schon mit dem letzten Amuse-Gueule auf Kurs bringen: Bouchot-Muscheln (eine fleischige, in der Bretagne am Pfahl gezüchtete Miesmuschel) im Austernsud, der durch einen Spritzer Kernöl erstaunlich an Komplexität gewinnt. Am Ende sind die Regeln in der Küche ja einfach: Erlaubt ist, was so gut schmeckt.

Das alte Wirtshaus liegt auf einer bewaldeten Anhöhe, vom romantischen Biergarten aus blickt man über Nördlingen und das Ries. Im Vorderhaus liegt die Gaststube (feine Landküche), dahinter ist ein kleiner Fine-Dining-Bereich angegliedert; alles, von den weizenfarbenen Dielen über die vielen Kerzen, die weiße Tischwäsche bis zu den antiken Holzmöbeln, atmet diese schnörkellose Gemütlichkeit guter Landgasthäuser und trägt doch überall die Handschrift der Gastgeber. Das Menü ist frei kombinierbar (sechs Gänge zu 125 Euro, neun zu 159 Euro, die Weinbegleitung neun Euro pro Glas), der Service angenehm unkompliziert: schnell, herzlich und - leider in der Gourmetküche keine Selbstverständlichkeit - dabei nie übergriffig.

Der erste Gang, Tarte Tatin vom Sellerie, zeigt dann, warum Kaisers transparente Produktküche auch Regionalfans überzeugt. Das karamellisierte Gemüsetörtchen steht im Sud von geröstetem Roggen, so verliert die Knolle etwas von ihrer erdigen Behäbigkeit, in süßer und malziger Begleitung darf sie fast frisch und leicht wirken, so klar und nachvollziehbar lässt sich Spannung erzeugen. Als zweite Vorspeise kommt ein gut austariertes Mandarinen-Paprika-Süppchen, dessen bittere Fruchtigkeit den zart marinierten Lachs dazu allerdings ein wenig stürmisch umarmt, die Seeigelemulsion ist da fast Makulatur.

In einem Satz

München orientiert sich bei Ausflügen gern gen Süden, dieses Wirtshaus ist ein Grund, mal nach Norden zu fahren.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●○

Bei Fisch und Schalentieren ist dieser Koch forsch bis furchtlos; der Hummer wird derart rustikal angefasst, dass keiner ihn hier mit einer Vergangenheit als tellergewordenes Luxusklischee in Verbindung brächte. Das ausgelöste Fleisch thront auf Blaukraut und einem fruchtigen Spiegel aus Rogensud, dazu gibt es Blutwurst, gehobelt und als Brioche. Ein Hummer, der in einer deftigen Bauernwirtschaft Belle de Jour spielt. Kein gefälliger Gang, aber er funktioniert. Die tadellos auf der Haut gebratene Rotbarbe (zu mariniertem Fenchel) wird eleganter begleitet, von einer Sauce aus weißer Schokolade und Safran, samtig durch Risotto-Reis, sehr schön! Und der gegrillte Langostino kommt schließlich standesgemäß mit Périgord-Trüffeln (und rohen Champignons), wobei ihm fermentierter Knoblauch mit Anflügen von Rauch, Lakritz und Karamell ein angemessenes Geheimnis verleiht.

Das Roastbeef von der Färse zu Schalotten auf einem für das Fleisch zu tonangebenden Gulasch-Jus hält da nicht ganz mit. Absolut glücklich macht dagegen die gegrillte Entenmastleber, serviert mit Lauchöl und Sud aus Mönchsbart, ein Salzpflanzengemüse, das man wiederum eher zu Fisch erwartet. Doch diese Melange aus kross, cremig und flüssig, aus grasig, süß, säuerlich und salzig ist so perfekt wie der Riesling dazu (2015 Hattenheimer Schützenhaus von Georg Müller). Um die Weinbegleitung kümmert sich - so kundig wie unprätentiös - Gastgeberin Evelin Kaiser.

Zum Ende bleibt nur Zeit für drei Tipps: Die Desserts hier lohnen (Käsekucheneis im Haselnusskeks mit Zitronentatar), aber nicht ganz so wie der fulminante Käsewagen, der im Restaurant ja leider heute vom Aussterben bedroht ist. Und auch die Gaststube der Kaisers ist einen Besuch wert. Nach einem so butterig krossen wie zarten Kalbsschnitzel wie hier muss man jedenfalls lange suchen. Völlig geerdete Küchenkunst, die nicht zu unterschätzen ist.

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