Lokaltermin:Voit

Documenta-Besucher, die erschöpft und hungrig sind, sollten ins Voit gehen. Dort gibt es eine feine, leichte Küche. Perfekt nach der schweren Messe-Kost.

Von Jutta Göricke

Die Documenta in Kassel lädt sich gern Spitzenköche ein und hat schon mit allerlei kunstsinnigem Gastroklimbim von sich reden gemacht. Erschöpfte Messebesucher, die abends gern noch einen Happen essen würden, berücksichtigt die Planung dagegen nicht. Unsere Autorin rät zu einem Besuch im Voit. Dort gibt es eine so feine wie leichte Küche, die ganz ohne Großmäuligkeit auskommt. Schmeckt übrigens auch ohne Documenta!

Kassel und Kochkunst? Da war doch was. Richtig, Ferran Adrià, weltberühmtester Kochkünstler, hat 2007 für die Documenta gewirkt, als erster Koch überhaupt. Allein, wer in den Genuss seiner Laborkost kommen wollte, musste sich ins "El Bulli" begeben, dem inzwischen geschlossenen Stammhaus des Künstlers an der Costa Brava. Ausstellungsmacher Roger Buergel hatte das Restaurant damals kurzerhand zur Außenstelle der weltweit bedeutendsten Präsentation zeitgenössischer Kunst erklärt - und daselbst täglich zwei Gäste ausgewählt, die sich die gekochten Exponate einverleiben durften, am Meer, unter spanischer Sonne. Manche der Happy Few von vor zehn Jahren erzählen angeblich bis heute von diesem Erlebnis, nun ja.

Seit damals gilt zumindest als amtlich, dass Essen manchmal Kunst sein darf. Doch ganz ehrlich: Wer auf dem Ausstellungsgelände würde ernsthaft von Molekularküche träumen? Die Künstlerszene gilt nicht wirklich als Fine-Dining-affin und auch der gestandene Documenta-Besucher hat da ganz andere Probleme. Nach stundenlangem Abarbeiten der künstlerischen Kritik am Postkolonialismus in Afrika und an der eurozentrischen Weltsicht braucht man hier vor allem etwas Ordentliches zwischen die Zähne. Nun ist zwar bei der Documenta immer viel von Gastrokonzepten die Rede, die angeblich auf die aktuelle Ausstellung abgestimmt sind. Doch die wenigen Angebote machen natürlich um acht Uhr abends dicht. Am Ende stolpert der Besucher dann halb verhungert an Papp-Pizza-Ständen und kubanischen Messebars (heute leider auch geschlossen!) vorbei und erfährt einmal mehr: Zwischen Fast-Food und Ferran Adrià klafft hier ein ähnlich großes Loch wie aktuell in seinem Magen.

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Doch es gibt Hoffnung. Denn Kassels Gastronomie hat aufgerüstet, zumindest haben wir eine vielversprechende Empfehlung: Im "Voit", eröffnet im Herbst 2014, kocht Sven Wolf, der zuvor im viel gelobten Hamburger "Lokal 1" am Herd stand. Es geht um feine Produktküche, asiatische Einflüsse, kohlenhydratarme Gerichte und Purismus. Ähnlich klar ist die Einrichtung: moderner, aber gemütlicher Bistrostil, warmes Licht, offene Küche und Platz für 40 Gäste. Ja, hier will man gern sein. Und schon eilt der nette Service herbei, reicht Winzersekt, hausgemachtes Roggenknäcke und einen Gruß aus der Küche: gegrillter Blumenkohl, gegart in Dashi, japanischem Algensud. Herrlich!

Die Karte ist erfreulich übersichtlich, auf dem Programm stehen Thementeller: Wasser, Weide, Käse, süß. Wir starten mit Jakobsmuscheln und Tatar vom Biorind - und sind erfreut über die Wahl: Die Jakobsmuscheln, perfekt gebraten, sind ansehnlich auf Erbsenschaum angerichtet, gekrönt von einer knackigen Sepiahippe. Das Ganze für sehr faire zehn Euro. Das Tatar ist regelgerecht fein gehackt (nicht etwa durch den Wolf gedreht!). Zu den klassischen Zutaten wie Kapern und rote Zwiebeln kommen Radieschen, rosa Champignons und - sehr schön - Tupfer von Guacamole mit feiner Knoblauchnote. Ein kräftiges Kresseblatt sorgt für Stimmung, genau wie der fruchtige Kontrast durch das grasige Olivenöl (16 Euro).

In einem Satz

Der Koch hier wirbt mit kohlenhydratarmer Küche, und wenn es so gut schmeckt, dann geht das völlig in Ordnung.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●●●○

Weiter geht es mit Ikarimi-Lachs: Der ist auf den Punkt gegart, umgeben von Gurkenröllchen, Gurkenrelish, Melone und Miso, prima (17 Euro). Der Adlerfisch hier ist geradezu herausragend. Geschmacklich erinnert er an Iberico-Schwein, was durch das Süßkartoffelpüree, die bissfesten Bohnen und eine gekochte Kirsche klug unterstützt wird. Bekräftigt wird das Ensemble durch schwarze Olivenringe und eine dunkle Sauce, die ihre Süße einem feinen Tomatenmark verdankt (18 Euro).

Zeit für eine Zäsur, die durch ein Sanddornsorbet in grünem Dillöl markiert wird. Sieht aus wie ein schön-befremdliches Spiegelei und erfreut als säuerlich-herbes Zwischenspiel. Eigentlich sind wir schon zufrieden, dabei steht der Höhepunkt noch aus: Kalbstafelspitz, bei 57 Grad Sous-vide-gegart und so präzise gebräunt, dass er eine schöne Kruste hat. Sous vide ist ja mittlerweile etwas inflationär genutzt. Nicht selten produziert diese Technik labbrige Langeweile. Doch dieses Fleisch hier ist eine kleine Offenbarung, die mit wildem Brokkoli, Pfifferlingen und grünem Spargel angerichtet ist, umgeben von Morchelschaum. Das Selleriepüree dürfte weniger gebuttert sein. Doch nach einem solchen Tafelspitz wird man selbst in Österreich oder Bayern lange suchen müssen (32 Euro).

Der Abschluss ist süß - und eine runde Sache: Erdbeersorbet mit Schokocrossie und getrockneten Aprikosen (10 Euro). Bleibt zu sagen, dass der frische und zart aprikosige Grauburger von Mans, Rheinhessen, alle Gänge gut begleitet hat. Man empfindet es heute ja fast als angenehme Ausnahme, wenn so gute Küche so wenig großmäulig daherkommt wie im Voit: Alle Gerichte sind getragen von professioneller Leichtigkeit. Schön auch, dass das Lokal mit der Documenta nichts zu tun hat. Es darf auch als Empfehlung gelten, wenn die Ausstellung Mitte September ihre Pforten wieder geschlossen hat.

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