Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Tulus Lotrek

Lesezeit: 3 min

Doch, das gibt es: Schlagfertiger Service, der nicht nervt, und eine junge Sterneküche, die nicht mehr möchte als ein rundum gutes Bauchgefühl beim Gast.

Von Max Scharnigg

Das Tulus Lotrek in Berlin-Kreuzberg gilt als besonders unverkrampftes Sternerestaurant. Ein Ruf, den die humorige Homepage zu bestätigen schien. Max Scharnigg fürchtete sich deshalb ein wenig vor dem Besuch, wer hat schon Lust auf witzige Gerichte, witzelnde Kellner oder singende Köche? Am Ende war die Angst aber unbegründet und der Abend unverkrampft großartig

Ein bisschen Angst macht die Homepage des Tulus Lotrek, weil es da humorig zugeht und lockere Sprüche geklopft werden. Nichts fürchtet man ja insgeheim so sehr wie ein "witziges" Restaurant oder einen singenden Koch, zumal in Berlin-Kreuzberg. Aber es wird dann alles ganz anders, das warmleuchtende, kleine Restaurant in der ruhigen Fichtestraße empfängt seine Gäste wie ein Gentleman. Quatsch, es sind vor allem die Gastgeber-Damen, die dem Laden von Beginn an Charme einhauchen. Nicht die gefürchtete Schnauzigkeit, sondern ein wirklich herzlicher, zugewandter Service herrscht hier, der zu dem lässigen Saloncharakter des Restaurants passt. Gutes Licht, tolle Tapete, angenehmes Sitzen in mehreren Zimmern und mit viel Luft zum nächsten Tisch, das sind die atmosphärischen Grundlagen, die hier richtig Lust auf das Essen machen.

Das Menü (ab 99 Euro) beginnt an diesem Abend mit einer Jakobsmuschel in einer extrem üppigen Kalbskopf-Reduktion, sensorisch angespitzt mit Kaviar von der Pomelo. Ein klassischer Teller von großer Vollkommenheit, der auch den leicht französischen Wind anzeigt, der aus der Küche weht. Es ist eine Freude, hier zu sitzen und zu fühlen, wie sich langsam eine wohlwollende innere Kalbskopf-Wärme ausbreitet. Das Wohlgefühl gilt in gleicher Deutlichkeit für den Steinbutt auf einer Beurre Blanc, die mit zarten Anklängen von Lauch abgeschmeckt wurde. Die Qualität des Fisches ist exzeptionell, er wird von der Beurre vollmundig umschmeichelt und hat trotz des simplen Arrangements Geheimnisse, die man ihm, Gabel für Gabel, gerne entlocken möchte. Der noch etwas frische 2017 Sauvignon Blanc vom Weingut Knewitz (0,1 zu 6 Euro) war vielleicht nicht die würdevollste Empfehlung für dieses Ereignis, ist aber auch nicht verkehrt. Die zwölf Euro Sondergebühr für den Kaisergranat-Gang wären danach nicht unbedingt nötig gewesen, der Krebs in hellem Bouillabaisse-Sud ist gut, hat es nach dem Steinbutt aber schwer, noch eigene Akzente zu setzen.

Koch Max Strohe, der hier die Teller schickt, hat es zwischenzeitlich als Gast in Tim Mälzers Show "Kitchen Impossible" zu einiger Bekanntheit gebracht. Dem Fernsehpublikum wurde der angenehm zurückhaltende 37-Jährige dabei nicht nur als Haute-Cuisine-Autodidakt, sondern auch als lockerster Sterneträger der Hauptstadt vorgestellt, was angesichts der wirklich heiteren Umgangsformen hier im Restaurant sicherlich erst mal stimmt. Andererseits sind seine Teller eben gerade nicht eine verrückt urbane Quereinsteiger-Show, sondern angenehm strenge Besinnung auf das Bauchgefühl.

Strohe kocht eigentlich wie ein alter Sterne-Hase, der nichts mehr beweisen muss. Oder zumindest wie einer, der nur kocht, was er sofort selbst gerne essen würde. Tintenfisch, Lorbeer und Eierstich in intensiver Ochsenschwanz-Consommé ist gleich wieder so ein Gang. Mit einfachen Zutaten sorgt er am Tisch für eine geradezu unerhörte Szene, ist aufregend und tiefsinnig. Jede einzelne Geschmacksspur ist auf dem Löffel klar zu riechen und zu schmecken, und trotzdem ist das alles als Gesamtpaket am Gaumen noch mal neu. Ein Wort zum gereichten Brot, das mit einer perfekten Ehe aus hellweicher, elastischer Krume und herzhafter Kruste protzt. Es stammt nicht, wie zunächst unterstellt, aus einer Berliner Hipsterbäckerei, sondern wird aus Mittelfranken importiert, vom dort praktizierenden Brotphilosophen Arnd Erbel. Erbel bietet seine Brote für Privatkunden zum Fertigbacken zu Hause an, und wenn das Ergebnis dabei nur annähernd so wird wie im Tulus Lotrek, darf man ausnahmsweise ein Loblied auf den Versandhandel anstimmen.

Es ist bemerkenswert, dass Max Strohe auch ein autarkes, vegetarisches Menü kocht, das sich ebenso bauchintelligent liest (Dashi-Rettich mit Senfsaat oder Portobellos mit Nougat und Honig). Vegetarier verpassen aber den Ententeller. Die vorausgehenden Gerichte haben ja schon gezeigt, dass Strohe am liebsten mit kräftigen Tönen zart malt. Das geht mit seiner Ente aus Challans auch sehr gut, er überlässt der sagenhaften Fleischqualität die ganze Bühne und gibt nur Stichworte - mit einer Soße aus Goldsaft und Curry etwa, die das Letzte aus der Entenbrust herauszaubert. Balsam, Baby! Danach ist der ganze Abend in Goldsaft getaucht, und man selbst geneigt, das Dessert gegen ein Glas Portwein zu tauschen, um weiter an die Ente denken zu können. Aber das wäre ein Fehler, denn die gegrillte Ananas, abgelöscht mit Cuaté-Rum und begleitet von einem schleckfeinen Safraneis, ist noch mal ein angenehm ungeläufiger Abschluss. Große Rum-Aromen, viel Süße und das herbe Eis - Dessert für Menschen, die eigentlich kein Dessert mögen, in einem Feinschmeckerrestaurant für Leute, die eigentlich keine Feinschmecker mögen.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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