Lokaltermin:Schöne Überraschung

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Dosenfisch hatte lange nicht den besten Ruf. Delikatesshändler und Marketingmenschen haben das Image der Jahrgangssardine aufgebessert. In der Berliner Sardinen-Bar wird nun alles aus der Konserve serviert. Noch ein Hipster-Trick?

Von Fabienne Hurst

Es klingt schon ein bisschen absurd: Dosenfisch im Restaurant. Als ginge man im Strandurlaub ins Solarium oder auf einen Punsch in die Weinbar. Doch seit vergangenen Oktober serviert der gelernte Koch Thomas Vetter in seiner Sardinen- Bar in Berlin tatsächlich Fischkonserven - und bekam dafür viel Aufmerksamkeit. Die Medienbeiträge waren aber eher dem Phänomen gewidmet, Tenor: "Das etwas andere Restaurant". Es ging also um die Story, nie ums Essen. Doch wie schmeckt es nun in Berlins eigenwilligstem Fischlokal? Ist die Dosennummer nach dem Haferbrei-Café und der Cookieteig-Eisdiele nur der nächste kulinarische Hipster-Gag?

Nun klingt Vetters Wortschöpfung "Feinkostbistro" ja nicht wirklich hip. Eher nach pelzbesetzten Westberliner Bildungsbürgerinnen, die seit Jahrzehnten im selben Delikatessgeschäft Kapern und Portwein kaufen. Und erfreulicherweise liegt der Laden im unaufgeregten Schöneberg, also weit weg von den geklonten Weinbars in Neukölln und Kreuzberg mit ihren Einweckgläsern und ungelüfteten Sperrmüllsofas. Die Sardinen-Bar indes ist angenehm luftig und puristisch. Wenige Holztische, unverputzte Betonwände zu goldfarbenem Gründerzeitstuck - ein netter Kontrast. Herzstück der Bar ist eine Theke vor Weinregalen voller Flaschen und Dosen. Und aufs Wesentliche konzentriert sich auch die Speisekarte: Fisch in Dosen, Salat, eine Brotzeitplatte für Fischverweigerer, fertig. Alle Spezialitäten bezieht der Flensburger Vetter aus dem Geschäft seiner Schwiegerfamilie, der Delikatesseninstitution Maître Philippe et filles.

In roter Schürze und Schiebermütze erklärt Vetter jedem Gast sein Bar-Konzept, das er sich in Lissabon abgeguckt hat. Denn in Portugal, Spanien und Frankreich haben Sardinen nicht nur Tradition, sondern regelrecht Kultstatus, spätestens seitdem Firmen wie La Belle Iloise oder José Gourmet die schick designten Dosen in Flagshipstores in Szene setzen. Darin: ausschließlich Fische und Öl von hoher Qualität, die mit dem pampigen Inhalt staubverklebter Büchsen aus dem untersten Supermarktregal nichts zu tun haben. "Enlatado" - die Konserve ist auf der Iberischen Halbinsel ein allgemein akzeptiertes Konzept für eine Tapas-Bar.

Beim Blick in die Karte droht zunächst Überforderung: 31 Sorten Sardinen, 14 verschiedene Makrelenvariationen, zwölf Mal Thunfisch und dann auch noch Oktopus, Tintenfische in eigener Tinte, Austern, Stockfisch, Sardellen und Muscheln. Von Fisch in purem Olivenöl über Varianten mit Weißwein, Rosmarin, Oliven und Chili, geht es bis hin zu Wasabi, Trüffel, Chorizo, Zwiebeln und Bayonner Schinken. Einen guten Leitfaden bietet deshalb das Degustationsmenü: drei Dosen für zwei Personen aus einer Vorauswahl, dazu eine Weinbegleitung und verschiedene Salate für 36 Euro pro Gast. Oder man lässt sich direkt vom Chef beraten. Vetter gerät ins Schwärmen, wenn er von der Sardine erzählt, diesem herausragenden Lebensmittel, weil weder in Massenställen gezüchtet noch mit Antibiotika verseucht. Und überhaupt: Omega-3-Fettsäuren, schonend zubereitet in traditionellen Familienbetrieben - mit der Liebe zur Dose, so viel ist klar, kann man es heute weit treiben. Ja, Vetters Leidenschaft treibt hier sogar Sardinen-Skeptiker zum Blick in die Karte.

Wir starten mit einer sogenannten Jahrgangssardine. Die wird nur von Mitte bis Ende September gefangen (dann hat sie sich schön fett gefressen)und direkt in kaltgepresstem Olivenöl eingelegt. Wie Wein wird sie mit den Jahren intensiver und wertvoller, so kosten die Konserven auf der Karte zwischen acht und 20 Euro. Serviert wird direkt aus der Dose, hübsch angerichtet auf einem Holzbrett mit passgenauen Mulden. Die 2015er Sardine für 12,50 Euro ist bereits wunderbar mürbe und schmeckt am besten auf einer frischen Scheibe Weißbrot. Und der empfohlene Alento Branco (2016), ein Weißwein aus dem portugiesischen Alentejo, ist tatsächlich als Begleitung sehr passend. Mineralisch trocken und frisch gleicht er die Schwere der zwar nicht dumpfen, aber doch zwangsläufig ziemlich öligen Tapas gut aus.

Weiter geht es mit ausgefalleneren Kreationen: Die nachhaltig geangelten Bonito-Filets haben einige Zeit mit zwei Stückchen Süßkartoffeln auf engstem Raum verbracht. Das ist geschmacklich interessant, aber leider etwas trocken. Der zarte Oktopus in Tomatenöl harmoniert schön mit dem Kichererbsen-Koriander-Salat. Eine echte Entdeckung aber sind die fleischigen Miesmuscheln, die in würziger Marinade aus Chili und Knoblauch eingelegt sind. Davon bitte zwei Büchsen zum Mitnehmen.

Bei aller Dosenliebe: Das hier ist kein vollwertiges Abendessen, eher ein zwangloses, spontanes Durchschnabulieren zu wirklich sehr gutem Wein in angenehmer Atmosphäre. Mit Heißhunger sollte man hier nicht auftauchen, denn - ganz ehrlich - niemand will sich an Ölsardinen satt essen. Schließlich heißt es nicht Sardinen-Restaurant, sondern Bar. Fest steht: Vetters Begeisterung für das Produkt ist ansteckend und macht Lust, neue Geschmacksrichtungen auszuprobieren. Ob man das nächste Partybüffet deshalb gleich mit Jahrgangssardinen bestreiten muss, ist eine andere Frage.

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