Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Schmeckt schwäbisch!

Typische Küche aus dem Ländle? Spätzle und Maultaschen, klar. Aber so gut hat sie unser Kritiker selten gegessen wie in der Stuttgarter Weinstube Kochenbas.

Schon bei der telefonischen Reservierung wird man auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen: Einen Tisch könne man nicht reservieren, aber gerne einen Platz. Denn Tische gibt es in dem Stuttgarter Traditionslokal "Kochenbas" nur zehn, die Zahl der Plätze dagegen kennt niemand genau, die ist jeden Tag anders. Je nach Geselligkeitsfaktor und Körperumfang passen eben mehr oder weniger Menschen auf Stühle und Eckbänke. Voll ist die "Kochenbas" (auf Hochdeutsch so viel wie "Die kochende Cousine") aber immer, mittags wie abends, obwohl die Wirtschaft nicht mal ein Eingangsschild hat. Nur eine Art Stalllaterne der Brauerei Dinkelacker lässt erahnen, dass sich hinter der Fassade eine wie auch immer geartete Aufnahmestation für Essen und Trinken befindet.

Und was für eine! Weinstuben wie diese gibt es auch in der schwäbischen Landeshauptstadt nur noch wenige. Deshalb wird die Kochenbas an manchen Tagen regelrecht überrannt - von Einheimischen wie Auswärtigen. Vorsicht beim Eintritt, die Decken hängen tief. Aber der Kopf ist hier nicht so wichtig, um den Bauch geht es. Der will schließlich gefüllt werden mit Gerichten, die schon so schmeckten, als alles noch so war, wie es immer hätte gewesen sein sollen. Also wie immer.

Wir Schwaben sind schon lustig. Was sich in der Kochenbas daran zeigt, dass sich jeder hier die Speisekarte reichen lässt, obwohl die sich seit Jahren nicht geändert hat und jeder Stammgast sie auswendig hersagen kann. Vielleicht guckt man hier aber auch nur so interessiert hinein, um sich zu vergewissern, dass alles beim Alten geblieben ist. Was wechselt, ist lediglich die Tagessuppe und die ist an diesem Tag eine Offenbarung und Enttäuschung zugleich. "Rinderkraftbrühe mit Maultasche" (4,90 Euro). Großartig ist die geklärte Fleischbrühe, leider recht geizig allerdings die Beigabe, die aus drei dünn geschnittenen Maultaschenscheiben besteht.

Brühe ist hier auch die Basis eines Hauptgerichts ("Gaisburger Marsch"), das selbst urschwäbische Lokale nur noch selten anbieten. Ein Gericht, das durch seinen Reichtum an Kohlehydraten ebenso berühmt wie berüchtigt ist. Der nach einem Stadtteil von Stuttgart benannte Eintopf soll seinen Namen einer Tradition württembergischer Offiziere verdanken, die von der Kaserne gerne in Marschordnung ins nächste Wirtshaus einrückten, um sich mit eben diesem Gericht für den nächsten Einsatz zu stärken. In der Kochenbas wird der "Gaisburger Marsch" (10,80 Euro) in Vollendung zubereitet: Spätzle, Kartoffeln, mageres Rindfleisch vom Tafelspitz und Gemüse werden getrennt voneinander gekocht und am Ende in eben jener klaren Brühe serviert, deren Kraft auch dem Zivilisten sofort in Fleisch und Blut übergeht.

Inzwischen ist man mit den Tischnachbarn einigermaßen bekannt, als Treffpunkt für Zweisamkeit ist die Kochenbas jedenfalls denkbar ungeeignet. So weiß man bereits, dass der ältere Herr gegenüber ein "kleines Lädle" besessen hat, was sich bei genauerem Nachfragen wohl als maßlose Untertreibung eines Mittelständlers herausstellen würde. Da spricht man doch lieber über die Qualität des Kartoffelsalats, der, so die einhellige Meinung, nirgends auf der Welt besser schmeckt als hier. Und das liegt daran, dass er, so sagen sie hier, "verheiratet" ist mit Endivie, deren säuerliche Marinade sich mit dem schlonzigen Salat aus herrlich speckigen Kartoffeln aufs Wunderbarste ergänzt.

Service und Küchenbesetzung in der Kochenbas sind, was die Frauenquote angeht, hundert Prozent reziprok zu jener im Vorstand schwäbischer Autohersteller. In der "Weiberwirtschaft", wie sie liebevoll genannt wird, steht neben der Theke ein großer Kanonenofen, der aber nur selten angeheizt werden muss, weil die Nähe zum Sitznachbarn und die niedrige Decke die besten Energiesparmethoden sind. Nun wird der Sauerbraten (16,20 Euro) gebracht, ebenfalls ein schwäbischer Küchenstandard, dessen Fleisch aus der Hochrippe stammt und dadurch trotz seiner langen Schmorzeit noch bissfest bleibt.

In einem Satz

Wer in Stuttgart wirklich authentisch essen will, ist in der Kochenbas richtig, auch wenn die Spätzle selbst selbst hier nicht mehr handgeschabt sind.

Qualität: ●●●○○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●●●●

Aber was ist das? Alle Augen am Tisch starren auf die Spätzle, die, neben dem Kartoffelsalat, das Maß aller Dinge in einer schwäbischen Wirtschaft sind. Sie wurden eindeutig nicht mit der Hand geschabt, sondern mit der Presse ins Kochwasser gedrückt. Das erkennt man an der gleichmäßigen Form. Ein Fauxpas, denn nur handgeschabte Spätzle bekommen durch ihre Ungleichmäßigkeit das notwendige Außenvolumen, um ein Maximum an Sauce aufzunehmen. Das wird zwar mit einer knusprigen Röst-schmelze aus Butter und angebratenen Semmelbrösel auf den Spätzle einigermaßen wettgemacht, hinterlässt in der Schwabenseele aber doch einen kleinen Stich, den man am besten mit einem Viertele Gipskeuper Trollinger vom Weingut Aldinger (5,60 Euro) runterspült.

Versöhnlich stimmt aber dann die Nachspeise, die eine subtile (und etwas dreiste) schwäbische Vereinahmung des ewig gleichen Tiramisu (5,90 Euro) ist. Das stammt nun wirklich nicht vom Neckar, wird hier allerdings sehr schön variiert. Als Basis der Creme dient in der Kochenbas das "Wibele", ein Gebäck, das zwar ebenfalls aus Biskuitteig besteht, aber crunchiger ist und eher an Russisch Brot als an klassischen Löffelbiskuit erinnert. Der Klassiker wird dadurch tatsächlich abwechslungsreicher. Da nickt sogar der ältere Herr gegenüber gefällig mit dem Kopf, so als wollte er sagen: "Mir sind halt doch die Beschte." Und irgendwie hat er ja auch ein bisschen recht.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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