Lokaltermin:Salt & Silver

In Hamburg haben zwei Blogger ihr Reiseblog zu einem Restaurant gemacht. Das Lokal ist hipsterig, doch dafür entschädigt das Essen.

Von Fabienne Hurst

Eigentlich gehören sie zu den großen Plagen der 21. Jahrhunderts: Reiseblogs. Tief gebräunte Menschen in Tanktops und Badehosen posieren dort auf Fotos, wahlweise am Strand, auf einem Boot oder in der Favela. Oder sie fotografieren ihr Essen. Dazu schreiben sie ebenso lange wie zumeist uninteressante Texte. Über ihre Abenteuer. Die perfekte Welle. Den Geschmack von Heuschrecken. Aber manchmal bestätigt ja die Ausnahme die Regel. Und so kann auch aus einem Reiseblog etwas wirklich Gutes entstehen: zum Beispiel ein anspruchsvolles Restaurant in der schönsten Lage Hamburgs.

Eröffnet haben das "Salt & Silver" die beiden Kumpels Thomas Kosikowski und Johannes Riffelmacher, von Beruf eigentlich Kameramann und Art Director. Aber weil ihnen das nicht mehr taugte, reisten sie sinnsuchend mit Surfbrett und Rucksack um die Welt. Aus ihrem Lateinamerika-Reiseblog wurde das etwas Kochbuch "Reisen-Surfen-Kochen". Und weil die in Peru, Mexiko oder Argentinien gesammelten Rezepte so gut ankamen, eröffneten die beiden Gastronomie-Neulinge im Juli 2017 ihr erstes Restaurant in der Hamburger Hafenstraße. Dort sitzt man an kühlen Tagen an einem der 40 Plätze im geschmackvoll aufgemöbelten Gewölberaum. Bei gutem Wetter hat man auf der Terrasse den besten Blick auf Elbphilharmonie, Kreuzfahrtschiffe und einen ausführlich tätowierten Bauch.

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Der gehört einer Kellnerin, die uns die übersichtliche Menükarte und "das ganze Konzept" extrem detailliert erklärt. Sie ist so schön und jung und hip wie sämtliche Mitarbeiter hier. Auch die Gäste sehen aus, als hätte der liebe Gott den schmeichelhaftesten aller Instagramfilter über sie gelegt. Die Kellnerin fabuliert noch ein bisschen von der sagenhaft kreativen Gastronomie-Vision der beiden Chefs, alles sei sehr persönlich hier, easy going. Zum Beispiel könne man "die Vorspeisen foodsharing-mäßig teilen". Ach ja. Als Aperitif empfiehlt sie den "Antica smash": Antica Formula, laut Speisekartennarrativ natürlich der " Lieblings-Wermuth" der Belegschaft, gemixt mit frischer Limette, Zuckersirup und Minze. Feinherb-fruchtig, aber nicht zu süß. Immerhin: ein guter Rat.

Ein Rätsel ist hingegen, wie man eine winzige, kross gebackene Mais-Tortilla (12 Euro), auf der kunstvoll Eismeerforelle, Kräuter, geräucherte Creme Fraiche und Jalapeno-Avocado-Salsa gestapelt sind, "foodsharing-mäßig" teilen soll. Zumal niemand das will, so perfekt gegart ist der edle Fisch. Jedes Detail hat die ideale Konsistenz: Cremiges, Knuspriges und Butterzartes bilden den perfekten Bissen. Sommerlicher kann eine Vorspeise nicht sein. Außer vielleicht der herb-säuerlich angemachte rohe Adlerfisch, der zusammen mit Wassermelone, Gurke, Kiwi, Zitrusfrüchten und Koriander als Ceviche Tulum (15 Euro) auf den Tisch kommt. Das peruanische Nationalgericht hat es schon länger in viele Hipsterküchen geschafft und begegnet einem in deutschen Großstädten nun fast so häufig wie Pulled Beef und Süßkartoffelpommes. So frisch und von so hoher Qualität bekommt man es allerdings selten.

In einem Satz

Penetrant lässiges Hipster-Lokal voller schöner Menschen, das aber durch ausgezeichnete Qualität der Speisen und eine ideale Lage überzeugt.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●●○○

Handwerklich wie geschmacklich ebenso einwandfrei sind die aufwendigen Taco-Variationen (um die 5 Euro). Die weichen Maisfladen sind saftig und würzig gefüllt mit Hühnchenkeule und Aprikosen-Sauce (Merida), geröstetem Pulpo und weißen Bohnen (San Pancho) oder frittiertem Blumenkohl und rauchiger Nuss-Salsa (Oaxaca). Schade, dass wir sie so schnell weggesnackt haben. Wer sich trotz der Sommerhitze für einen Hauptgang entscheidet, hat die Wahl zwischen Fleisch und vegetarisch (gefüllte Maistaschen, 14 Euro). Wir entscheiden uns für die zwölf Stunden lang geschmorten "Costillas Monterrey" - also Querrippe vom Rind. Wegen der Energiebilanz eines Mexikoflugs kann man sie erst ab zwei Personen bestellen und zahlt dann 28,50 Euro pro Portion. Serviert wird das rustikale Fleischstück auf einem Brett. Das scharfe Bratenmesser, das darin steckt, ist gar nicht nötig, das Fleisch fließt förmlich vom Knochen. Dazu serviert der Küchenchef gegrilltes Gemüse, verschiedene Salsas, Püree aus geröstetem, gekochtem Mais und einen Wildkräutersalat, der auch wirklich einer ist - und nicht etwa sein lätscherter Stiefbruder Pflücksalat aus dem Supermarkt. Wir schlemmen uns durch die rauchigen, würzigen Aromen. Jeder Bissen eine Freude.

Es ist nicht ganz leicht, diesen Ort kulinarisch ernst zu nehmen. In die Weingläser sind stilisierte Surfbretter eingraviert, auf der Toilette zwitschern Tropenvögel. Und zu uns an den Tisch haben sich zwei perfekt geschminkte Frauen gesetzt, die im Gespräch über ihren letzten Surfurlaub Sätze sagen wie: "Auf Maui gehst'e halt in erster Linie hin zum Tschillen." Kurz kriegt man Angst, dass sich noch vor dem Dessert zwei Backpacker mit Gitarre dazusetzen und irgendwas von Jack Johnson singen.

Die Nachspeise macht Spaß. Karamelleis zu Limetten-Sabayone, Kumquats, Mini-Mandelkuchen und kandierten Rosenblättern. Ein würdiger Abschluss, auch wenn die 9,50 Euro für die winzige Portion irritieren. In der Speisekarte steht: "Die Gerichte sind nicht zum Mästen gedacht". Das liege an den teuren Zutaten und Gewürzen. Durch kleine Portionen wolle man den Preis für die Gerichte erschwinglich halten. Na ja. Wer sich hier umguckt, hat eher den Verdacht, dass es auch darum geht, im nächsten Urlaub einen Strand-Body vorweisen zu können. Wer weiß, am Ende landet man sogar auf einem Reiseblog.

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