Lokaltermin:Restaurant Rebstock

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Manche mögen Heilbronn-Böckingen eher mit Pizza oder Pommes in Verbindung bringen. Dabei gibt es hier ein geradezu weltstädtisches Lokal.

Von Philipp Maußhardt

Heilbronns Arbeitergegend Böckingen steht nicht gerade für Haute Cuisine. Philipp Maußhardt aber verließ das Viertel in der Gewissheit, in einer Weltstadt gespeist zu haben. Im Restaurant Rebstock kocht Dominique Champroux klassisch und modern, bodenständig und fein zugleich. Seine Ente in sieben Gängen (und allen Aggregatzuständen) ist ein wahres Fest.

Selbst alteingesessene Heilbronner runzeln erstaunt die Stirn: ein gutes, ja sogar sehr gutes Speiselokal im Stadtteil Böckingen? Da müsse es sich um einen Irrtum handeln, in Böckingen, dem Arbeitervorort von Heilbronn, könne man vielleicht einen Pizzaservice finden oder mit etwas Glück eine Schnitzel-Ranch. Aber Haute Cuisine? Da möge man besser in die Weinbaugemeinden der näheren Umgebung fahren.

Von derlei Auskünften sollte man sich nicht abhalten lassen, im engen Straßengewirr von Böckingen nach dem richtigen Haus zu suchen. An einer unscheinbaren Kreuzung leuchtet schwaches Licht aus den Butzenscheiben eines Eckgebäudes. "Rebstock" steht auf einem kleinen Schild, der Zusatz "La Petite Provence", so wird man bald wissen, ist nicht übertrieben.

Der Empfang ist herzlich. Madame Champroux streckt dem Gast die Hand entgegen und schon ist auch ihr Mann, der einen lustigen Strohhut trägt, aus der Küche gesprungen. Dominique Champroux will wissen, für wen er kocht, darum wuselt er, sobald sich die Tür wieder öffnet, aus seiner Küche. Es gibt ja nur 20 Plätze im Lokal. An der Wand neben unserem Tisch hängt ein Foto von 2007, das Erwartungen weckt. Das Gruppenbild von 200 Köchen im Theatersaal von Schloss Versailles. Vorn sitzen die lebenden Legenden Paul Bocuse und Alain Ducasse. "Das da hinten ist mein Mann", sagt Beate Champroux und deutet auf einen Kopf 17 Reihen dahinter.

Die Speisekarte besteht hier nur aus einem kopierten DIN-A4-Blatt. Monsieur Champroux, das hatte seine aus Baden stammende Frau tags zuvor am Telefon angekündigt, hat diesen Abend ganz der Ente gewidmet. "Le canard dans tous ses états", steht über den sieben Gängen - die Ente also "in all ihren Formen beziehungsweise Aggregatszuständen". Entenbrust, -keule und -leber darf man wohl als bekannt voraussetzen. Doch schon mit dem Gruß aus der Küche wird klar, dass es dieser Koch ernst meint mit seiner Ankündigung, nichts vom Vogel auszusparen. Das Amuse Bouche: "Entenhals gefüllt als Ballotine" (eine Art Wurst, wenn man so will) mit Pistazien und Sellerie-Cappuccino. Entenhals? Da muss sogar der Liebhaber kurz schlucken.

Die Ballottine ist mit einem Süßwein sehr raffiniert abgeschmeckt und ähnelt in ihrer Konsistenz schon fast einer Terrine. Der zweite "Gruß" ist nicht minder apart (und ebenfalls typisch französisch): Entenmagen, konfiert mit Preiselbeerkompott, Ingwer und einer Meerrettich-Crème fraîche. Dieses Lieblingsgericht vieler Südfranzosen bringt Dominique Champroux selbst an den Tisch, weil er ein paar Worte dazu loswerden möchte. Die Mägen seien nicht leicht zu bekommen, überhaupt läge Heilbronn etwas im Windschatten der großen Delikatess-Lieferanten, oft sei es nicht einfach, die Zutaten zu bekommen, die ein Südfranzose, wie er einer ist, zum Kochen benötige, weshalb er..., doch da zieht seine Frau ihn mitten im Satz freundlich vom Tisch und schiebt ihn wieder zurück in die Küche.

Wenn man doch auch so einen lustigen Hut aufhätte wie der Koch - denn spätestens beim nächsten Gang möchte man ihn vor Respekt ziehen, hat doch ein Blick in die Küche Erstaunliches offenbart: Der Koch werkelt darin allein, nur unterstützt von einer einzigen Küchenhilfe.

Auf dem Teller liegen nun dünn geschnittene Scheiben aus der Entenbrust (Aiguillette), kurz angebraten und deglaciert mit Banyulsessig (einem eher als Süßwein bekannten Digestif). Zusammen mit Kartoffel-Croûtons und geschmorten Äpfeln ist das Gericht ein in sich stimmiges Konstrukt großer Klasse. Weil bis zum ersten Hauptgang (Canard à l'orange) etwas Zeit bleibt, sei die Frage an Beate Champroux erlaubt: "Wie bloß sind Sie nach Böckingen gekommen?" Sie druckst ein wenig herum, dann erzählt sie die Geschichte, wie sie und ihr Mann vor einigen Jahren ein freies Restaurant in Süddeutschland suchten und auf eine Anzeige in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung geantwortet haben, ohne den Ort je besichtigt zu haben. "Voilà, da sind wir."

Die am Stück gebratene Brust schmeckt leicht nach Rauch, und ihre knackige Kruste ist mit Lavendelhonig glaciert. Dazu gibt es Orangencoulis mit Olivenöl und ein dunkel-violettes Süßkartoffel-Orangeneis. Allein für diesen Gang müsste man sich jenseits des Rheins die Hacken ablaufen und fände man nach langem Suchen ein adäquates Restaurant, nie würde man eine solche Menüfolge für die günstigen 62 Euro finden, die es im "La Petite Provence" kostet. Der Ententanz geht weiter: Es folgt eine kräftige Essenz, gekocht aus der Entenkarkasse und mit Sherry und Zitronengras verfeinert. Am Grunde des Suppentellers liegen zwei Scheiben schwarzer Walnüsse, die, noch unreif geerntet, von Champroux in einer Sirup-Marinade gelagert wurden.

Danach kommt Entenleber-Mousse mit gebratenen Jacobsmuscheln, in Thymian geschwenkten Waldpilzen und - Achtung! - einer "Entenleberfetthollandaise". Und schließlich ein Klassiker: La Cuisse - die Keule mit Rotkraut und Semmelknödel. Jetzt, kurz vor Schluss, wird es also banal, denken wir und gehen dem Koch auf den Leim. Champroux hat die Keule entbeint, eingekocht und zu Confit verarbeitet, den Rotkohl hat er als Eis getarnt und die Semmelknödel sind Cracker am Tellerrand. Dazu gibt es eine fast schwarze Sauce, jeder Tropfen wie ein Trommelwirbel für die Geschmacksnerven.

Ach ja, es gab noch eine Birnen-Flognarde (eine Kuchenspezialität aus dem Périgord) mit Nougatmousse, Mandel-Sabayon und weißem Schoko-Eis. Wir verließen Böckingen in der Gewissheit, eine Weltstadt besucht zu haben.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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