Süddeutsche Zeitung

Restaurantkritik:Mittags im Gourmet-Restaurant "5" in Stuttgart

Der Mittagstisch gilt als Einstiegsdroge in die Gourmet-Küche. In Stuttgart zum Beispiel bietet das Restaurant 5 das Drei-Gänge-Menü zu 33,50 Euro an.

Von Philipp Maußhardt

Der Mittagstisch gilt als ideale Einstiegsdroge in die Gourmet-Küche. Im Stuttgarter Zentrum zum Beispiel bietet das Restaurant 5 das Drei-Gänge-Menü zu 33,50 Euro an. Ein Schnäppchen? Eigentlich ja, findet unser Autor. Leider kochen sie hier mittags kaum besser als der Italiener ums Eck. Doch würde man sich dort nie so billig abgespeist fühlen!

Es ist inzwischen ziemlich weltbekannt, dass sie in Stuttgart einen neuen Bahnhof bauen. Im Untergrund wird dementsprechend schwer gebuddelt, das Zentrum: eine Kraterlandschaft. Weniger bekannt ist, dass die Stuttgarter schon einmal ein solches Kunststück vollbrachten und ihren ersten Bahnhof aus dem Jahre 1846 Jahrzehnte später um ein paar Hundert Meter stadtauswärts verlegten. Dieser ehemalige Hauptbahnhof mit seiner prunkvollen Renaissance-Fassade ist heute ein Kino (Metropol), in dem man außerdem hervorragend essen soll. Denn im selben Gebäude befindet sich seit ein paar Jahren das Restaurant "5".

Die gigantischen schwarzen Stahlträger im ersten Stock des Lokals erzählen noch von der Bahnhofsvergangenheit. Küchenchef ist hier seit 2015 Claudio Urru, ambitioniert und von der Restaurantkritik allgemein beklatscht. Der so schöne wie weltläufige Name (geheimnisvoll süditalienisch zu klingen ist in der deutschen Gourmetküche immer noch ein Vorteil!) verdeckt, dass der Koch ein Urschwabe ist. Aufgewachsen in Esslingen am Neckar, tourte Urru durch viele renommierte Küchen, bis er sich sein eigenes Gasthaus im Zentrum Stuttgarts genehmigte. "Gasthaus" ist für das "5" allerdings ein ziemlich unpassender Name. Wer die Glastür öffnet, steht vielmehr in einer Lounge mit stylischen Sitzmöbeln (irgendwas zwischen Stuhl und Sessel), auf denen die Großstadtmenschen Latte oder Spritz trinkend herumloungen, während sich die Hungrigen in den ersten Stock hinauf bemühen müssen.

Abends gibt es eine Gourmet-Karte, die auch den gut situierten, aber oft ausgabenbedachten Mittelständler vom Mittleren Neckar zum Genuss verführen soll. Das große Menü mit sieben Gängen ist mit Weinbegleitung für 214 Euro pro Person alles andere als "günschtig", aber im Vergleich zu anderen städtischen Gourmetadressen noch gerade im Rahmen.

Uns aber interessierte der eigentlich recht unschwäbische Business-Lunch, ein Angebot für die ambitionierteren Mittagspausen der Büromenschen in den nahen Geschäftshäusern. Da nämlich ist das "5" für Stuttgarter Verhältnisse durchaus innovativ, und mit drei Gängen für 33,50 Euro verspricht die Mittagskarte fast ein Schnäppchen. Angekündigt sind Kartoffel-Lauchsuppe, gebratene Felsengarnelen mit ligurischem Gemüse und als Dessert schwäbische Bubespitzle.

Auch hat die nette Bedienung am Ende nichts dagegen, dass wir uns aus den sieben angebotenen Tagesessen (8,50 bis 10,50 Euro) ein weiteres Drei-Gang-Menü zusammenstellen, was die Kellnerin zwar erst mit Staunen, nach Rücksprache mit der Küche aber anstandslos entgegennimmt ("Wir servieren die Portionen etwas kleiner"). Das Lokal ist durchaus gemütlich, es dominieren Ledersessel und hübsch abgestufte Brauntöne, die heute wieder ebenso beliebt zu sein scheinen wie die längst obligatorische Glasscheibe, hinter der man den Köchen auch hier bei der Arbeit zusehen kann.

Doch es ist Mittag, da hat man nicht ewig Zeit, und so kommt die Suppe recht zügig. Gegenüber ein Teller mit Makkaroni nach sizilianischer Art. Überraschungen? Eher nicht. Denn die Kartoffel-Lauch-Suppe schmeckt: wie Kartoffel-Lauch-Suppe eben schmeckt. Was man andernorts schon als Erfolg verbuchen würde, veranlasst hier zum ersten Stirnrunzeln, ob eine Küche mit so hohem Anspruch nicht auch schon mittags ein klein wenig Raffinesse walten lassen könnte.

Auch die Makkaroni mit einer nicht eben innovativen Begleitung aus Walnüssen, Brokkoli und Schafskäse hätte man wohl lieber in einer Pinte auf Sizilien gegessen, zumindest wären die Nudeln dort sicher al dente gewesen. Schon halten wir die Idee, ein Gourmet-Restaurant in der Mittagszeit auf "Normalmaß" herunterzudimmen, für wenig glücklich.

Und dieser Eindruck setzt sich fort. Sowohl die Garnelen wie auch die Merguez (eine scharf gewürzte Hackfleisch-Wurst aus dem Maghreb) mit Humus und Salat lassen keinen besonderen Ehrgeiz der Küche erkennen. Auch steht Küchenchef Urru nicht mit am Herd. Er läuft nur ab und an durchs Lokal und holt sich einen Kaffee fürs Büro. Eigentlich kein Problem, nur nährt das hier gerade den Verdacht, der Chef könnte mal an seinen Delegationskünsten feilen.

Erst gegen Ende ahnt man, was die Gäste im "5" möglicherweise am Abend so in Begeisterung versetzt. Der schonend auf der Haut gebratene Lachs ist als Gericht vielleicht keine Sensation, verrät aber endlich handwerkliches Können, das Couscous dazu ist im Gemüsesud gegart, zart zitronig und perfekt auf den Fisch abgestimmt. Die Bubespitzle (auch Schupfnudeln genannt), eigentlich eine traditionelle schwäbische Beilage, sind als süße Mehlspeise eine schöne Abwechslung und in der Melange aus Mohn, Eierlikör und Apfelmus auch ganz passabel.

Trotzdem: Vielerorts gelten Mittagstisch und Business-Lunch zu Recht als Einstiegsdroge in die Gourmet-Küche, ideal für niedrigschwellige Erstbesuche. Im Stuttgarter "5" aber hat man als Mittagsgast eher den Verdacht, ein wenig popelig abgespeist zu werden. Wer den schwäbischen Meisterkoch Claudio Urru wirklich kennenlernen möchte, sollte wohl abends kommen.

In einem Satz

Eine Küche mit verheißungsvollen Versprechen, die mittags aber nicht eingelöst werden; hoffentlich kocht man hier abends aufregender.

Qualität: ●●●○○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung:●●●○○

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Quelle:
SZ vom 11.03.2017
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