Lokaltermin:Plachutta

Es gibt wohl keinen anderen Ort auf der Welt, an dem ein Dutzend verschiedene Stücke vom Ochsen auf der Karte stehen. Serviert werden sie in heißer Suppe. Damit ist das Plachutta Wiens berühmtester Rindfleischtempel - und eine echte Institution.

Von Katharina  Seiser

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Wahrscheinlich gibt es keinen anderen Ort auf der Welt, an dem mehr als ein Dutzend verschiedene Stücke vom Ochsen gesotten auf der Karte stehen. Serviert werden sie in heißer Suppe, Einlage und Beilagen sucht der Gast sich selbst aus. Damit ist Plachutta Wiens berühmtester Rindfleischtempel - und eine echte Institution. Unsere Autorin Katharina Seiser schreibt zwar auch vegane Kochbücher, doch sollte Rind irgendwann auf dem Index stehen, dann wüsste sie, wo sie einen schönen Abschiedsabend verbringen würde.

Viele wünschen sich in Österreich die Monarchie zurück. Nicht wegen der zuletzt häufigeren Wahlen oder gar wegen der Sehnsucht nach einer gottgegebenen Lichtgestalt. Nein, viel eher wegen der guten alten Zeit, als es in Wien sechs Mal pro Woche Rindfleisch gab. Eine Sehnsucht, die auswärtige Gäste in der Regel nicht verstehen können. Hatte doch schon vor 200 Jahren der von Gourmets verehrte Franzose Jean Anthelme Brillat-Savarin gekochtes Rindfleisch geächtet, weil Suppenfleisch ein Fleisch ohne Saft sei. Die Wiener aber halten es lieber mit Thomas Bernhard, der in seinem Dramolett "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen" den früheren Burgtheaterdirektor sagen lässt: "Österreich ist das beste Rindsuppenland, nichts ist besser in Österreich als die Rindsuppe, in keinem Land der Welt haben sie eine bessere Rindsuppe."

Derart eingestimmt gehen wir zu "Plachutta" auf der Wollzeile im 1. Wiener Gemeindebezirk, dem berühmtesten Rindfleischtempel Wiens oder gar der Welt. Hier serviert man seit Jahrzehnten gekochtes Rind, und wer jetzt schon so voreilig wie strebsam "Tafelspitz!" schreit, hat nichts verstanden von der Kunst, einen Ochsen nach Wiener Teilung bestmöglich zu Tisch zu bringen. So ein Ochse besteht nämlich aus weit mehr als Tafelspitz, und - darüber lässt sich abendfüllend Disput führen - vor allem aus weit besseren Teilstücken.

Das gutbürgerliche, tadellos saubere Lokal bietet durchgehend warme Küche, die Tische sind in engen Slots besetzt, alle Welt will hier essen. Dem geschuldet ist das atemraubende Tempo, in dem die Kellner ihre Pflicht zwischen den eng gestellten Tischen tun. Und dem geschuldet ist auch deren Schmäh, der keine Schwiegermutter mehr vom Kanapee lockt, aber doch trinkgelderhöhend wirken soll. Das äußert sich in kleinen Details. Bestellt haben wir zwei Pfiff Bier. Es kommen aber zwei Seidel. Der Kellner wartet raffiniert, bis wir ratlos den ersten Schluck nehmen, um dann listig herbeischießend "Mein Fehler!" zu rufen. Wer glaubt, später dann die kleineren Getränke auf der Rechnung zu finden, irrt.

Mit Vorspeisen muss man sich hier nicht aufhalten, wer gern gekochtes Rindfleisch isst, weiß: Die Vorspeise wird mitgeliefert. Wie es sich gehört, serviert man beim Plachutta das Rindfleisch nämlich im kupfernen Topf in reichlich Suppe. Doch zuerst zum korrekten Bestellvorgang: Man entscheide sich für eine Suppeneinlage. Enttäuschend, dass es bei unserem Besuch nur Frittaten, Nudeln und Lebernockerl gibt, zählt die Historikerin Ingrid Haslinger in ihrem Buch "Tafelspitz & Fledermaus - Die Wiener Rindfleischküche" doch 117 (!) Einlagen für Wiener Rindssuppe auf. Dann treffe man seine Wahl aus einem Dutzend Fleischteilen vom Weideochsen - über dessen genaue Herkunft und Haltung man außer "Österreich" und "AMA Gütesiegel" (was in Sachen Tierhaltung nicht viel heißt) nichts erfährt. Touristen wählen Tafelspitz oder etwas, wo "mager" dabeisteht. Einheimische nehmen die "Gustostückerln" - drei Stücke nach Wahl, zum Beispiel Schulterscherzl, Beinfleisch und die Pökelzunge (24,80 Euro). Als Beilagen gibt es saisonales Gemüse, in Wien gern "eingebrannt", etwa Kochsalat mit Erbsen (5,10 Euro). Bei Plachutta kriegt man noch den selten angebotenen Semmelkren. Ein Püree aus altbackenen Semmeln mit Rindssuppe und Kren.

Zuerst stellt der Kellner auf Rechauds die Stielkasserollen mit Suppe, Fleisch, Wurzelgemüse und Markknochen ein. Danach schöpft er Suppe in eine Tasse mit der gewünschten Einlage. Sie schmeckt hervorragend, ebenso die Frittaten, dünn und frisch, zart nach Muskat, das Lebernockerl stark nach Majoran - und Leber. Das zeitgleich eingestellte Röstbrot isst man bitte nicht zur Suppe, sondern fischt den Markknochen aus dem Topf, befördert das Mark aufs Brot, salzt und pfeffert und erfreut sich an der zweiten Traditionsvorspeise.

Wir haben sechs verschiedene Teilstücke vom Ochsen bestellt und können bei Tisch schwer Mehrheiten finden, zu individuell die Vorlieben. Klar ist: Schulterscherzl und Beinfleisch bleiben die Favoriten, ebenso wie der aromatische Kruspelspitz, die Zunge ist hier unerreicht zart, der Tafelspitz zwar weich, aber trotzdem etwas trocken. Hervorragend der Semmelkren, der Kochsalat gut, aber etwas zu muskatig, die gerösteten Erdäpfel gerade richtig knusprig, die Schnittlauchsauce auf Semmel-Ei-Basis mayonnaiseartig gerührt wie sie gehört, nur der Apfelkren leider viel zu zahnlos - sprich fad, salz- und krenarm. Dass man die Suppe von einem derart ressourcenintensiven Tier wie dem Rind hier nicht im Glas mit nach Hause nehmen kann, ist der einzige Wermutstropfen, neben der nicht extra transparenten Fleischherkunft.

Danach gehört sich eine Mehlspeise: Die Palatschinke wäre, wenn heiß, gut, auch die Marillenmarmelade ist kein Billigprodukt. Mit einem derart idealtypischen Kaiserschmarren (9,20 Euro) hätten wir nicht gerechnet - innen flaumig, außen knusprig karamellisiert, heiß und mit fruchtig-säuerlichem, schön glänzendem Zwetschkenröster serviert. Falls dereinst die Welt unterginge oder absehbar ist, dass Rindfleisch, weil besonders klimaschädlich, auf den Index kommt: Hier könnte man einen schönen letzten Abend verbringen. Gegen die platten Kellnerschmähs hilft eine gute Tischgesellschaft.

In einem Satz

Plachutta beweist, dass "Touristen-Hotspot" in der Gastronomie auch ein echtes Gütesiegel sein kann.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●○○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●●●○

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