Lokaltermin:Osteria del Borro

Das exquisite Gourmet-Restaurant in der Nähe von Florenz glänzt mit makellosem Ambiente, sogar die Hosen der Kellner sind auf die Deckenfarbe abgestimmt. Nur schade, dass dort niemand kochen kann.

Von Philipp Maushardt

Bei Florenz liegt der alte Weiler Il Borro, der zum früheren Schloss des Großherzogs von Aosta gehört. Der Modeclan Ferragamo hat das ganze Dorf zur Residenz für reiche Touristen ausgebaut. Mit viel Tamtam, Suiten für ein paar Tausend Euro pro Nacht und der edlen Osteria del Borro. Nun wäre es toll, wenn sich hier noch jemand fände, der kochen kann, findet Philipp Maußhardt.

Die Geschichte von Il Borro muss man kennen, um den Ort und seine heutige Bedeutung und Erscheinung zu verstehen. Wer sich vor 30 Jahren in den kleinen Weiler im Arnotal zwischen Florenz und Arezzo verirrte, fuhr erst vorbei an einem etwas verwahrlosten Schloss, dann über eine schöne Steinbrücke zu einer Ansammlung kleiner Häuser, die sich auf einer Erhebung aneinanderschmiegen; viele davon verlassen und halb verfallen, nur sieben Bewohner lebten noch hier. In der einzigen Trattoria des Dorfes stand damals ein schon am Nachmittag angetrunkener, tätowierter Mann, der sich stets als Neffe des letzten Königs von Italien vorstellte. Der Großherzog von Aosta, so sein Titel, schenkte einen mäßig guten Roten aus, der auf den Rebflächen neben seinem Schloss wuchs.

Ende der Neunzigerjahre verkaufte der Großherzog sein Schloss, den Weiler Il Borro und alle Ländereien an die Familie des Designers Salvatore Ferragamo aus Florenz, berühmt und reich geworden durch Schuhe und Lederwaren. Die Ferragamos machten das Dornröschen-Dorf zu einer exklusiven Adresse für betuchte Gäste, vor allem aus den USA, aus England und der Schweiz. Aus der Trattoria wurde ein Nobel-Restaurant, eine Suite im Schloss ist für 30 000 Euro die Woche (inklusive Zimmermädchen und eigenem Butler) zu haben.

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Für Normalverdiener ist das dazugehörige Lokal als Mittagstisch eine Überlegung wert, das Ambiente ist erwartungsgemäß geschmackvoll, der Service freundlich und die Gnocchi mit Auberginen einwandfrei. Warum also nicht wiederkommen und das im ersten Stock gelegene Gourmet-Restaurant ausprobieren?

Abends wird man hier von einer jungen Dame vom Eingang zum Aufzug und anschließend bis zum Tisch geleitet. Der Saal ist dann so, wie man sich das vorstellt, wenn Ferragamo und Relais & Chateau koalieren. Mehr Beige war selten, selbst die Hosen der Kellner korrespondieren mit der lehmfarbenen Decke. Ebenfalls selten sieht man dermaßen makellose Gäste, wer zum Leute-Gucken hier ist, kommt auf seine Kosten. Auch weil die lange Glaswand zur Küche den Blick aufs Personal am Herd freigibt. Der Saalchef ist der vom Vortag: ein groß gewachsener Schweizer mit italienischen Wurzeln, wieder ausgesprochen freundlich und umsichtig.

Der "Gruß aus der Küche" kommt schnell, und wir staunen. In einem Suppenteller erkennt man: eine aufgeschnittene Feige, belegt mit einem Salamirädchen. Und so schmeckt es dann auch. Von Kochkunst will man da noch nicht reden, aber es geht ja erst los. Das Antipasto, Wildschwein-Carpaccio mit Waldfrüchten (16 Euro), gibt Anlass zu erster Beunruhigung. Denn serviert wird aufgeschnittener Schinken mit einigen darüber gestreuten Beeren. Das Fleisch schmeckt fade, die Beeren sind Beeren. Muss man alarmiert sein, auch weil der Blick durch die Scheibe keine besondere Aktivität der insgesamt sechs Köche erkennen lässt?

In einem Satz

Hübsch verpackt kann vieles Freude machen - diese Redensart hat nie wirklich gestimmt, wie man auch in der "Osteria del Borro" erleben kann.

Qualität: ●○○○○

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●○○○○

Bleibt die Hoffnung auf den "Primo", die Königsklasse italienischer Köche. Ein unberechtigter Optimismus, wie schon der erste Pasta-Bissen zeigt. Die "Paccheri", eine Zwischenform von Cannelloni und Rigatoni, stammen aus der Packung und sind nicht al dente sondern al sasso gekocht - felsenhart. Sie liegen in einer indifferenten Soße, und zur Dekoration thront eine ungenießbare Tomatenhaut auf den Nudeln. Die Ravioli auf dem zweiten Teller (jede Pasta 17 Euro) sind angeblich mit Hase gefüllt, es könnte aber auch Giraffe sein. So genau lässt sich das nicht bestimmen. Auch weil die darüber geworfenen rohen Zwiebeln so intensiv sind, dass die Teigfüllung fast schon egal ist. Ablenkung bietet derweil die Weinkarte, die staunen macht: Der hauseigene Wein ("Il Borro"), den wir schon beim Mittagessen des Vortags für ganz ordentlich befunden hatten, wird jahrgangsweise angeboten und steigert seinen Preis pro Flasche in mathematisch sauberen Schritten von 47 Euro für den Erntejahrgang 2013 bis 850 Euro für den von 1999. Ganz so, als hätte die Preisliste ein Buchhalter geschrieben, der sich von Erträgen oder Qualitätsschwankungen der einzelnen Jahrgänge nicht im Mindesten irritieren ließ.

Als Gast ist man nun langsam bereit, verstimmt zu sein. Denn auch beim Hauptgang bleibt die Küche ihrer Arbeitsverweigerung treu. Das Hirschfilet (26 Euro) ist außen schwarz und innen rosa gebraten und auf zwei Salatblättern drapiert. Und selbst wenn die Italiener grundsätzlich als Soßenverächter beim Fleisch gelten, irgendeine Idee für die Beilage wäre schon hilfreich gewesen. Spannender ist der Drachenkopf auf dem zweiten Teller. Diesen Mittelmeerfisch (Scorfano, 24 Euro) findet man höchst selten auf den Speisekarten. Aber auch hier hat der Koch keine Fantasie und legt ein bisschen Spargel sowie die (eigentlich für den Bio-Müll gedachte?) und hier offenbar unvermeidliche Tomatenhaut wieder dazu.

Am Ende bestätigt sich in der Osteria nur das lahme Klischee, dass man der Mode lieber nicht die Küche überlassen sollte. Und wieder einmal die Erfahrung, dass nichts in der Gastronomie ärgerlicher ist als ein (zudem recht bekanntes) Restaurant, in dem Äußerlichkeiten und Essensqualität so auseinandergehen. Uns tut der Kellner leid, weil er sich aufrichtig bemüht. Aber gegen diese Nichtküche kommt er nicht an. Nur der Vollständigkeit halber bestellen wir noch ein Dessert. Es ist irgendwas mit Erdbeere.

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