Lokaltermin:Markthallen-Restaurant

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Aus dem Lokal der berühmten Kreuzberger Markthalle Neun ist der Pächter ausgezogen. Auch den legendären Schweinebraten gibt es nicht mehr. Kein Thema, die neue Karte ist wunderbar!

In der berühmten Kreuzberger Markthalle Neun gab es zuletzt Ärger. Manchem Anwohner wurde es zu viel mit der kulinarischen Gentrifizierung, mit all dem Slowfood und "Hipster-Ständen". Nun zog auch noch der alte Pächter aus dem Markthallen Restaurant aus, und der legendäre Schweinebraten flog von der grunderneuerten Speisekarte. Ein Problem? Überhaupt nicht, findet Fabienne Hurst. Wenn Veränderung immer so behutsam ablaufen und dazu so gut schmecken würde, dann wäre die Welt ein besserer Ort.

Der Kellner trauert, er hat seit fünf Monaten keinen Schweinebraten gegessen. Der sei seine Leibspeise gewesen. "Ich höre besser auf zu reden", klagt er, "ich habe einen richtigen Kloß im Hals." In den elf Jahren, in denen er jetzt im Restaurant in der Kreuzberger "Markthalle Neun" arbeitet, scheint der Schweinebraten so etwas wie ein alter Freund geworden zu sein.

Für das "Weltrestaurant" - so hieß das Lokal lange - war die Spezialität des Hauses ein Kundenmagnet, dem Leander Haußmann im Film "Herr Lehmann" ein Denkmal gesetzt hat. Dort hieß es schon 2003: "Wenn das okay ist, dass hier so Vollidioten bis siebzehn Uhr frühstücken, dann wird das doch wohl auch okay sein, um elf Uhr einen Schweinebraten zu bestellen." Egal, was sich im Kiez veränderte - die Nachbarn, die Mietpreise, die Auslage in den Schaufenstern - der Schweinebraten blieb. Doch jetzt, 2019, ist alles anders. In die hohe Verkaufshalle sind vor acht Jahren die Millennials eingezogen. Von mittags bis abends verkaufen sie an ihren Slowfood-Ständen vegane Tofu-Wan-Tans oder kurkumagelbe Reiscrepes. Spezialitäten des Hauses heißen jetzt "signature dishes" und seit einigen Monaten betreiben die Besitzer der Markthalle das Restaurant selbst. Der Pachtvertrag war nach 25 Jahren ausgelaufen und wurde nicht erneuert. Ob es auch um das Lokal Streit gab, ist laut Lokalpresse nicht ganz klar. Sicher ist, dass die neue kulinarische Ausrichtung der "Markthalle Neun", ihres Cafés und ihrer Wirtschaft, in Kreuzberg polarisiert. Die einen sind begeistert. Die anderen hätten es gern ein bisschen mehr wie früher. Und sicher ist auch, dass mit dem alten Wirt auch der legendäre Schweinebraten verschwunden ist.

Auf den ersten Blick scheint alles jedoch beim Alten: die schlichten Gründerzeit-Möbel, die Holzvertäfelungen, der elf Meter lange Tresen. Auch die Gäste scheinen vorwiegend aus der Nachbarschaft zu kommen, man kennt sich, auch der Kellner ist ja noch da. Doch etwas Wesentliches ist neu: die Karte. Und so radikal der Abschied vom Braten klingen mag, man ist vorsichtig vorgegangen beim Erneuern. Wie zum Trost hat das Schnitzel den Wechsel überlebt, einmal klassisch wienerisch - mit Kalb - für stolze 21,50 Euro, einmal mit Schwein nach "Wiener Art", für sieben Euro weniger. Auch die anderen Gerichte auf der Karte sind eher klassisch: Rindersülze (7,50 Euro), kalte Gurkensuppe (fünf Euro), Spitzkohlwickel mit Kalb und Schwein (16,50 Euro). Mittags kosten saisonal wechselnde Hauptgerichte faire acht Euro. Auch Vegetarier finden hier eine kleine Auswahl, wobei sich der Kellner unverhohlen freut, wenn man zu den Käsespätzle (9,50 Euro) extra Speck bestellt.

Trotz dieser Bodenständigkeit weht durch die neue Marktküche ein frischer Wind, den man schon bei den Vorspeisen schmeckt. So serviert der Küchenchef einen Salat aus rohem Fenchel, Birne und geräuchertem Mozzarella, der das Zeug zum absoluten Lieblingsgericht hat. Das knackige Gemüse, die süße Frucht, dazu mild eingelegte, rote Zwiebeln und das feine Raucharoma des Käses - perfekter kann eine Kombination bei gleichzeitiger Nachkochbarkeit nicht sein. Hier kommen Aromen zusammen, als hätten sie sich nach langer Suche endlich gefunden.

Deftig geht es weiter, mit einer butterweichen Rinderschulter (16,50 Euro), stundenlang geschmort in Rotwein-Gemüsesaft und begleitet von einem goldbraun gebratenen Kartoffeltaler. Wer den Schweinebraten schmerzlich vermisst, wird in diesem Schmorgericht einen idealen Ersatz finden - vielleicht sogar eine neue, noch größere Liebe. Die Käsespätzle sind hausgemacht, bissfest und trotzdem cremig käsig. Der kleine Beilagensalat erinnert an die Rohkost in gehobenen süddeutschen Landgasthöfen, in denen das Gemüse frisch aus dem Garten kommt und das Salatsoßenrezept über Generationen weitergegeben wird.

Es sind kleine Details, welche die Liebe des Kochs zu seinen Gerichten verraten: vorgewärmte Teller, marinierte Kräuter als Topping auf dem soßigen Bratenfleisch, selbstgemachte, knusprige Röstzwiebeln zu den Spätzle. Hinter dem Dessert "Gefüllter Mürbeteig mit Boskopäpfeln" verbirgt sich eine Verbeugung vor der einzig wahren aller Apfelsorten. Die mit Apfelmus und Apfelscheiben belegte Tarte aus wunderbar buttrigem knusprigem Teig wird serviert mit einem Kännchen Vanille-Creme und karamellisierten Nüssen. Ein Klassiker, den man in so einer Perfektion nur noch selten findet.

Hier steht jemand am Herd, der seinen Zutaten vertraut, und das ist ein großes Glück. Das wird auch der nostalgische Kellner bald einsehen. Wenn Veränderung immer so behutsam ablaufen würde wie in diesem Lokal, dann hätten wir ein paar Probleme weniger in dieser Welt.

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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