Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Manuelis

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Die gehobene Gastronomie am Alpenrand ist inzwischen etwas gravitätisch. Wie gut, dass es auch Wohnzimmerlokale wie das Manuelis in Miesbach gibt.

Die gehobene Gastronomie am Alpenrand sollte aufpassen, dass sie es mit der allzu properen Landhausästhetik nicht übertreibt. Da ist ein feines, aber unkonventionelles Wohnzimmerlokal wie das Manuelis in Miesbach eine schöne Abwechslung, findet Marten Rolff. Die Stimmung hier ist fast schon familiär, und jeden Freitag gibt es ein Überraschungsmenü. Im März ging es um Fastenküche. Darben musste natürlich trotzdem niemand. Im Gegenteil.

Um das Restaurant "Manuelis" zu beschreiben, muss man mit einer Bahnklage beginnen. Die Bayerische Oberlandbahn bietet nun einmal die beste Möglichkeit, um von München nach Miesbach zu kommen. Offiziell dauert es vom Hauptbahnhof bis an den Tisch nur 45 Minuten, und Planbarkeit ist in diesem Fall wichtig, an Freitagabenden gibt es im Manuelis ein Überraschungsmenü (fünf Gänge zu 69 Euro), das für alle Gäste gleichzeitig beginnt, um 19 Uhr.

Es ist also unangenehm, wenn man an einem Freitag anrufen muss, um abzusagen, weil der Zug ausfällt ("Personen im Gleis") und am Freitag darauf erneut, um anzukündigen, dass man eine halbe Stunde zu spät kommen wird ("Störung des Zentralcomputers"). Die Sorge ist zwar unberechtigt, denn die fröhliche Gelassenheit am anderen Ende der Leitung könnte nicht größer sein: "Ach, die Oberlandbahn, kennen wir, dann warten wir auf euch!" Aber mehr als 20 andere Gäste, die unserer Ankunft harren, damit endlich serviert werden kann? Wer mit weniger Ballast anreisen will, sollte vielleicht einen früheren Zug nehmen. Doch es gehört zu den Vorzügen dieses Restaurants, dass schon bei Betreten des Gastraums alle Beklommenheit von einem abfällt. Die unkomplizierte Herzlichkeit ("Schön, dass ihr da seid!") mag anderswo einstudiert sein, hier wirkt sie authentisch. Das Manuelis, dessen Name sich aus Vornamensteilen der Gastgeber Manuel Greindl (Küche) und Elisabeth d'Alto (Service) zusammensetzt, ist damit ein Wohnzimmerlokal im besten Sinne. Und eine wohltuende Rarität im gravitätischen Münchner Süden, wo die Gastronomie mittlerweile aufpassen muss, dass sie nicht in allzu properer Tegernseer Landhausästhetik erstickt.

Manuel Greindl kocht, seit er 15 ist, und hat Station in bekannten Küchen gemacht, darunter der viel gelobte Hechenberger "Moarwirt" oder das Sternerestaurant im "Schloss Hohenkammer". Irgendwann war es dann Zeit für die Selbständigkeit in der Heimat; in einem historischen Miesbacher Stadthaus mit drei kleinen Gasträumen, viel Holz, warmem Licht und uralten Bodenfliesen im Flur. Greindl und d'Alto kochen nach eigener Aussage "bayrisch, aber nicht bieder; raffiniert, aber nicht g'spinnert", dabei regional und streng saisonal mit Kräutern aus dem eigenen Garten und Fisch aus eigener Zucht. Vier Mal die Woche gibt es ein kleines À-la-carte-Angebot, freitags tobt die Küche sich aus. Für diesen Abend hat Greindl angekündigt, im Menü Fastengerichte oder zumindest klassische Produkte der Fastenzeit wie Sauerkraut oder Starkbier zu interpretieren. Das klingt wie ein Risiko, wenn auch wie ein spannendes.

Als Gruß schickt die Küche angenehm mildes Sauerkraut mit in Wacholderbutter gegartem Apfel und einem winzigen Kartoffelplätzchen. Fahrt nimmt das Menü schon mit der Vorspeise auf, dem Gründonnerstagsklassiker Spinat mit Ei, hier allerdings angelehnt an den Seelentröster aller Hipster-Cafés: Eggs Benedict. Der Spinat kommt als fein abgeschmeckte Crème sowie im Biskuit verbacken, auf dem ein zart cremiges Onsen-Ei (niedrig gegartes Eigelb) lagert, die Haube bildet Sauce Hollandaise. Es ist ein extrem rundes Gericht, das einen kleinen Cruncheffekt vertragen hätte, dessen allzu große Harmonie aber gewinnbringend durch frittierte Petersilie und die Säure von Senfkaviar gestört wird.

Die Pastinaken-Crèmesuppe wirft die Frage auf, was eine "Dry-Aged-Pastinake" ist, nämlich eine, die für die Aromenkonzentration länger gelagert wurde, was offenbar auch die Süße beflügelt. Eine gute Idee war es daher, die Suppe mit vollmundigem, säuerlichem Brotschaum zu verschließen und mit Croutons zu servieren. Ein Schönheitsfehler bleibt das hohe Glas, aus dem sich Suppe schlecht löffeln lässt. Es ist eine Ironie des Bowl-Zeitalters, dass Schüsseln jetzt überall eingesetzt werden, nur dort nicht mehr, wo sie angebracht wären.

Fleisch kann in einem Fastenmenü nur an einer Stelle vorkommen - vorsichtig dosiert und versteckt in der Füllung der "Hergottsbscheißerle", wie die Schwaben ihre Maultaschen auch nennen. Greindls Maultaschen sind zart und mit Kalb und geröstetem Blumenkohl gefüllt und baden in aromatischem Karottenfond. Dazu gibt es Blumenkohl- und Zwiebelcrème und Röstzwiebeln; eine Kombination, die ähnlich grundsolide funktioniert wie die freundschaftlich eingeschenkte Weinbegleitung (etwa 5 Euro für 0,1). Sie wird vom Service nicht groß thematisiert und setzt fast ausschließlich auf Flaschen der Pfälzer Weinmanufaktur Bogen, von Weißburgunder über einen cremigen Spätburgunder-Rosé bis zum intensiv fruchtigen Riesling.

Klarer Höhepunkt des Menüs ist dann der Hauptgang, ein Saiblingsfilet, das mit viel Rosmarin in Ton perfekt gegart wurde; dazu Berglinsenrisotto mit tollem Biss, das geschmacklich befeuert wird durch einen kräuterigen Sud mit Kerbel, Tanne und Minze, sowie - das ist der Clou - durch fermentierte Himbeeren. Die süßsauren Spitzen, die frische Grasigkeit, abgemildert durch etwas Schmand, machen aus Linsen und dem qualitativ hervorragenden Fisch einen ungewöhnlichen Aufreger.

Das Dessert, ein formvollendet geschichtetes Tiramisu-Törtchen mit Zitronenbaiser, Biercrème und Biereis-Nocke, ist leider nur optisch ein Vergnügen. Die Gelatine zu fest, die Crème zu fad, das Eis aber gut und mit feinem Schmelz - die Nachspeise zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, Bier in der Küche Geschmack abzuringen. Zumindest dort, wo es nicht um Bratensoße geht.

Insgesamt aber ist es ein toller Abend, der in der Küche wie an den Tischen stark von der Persönlichkeit der Gastgeber getragen wird. Sie verleiht dem Manuelis seine Handschrift - und eine Zutat, die heute so viele Gastronomen unterschätzen: Seele.

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Quelle:
SZ vom 30.03.2019
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