Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:maiBeck

Köln hat den Einstieg in die Bistronomie geschafft. Das Restaurant maiBeck verzichtet auf weiße Tischdecken und steife Kellner. Das Essen aber ist so fein, dass es sofort den ersten Stern gab, obwohl die Köche das gar nicht geplant hatten.

Von Stevan Paul

Auch Köln hat jetzt ein Spitzenrestaurant, das so tut, als wäre es keines. Das "maiBeck" setzt auf schlichte Tische, Industriecharme und freundschaftlichen Service. Die Küche dazu ist fein und überzeugt durch subtile Raffinesse, findet Stevan Paul. Nur das förmliche Geschäftsgebaren mag nicht so recht zur viel beschworenen Lässigkeit passen.

Dass Gastronomie oft ein hartes Geschäft ist, erfährt man im "maiBeck" schon mit der Reservierungsbestätigung. Ein langer Nachsatz erklärt die Folgen eines unentschuldigten Nichterscheinens: von Mindestumsätzen bei exklusiven Buchungen und vierstelligen Stornogebühren ist die Rede, von "No-Show"-Gebühren, die pro Person erhoben werden. Nun sind sogenannte No Shows, das Nichterscheinen angemeldeter Gästen ohne zeitige Absage, eine viel diskutierte Pest in der Gastronomie. Gerade für Restaurants mit wenig Laufpublikum ist der gehäufte Ausfall ganzer Tische schnell ein existenzbedrohendes Problem. Ob dem aber mit einem Pauschalverdacht zu begegnen ist? Der ist uncharmant und juristisch eh untauglich, zeigt aber, wie blank die Nerven bei dem Thema liegen.

Mit geschäftlichen Regularien beginnt auch der Abend selbst. Zum anregenden Aperitif aus herb-bitterem Karden-Likör (8 Euro) und feinperligem Winzersekt wird die Menükarte gereicht, die gleich auf der ersten Seite Informationen zu den Zahlungsmodalitäten am Ende des Abends zusammenfasst: Jetzt schon möge man sich Gedanken über gemeinsame und getrennte Rechnungen machen, vom Finanzamt ist auch kurz die Rede, zudem sei die Erstellung einer formellen Rechnung direkt anzumelden. Etwas verunsichert suchen wir das Gespräch mit der freundlichen Bedienung, die mit Beschwichtigungen reagiert. Erst mal was essen, jetzt.

Wohl keine schlechte Idee, denn für die Küche des mai Beck gab es früh Lob in Köln, und deshalb sind wir ja hier. Bereits ein Jahr nach Eröffnung verlieh Michelin dem Lokal im November einen Stern. Dabei hatten die kochenden Hausherren Jan Cornelius Maier und Tobias Becker gar nicht vorgehabt, am Sternezirkus mitzuwirken, planten von Anfang an ein modernes Konzept in der Domstadt zu etablieren, regional, frisch, unkompliziert und freundlich kalkuliert. Eine Schublade gibt es auch dafür längst: Bistronomie, entspannte Bistro-Lässigkeit mit handwerklich perfekter Hochküche verknüpft, auf Effekthascherei wird indes verzichtet. Gradlinig und reduziert wirkt auch das Lokal: weiße Wände, ein deckenhohes Weinregal, Holzrollos. Abluftrohre sorgen für einen Hauch Industrie-Charme, auf Tischwäsche wurde - wie so oft neuerdings - verzichtet. Das Licht allerdings ist Energiesparlampen-fahl, und wieder einmal wünscht man sich da etwas mehr Wärme.

Dafür wird es gleich auf dem ersten Teller richtig bunt, das Viergangmenü (49 Euro, mit Weinbegleitung 69 Euro) beginnt mit einer Landschaft aus Wurzelvariationen auf Rote-Bete-Teppich mit Feldsalat und Preiselbeeren - erdig, aber auch frisch-säuerlich und fruchtig, eine Nocke Lebermousse sorgt für Würze und Schmelz. Die andere Vorspeise, Räucheraal mit süßer Mandarine, Portulak-Kraut, Selleriecreme und Walnüssen (14 Euro), erinnert in der gelungenen Kombination erstmals an den hohen Anspruch. Genial auch der weich gegarte Schweinebauch mit Tintenfisch und geröstetem Grünkohl, in einem köstlichen buttrigen Fond. Von den à la carte bestellten Schlutzkrapfen (17 Euro) dürften selbst gestandene Tiroler Nudelköche träumen, hauchdünn und zart der durchscheinende Ravioli-Teig, der die Topfenquarkfüllung umschließt, angerichtet auf feinbitterem Löwenzahngemüse, langsam schmelzen die zart gehobelten Bergkäseflocken über dem Gericht. Großartig.

In einem Satz

Ein Restaurant, dessen Unkompliziertheit etwas kompliziert wirken kann, was aber nichts macht, weil das gute Essen hier die Hauptrolle spielt.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●○○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Sommelier Sascha Bauers Empfehlungen zu allen Gängen sind trefflich, die Vorstellung der Weine jeweils erfreulich knapp, sachlich und informativ. Auch der Hauptgang überzeugt mit einem dicken Stück zart geschmortem Schulterscherzel (Schaufelstück) vom Kalb, unter einer dichten dunklen Soße, getoppt mit einer Art Gremolata aus Shiitakepilzen und Petersilie. Schöne Idee: ein Mixed-Pickles-Gemüse aus säuerlich gewürzten Blumenkohlröschen, Schnippelbohnen, Mini-Champignons und Möhren rücken den Fleischgang raffiniert in die Nähe eines Sauerbratens. Das dazu servierte Kartoffelpüree gibt allerdings Rätsel auf: Sieht aus wie Tütenpüree, schmeckt wie Tütenpüree - kaum kartoffelig, dafür wässrig-mehlig, an Butter und Salz wurde gespart. Dass natürlich in einem solchen Restaurant kein Fertigpüree serviert wird, dürfte eine Selbstverständlichkeit sein. Zumindest aber gelang der Küche an diesem Abend die perfekte Tütenpüree-Illusion. Von der guten Soße gibt es dafür großzügigen Nachschlag aus einer separaten Sauciere, eine begrüßenswerte Wiederbelebung der ausgestorben geglaubten Supplement-Tradition, als Soßen noch nicht pünktchenförmig auf Teller gekleckerte Geschmacksandeutungen waren, sondern der Stolz jeder guten Küche.

Das Dessert ist dann ein Menü-Höhepunkt: rahmiges Mohn-Eis und fluffiger Mohnkuchen kombiniert mit saftig-süßen Orangenfilets und geschmortem Chicorée, dessen leichte Bitterkeit aus diesem perfekten Dessert ein spannendes Dessert macht. Das Spiel mit deutlicher Säure, Frucht und Süße, beherzt kombiniert auch mit Bitteraromen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Menü und macht die vermeintlich unkomplizierte "Bistroküche" im mai Beck zum besonderen Genuss. Die Raffinesse steckt hier im Detail, in den subtilen Würzungen, der Kombination auch vermeintlich konträrer Aromen. Und auch das Geschäftliche klappt am Ende gut, die Rechnung kommt in gewünschter Form, der anfängliche Zahlenstress ist kein Thema mehr. No Shows sind an diesem Abend auch nicht auszumachen, das Restaurant ist bis auf den letzten Platz besetzt. Reservierung ist daher, nicht nur in diesem Sinne, empfohlen.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2016
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