Lokaltermin:Leuchtendroter

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Im Frankfurter Ostend hat das vegetarische Sternerestaurant "Seven Swans" ein kleines Schwesterlokal mit "derb-deftiger" Küche eröffnet.

Von Kai Mihm

Das Angebot an vegetarischen Restaurants wird immer interessanter. Im Frankfurter Ostend hat das Sternelokal Seven Swans gerade einen Ableger mit "derb-deftiger" Küche eröffnet - das Leuchtendroter. Der Name ist der Punkband der Betreiber entlehnt, auch sonst klingt der Anspruch - "vegetarisches Opium fürs Volk" - rockig bis vollmundig. Kai Mihm fragte sich, warum manches auf dem Teller dann so bieder bleibt? Ein bisschen mehr Punk würde den Gerichten hier durchaus guttun.

Von München bis Berlin kann man heute auf beachtlichem Niveau fleischlos essen, ganz selbstverständlich. Trotzdem ertappt man sich vor dem Besuch eines rein vegetarischen Restaurants oft noch in einer Erklärungshaltung, in der Art von "Wir machen das heute mal." Denn Zeitgeist hin oder her: Nicht wenigen steht das Motto "vegetarisch" noch immer für Moral, Belehrung und Kargheit, nicht für lustvollen Genuss.

Im "Leuchtendroter", einem neuen vegetarisch-veganen Restaurant im sich gentrifizierenden Frankfurter Ostend, soll ein freudloses Öko-Image gar nicht erst aufkommen. Von einem "Befreiungsschlag" war in Vorberichten die Rede, der hipstermäßige Name sei der Punkband der Geschäftsführer entlehnt, die auch das besternte Restaurant "Seven Swans" betreiben - ebenfalls rein vegetarisch. Das Leuchtendroter sei nun dessen "verruchte kleine Schwester", mit "derb-deftiger" Küche. Die Reservierungsbestätigung verspricht "vegetarisches Opium fürs Volk". Alles ganz schön vollmundig also.

Tatsächlich ist der erste Eindruck dann eher gediegen. Das Restaurant befindet sich im Erdgeschoss eines neuen Boutique-Hotels, mehr Bobo als Punk. Räumlich ist es gut integriert, man fühlt sich nicht wie in einem Hotelrestaurant, sondern wie in einem besonders beliebten Szenelokal, proppenvoll, lebhaft, mit bunt gemischtem Publikum. Das Interieur kombiniert französische Bistro-Gemütlichkeit mit skandinavischer Klarheit. Es gibt viel Holz und ein bisschen Kunst, warmes Licht und gedämpfte Rot- und Brauntöne. Auf der Karte stehen zehn würzige Speisen zur Wahl, allerdings nicht als individuelle Tellergerichte: Es geht, wie heute gefühlt überall, um "Sharing" - für manchen ist auch das ein Warnsignal, weil man bei kleinen Portionen in größerer Gruppe nie wirklich unbeschwert zugreift und sich am Ende des Abends oft fragt, ob man genug gegessen hat. Gut umgesetzt sind "kleine Tellergerichte" jedoch eine herrlich kurzweilige Art zu essen (man denke an die Tapas-Kultur), und im Leuchtendroter kommen angesichts der moderaten Preise (sieben bis neun Euro) auch keine Bestellhemmungen auf: "Einmal alles bitte" ist zu zweit mit gesundem Appetit keine schlechte Wahl.

Allerdings würden Skeptiker sich beim ersten Gericht dieses Abends in ihren Vorurteilen bestätigt sehen: Auf dem Teller liegen zwei Ofenkarotten, vier Stückchen geräucherter Ricotta und fünf Mini-Kartoffeln, alles nackt und nahezu ungewürzt. Solcher Purismus kann mit besten Produkten prima funktionieren, doch mit Ausnahme der krossen Backkartoffeln, die Kindheitserinnerungen an Lagerfeuerabende wecken, bleibt das Ensemble geschmacklich blass - was gäben wir hier für ein Schälchen Crème fraiche und etwas Fleur de sel. Wesentlich stimmiger ist ein Kürbis-Zweierlei, bestehend aus Tatar und roh marinierten hauchdünnen Scheiben. Das grob geraspelte Tatar schmeckt herrlich saftig, und die feinsäuerliche Marinade unterstützt den milden Eigengeschmack des Gemüses; dazu gibt's crunchy Kürbiskerne und als origineller Clou bringen Quittenstücke eine winterfruchtig-frische Note ins Spiel. Noch besser ist die Ofenzwiebel mit üppigem Kartoffelpüree und Stachelbart, dampfend heiß und dicht im Geschmack, leicht süßlich wegen der geschmorten Zwiebel und mit viel Umami wegen der gerösteten Pilze. Am Tisch wird noch ein hervorragender Zwiebelsud angegossen. Nach dem Prinzip "Kohlenhydrate plus Pilze und Sauce" funktioniert auch der Semmelknödel aus würzigem Schabzigerklee-Brot mit Goldkäppchen und einer dunklen "Bratensauce" auf Gemüsebasis: ein kräftiges Winter-Wohlfühlgericht par excellence.

Doch leider bleibt die Güte der Gerichte durchwachsen. Die Steinpilz-Kartoffelgnocchi, leicht angebraten, sitzen auf einer laschen Bergkäsecrème. Von den Pilzen schmeckt man fast gar nichts, dafür quietschen sehr, nun ja, "al dente" gekochte grüne Bohnen an den Zähnen. Auch der zu weich gebratene Brokkoli mit Knoblauch und kaum schmeckbarer Sauerteig-Creme erfüllt das Klischee von fader Gemüseküche. Nachwürzen soll man selbst, mit einer dicken Paprika-Chili-Soße und dünnem Shiitake-Sud, der als "eine Art vegetarische Fischsauce" annonciert wird, was die Frage aufwirft, ob in der Küche schon mal jemand echte Fischsauce probiert hat. Zum Glück zieht das Niveau bei den knackigen Sellerienudeln mit leichter Ziegenkäsevelouté und konfiertem Eigelb wieder an. Das schmeckt mild, aber nicht fad. Eine stimmige Abwandlung der klassischen Spaghetti Carbonara, mit Würfeln von geräucherter Rote Bete anstelle von Guanciale-Speck.

Bei den Desserts überzeugt das üppige Honigeis mit süßsaurem Kürbisragout und einem buttrigen Keks aus Dinkel- und Hanfmehl. Keine filigrane Pâtisserie, sondern auf gelungene Weise bodenständig. Dagegen schmeckt die arg schaumige Hafercrème mit Pflaumenkompott genau so zahm, wie sie klingt.

Der wechselhafte Abschluss passt zum Gesamteindruck, dass im Leuchtendroter Originelles und Banales sich die Waage hält. Gefällig ist alles, so als wolle man niemanden mit allzu kühnen Ideen verschrecken. Nur entspricht das nicht dem erklärten Anspruch. Oder anderes gesagt: Es schmeckt ja gut, aber ein bisschen mehr Punk dürfte es schon sein.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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