Lokaltermin:Le Train Bleu

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Das Restaurant des Gare de Lyon in Paris ist so pompös wie der berühmte Bahnhof selbst. Im frisch renovierten "Le Train Bleu" kann man in französischer Klassik schwelgen.

Von Jutta Göricke

Das Restaurant des Gare de Lyon ist so pompös wie der berühmte Bahnhof selbst und eine Pariser Institution. Ins frisch renovierte Le Train Bleu kommen Großfamilien nicht für einen Happen auf der Durchreise, sondern, um in der französischen Klassik zu schwelgen. Wer es ihnen gleichtun will, der sollte Appetit und Muße mitbringen, rät Jutta Göricke. Anders ist das gigantische Beef tartare unter Goldstuck nicht zu bewältigen

Tape à l'oeil - hier gibt's was auf Auge, sagt der Pariser und meint damit einen Anblick, der so überwältigend ist, dass einem die Spucke wegbleibt. Besser lässt sich nicht beschreiben, was den Gast des "Le Train Bleu" erwartet. Ein Ambiente wie im Märchenpalast, riesige Speisesäle bevölkert von Skulpturen, geschmückt mit monumentalen Wand- und Deckengemälden, gefasst in goldenen Stuck, überwölbt von gigantischen Rundbögen, beleuchtet von üppigen Lüstern. Hier tobt das 19. Jahrhundert - wenn auch schon mit einem Schuss Jugendstil.

Das Restaurant Le Train Bleu, 1901 vom Staatspräsidenten eingeweiht, ist bis heute in der ursprünglichen Ausstattung erhalten und wurde gerade erst glänzend renoviert. Der Name, der auf den Luxuszug von Calais an die Riviera zurückgeht, kommt nicht von ungefähr. Le Train Bleu ist im ebenso prächtigen Gare de Lyon untergebracht, jenem Bahnhof, von dem aus die Pariser noch heute Richtung Süden in den Sommer aufbrechen. Und da Bahnhöfe die Kathedralen des Industriezeitalters waren, brauchte auch das Restaurant des Gare de Lyon ein opulentes Ambiente, schon als Bühne für die DramaQueens des Fin de Siècle, die hier ihre Auftritte feierten. Seitdem waren sie alle hier - Jean Cocteau, Coco Chanel, Jean Gabin, Brigitte Bardot. Und wenn die französische Klassik in der Diskussion um die Modernisierung der Küche auch noch so arg gezaust wurde, im Train Bleu finden ihre Anhänger Trost von seiner üppigsten Seite. Das Lokal ist eine Institution. Auch für Pariser Großfamilien, wie man an diesem Sonntagmittag feststellt. Von der eleganten Grandmère bis zum feingemachten Enkel sind sie hier versammelt, um den Klassikern der französischen Küche zu frönen und das entspannte Miteinander zu genießen. Denn trotz seiner Großspurigkeit schüchtert das Ambiente nicht ein. Vielmehr fühlt sich der Gast als Teil eines großen Gesellschaftsspiels, von Tony, dem munter parlierenden Chef de salle, zum Mitmachen aufgefordert. Und so lässt man sich in die Prunkbank fallen, lauscht dem dezenten Grundsummen im Saal und beobachtet den Laufverkehr der Garçons, die einer Choreografie zu folgen scheinen.

(Foto: N/A)

Die Karte, nicht sehr groß, ist so traditionell, wie es nur geht im Jahr 2016. Lammkeule, halbgegarter Foie gras, alles dabei. Nach einem kleinen Plausch mit Tony entscheiden wir uns für ein Menu des Arts (65 Euro, für Eilige gibt es das Menu du Voyager zu 49 Euro) sowie für einige Spezialitäten von der Karte. Ein Fläschchen wunderbar beeriger Rotwein gehört zum Menü. (Côtes de Bourg AOC, Laroche Joubert, 0,35 l). Der erste Gang ist eine Panna Cotta aus Fenchel mit Tartar von der Dorade, harmonisch abgestimmt mit knisternden Akzenten aus Orangeat, Fleur de sel und Estragon. Das Menu indessen startet mit einer Spargel-Gazpacho, kombiniert mit frischer Minze, Schnittlauch, Schafsfrischkäse und einem herrlich crunchigen Streifen Parmaschinken. Beide Teller machen Spaß. Mit einem Grad an Raffinesse, den man etwa in einer gehobenen Brasserie erwarten würde.

Der Höhepunkt ist hier aber das Beef tartare (35 Euro). Seit Auguste Escoffier es 1903 in seinen Guide Culinaire aufnahm, ist das Gericht fester Bestandteil der Grande Cuisine. Und im Train Bleu wird dieser Klassiker in Reinkultur serviert. Der Name Beef tartare geht auf die Tataren zurück, die angeblich Fleisch unter ihren Sätteln mürbe ritten und massenhaft rohe Eier schlürften. Wichtigste Botschaft der Legende: Dieser Teller ist nichts für Susis, wie auch Tony mit souveräner Eleganz vorführt, als er alle Zutaten traditionell bei Tisch anrichtet: das rohe Muskelfleisch vom Rind, feinstgehackt (der Fleischwolf gilt als Todsünde), ein Eigelb, dazu Kapern, Zwiebelwürfelchen, Tabasco, Sauce anglaise (zu deutsch Worcestersauce), Salz, Pfeffer und Petersilie. Das Ergebnis ist ein großartiges Geschmacks- und Texturerlebnis, bei dem jede Zutat ihre Stärke ausspielt und sich doch alle zu einer wohligen Melange vereinen. Allerdings hätte die halbe Portion gereicht. Die Pommes frites haben jedenfalls keinen Platz mehr. Aber der frische Salat ist unverzichtbar als Begleiter.

Weniger erbaulich ist das Duo von Kalbsbrust und Geflügel aus der Gascogne, zubereitet mit Spinat und Zucchini. Das Fleisch ist trocken, von der vielversprechenden kandierten Zitrone nicht viel zu schmecken. Ein enttäuschender Abschluss, wo doch der Sättigungsgrad kein Dessert mehr zulässt. Niemals. "Aber, Madame! Nicht wenigstens eine Kleinigkeit? Zum Café?" Tja, was soll man sagen - wer nicht auf Tony hört, verpasst etwas. Nämlich den grandiosen Café gourmand (6,10 Euro), eine Versammlung winziger Köstlichkeiten aus der Patisserie, jede einzelne zum Niederknien. Es gibt Baba au rhum, ein süßes Hefegebäck mit Rum und Madagaskar-Vanillesahne, Biskuitröllchen, gefüllt mit Mousses au chocolat noir et noisette, eine Zitronencreme auf Streusel, luftig-himbeerige Biscuits de Reims und dazu einen kräftigen Café (leider neuerdings aus Nespresso-Kapseln).

Ging alles gerade so noch rein. Doch die französische Klassik (und Le Train Bleu ist so etwas wie der Superlativ davon) duldet weder Kompromiss-Esser noch mäkelige Trend-Diätler. Man muss sich ihr ganz hingeben. Was für ein Spaß!

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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