Lokaltermin:Kirchenwirt

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Der 800 Jahre alte Kirchenwirt in Leogang im Salzburger Pinzgau gehört zu den ältesten Restaurants Europas. Gekocht wird regional mit internationaler Ausrichtung. Beeindruckender als die Küche ist allerdings der Weinkeller.

Von Katharina Seiser

Der Kirchenwirt in Leogang im Salzburger Pinzgau gehört zu den ältesten Restaurants Europas. Seit 700 Jahren ist er dort das erste Haus am Platz. Die festungsgleichen, zurückhaltend restaurierten Grundmauern beherbergen heute ein Luxushotel. Gekocht wird regional mit internationaler Ausrichtung, doch beeindruckender als die Küche fand Katharina Seiser den Weinkeller.

Wo es heißt, ein Haus "atme Geschichte", geht es meist um zu viel Pathos. Doch beim "Kirchenwirt" in Leogang ist diese Formulierung endlich mal angebracht. Im Salzburger Pinzgau fährt man im Winter Ski und wandert im Sommer auf den Almen des Nationalparks Hohe Tauern. Der Kirchenwirt ist das erste Haus am Platz - seit 700 Jahren. Urkundlich erwähnt wurde das Gasthaus erstmals 1326, womöglich ist es sogar hundert Jahre älter. Dass Geschichte hier kein Marketinggag ist, merkt der Gast früh. Schon am Weg vom Parkplatz zum Lokal steht ein uraltes Gebäude mit gotischem Gewölbe - der Samerstall. Vor Jahrhunderten diente er den Samern und ihren Pferden, die, beladen mit Salz oder Wein, auf Handelsdurchreise waren, als Unterkunft. Heute wird der Stall vor allem für Hochzeiten genutzt.

Abgesehen von wenigen zeitgemäßen Details am Eingang, wirkt der Kirchenwirt fast wie eine Festung. Mit Grundmauern, die nichts umhaut. Sie beherbergen ein Luxushotel, geführt wird es von den Geschwistern Hans-Jörg Unterreiner, früher Snowboard-Profi, und Barbara Kottke, die zuvor in der Modebranche arbeitete. Als die Eltern fanden, es wäre Zeit, dass die Jungen übernehmen, legten die Geschwister äußerst behutsam den alten Kern des Hauses frei. Kottkes Händchen für zurückhaltende, nur zart rustikale Eleganz ist offensichtlich. Der Ex-Sportler indes entdeckte seine Liebe zum Wein, ließ sich entsprechend ausbilden und ist heute Herr über einen Keller mit Schätzen aus aller Weinwelt, der selbst in Metropolen nicht selbstverständlich wäre. Und so ideale Lagerbedingungen wie im Bauch des uralten Kirchenwirts, das ist gewiss, findet man selten.

Die Gaststube schaut so aus wie ein Filmset, zeitlich nicht einzuordnen, puristisch und ohne jede Alpenfolklore. Die Küche setzt auf regionale Zutaten, stilistisch ist sie erfrischend offen. Es gibt ein großes Feinschmeckermenü und ein kleineres, das sich "Back to the Roots" nennt (4 Gänge, vegetarisch zu 45 Euro, oder mit Fisch als Hauptspeise zu 50 Euro), in dem alte, fast vergessene Zutaten und Zubereitungen wiederbelebt werden. Zum Studium der Karte kommen herrliche Thymianweckerl und andere Brote mit verschiedenen Aufstrichen. Die aufgeschlagene Butter schmeckt verführerisch nach Nuss, Räucherpaprika ist eine schöne Fremdanleihe, und bereits bei den Amuse-Bouches wird klar, dass hier routiniert mit internationaler Erfahrung gekocht wird: Sellerievariation mit Kräuter-Sponge und Karottenflan mit marinierten Rüben.

Das Menü eröffnet mit geschmorter Roter Rübe mit Apfel in verschiedenen Konsistenzen - ein schöner, saisonaler Einstieg. Dazu gibt es burgenländischen Neuburger Auf der Maische von Schönberger, ein Naturwein, wie er zu diesem eleganten Setting passt. Die klare Kartoffelsuppe mit Lardo-Raviolo ist eine Idee zu salzig, macht aber mit ihrem Duft nach Ofenkartoffeln Freude. Kalbsbries mit Jakobsmuscheln, Kumquats und Puntarelle (20 Euro) geht mit dem dazu empfohlenen Chenin blanc von der Domaine Langlois-Chateau eine perfekte Allianz ein. Man vergisst nun fast, dass man mitten in den Alpen sitzt. Dieser Gang erweist sich als einer von drei Höhepunkten des Abends, neben der Schwarzwurzelsuppe aus dem Menü (mit Birne und Petersilie) sowie dem mustergültigen Leoganger Bio-Kalbsrahmbeuscherl mit Briocheknödeln (klein 15 Euro). Das alles schmeckt so unterschiedlich wie perfekt: Gargrad und Temperatur von Bries und Muscheln, Aroma und zarte Cremigkeit der Suppe, Leichtigkeit, Konsistenz und säuerliche Abrundung des Beuschels mit dem flaumig-buttrigen Knödel: eine Wonne.

Die Hauptspeisen - in großzügigen Portionen - geraten dann alle etwas schwerfälliger. Hier regieren noch die stark einreduzierten (und zu dunkel gerösteten) Saucen. Der Hauptgang aus dem Menü - gebratener Saibling auf Linsen und wildem Brokkoli - ist zu salzig. Die bunten Linsen haben eine schöne Konsistenz, der Fisch war aber viel zu lange in der Pfanne. Dazu gibt es akkurate Röstkartoffelwürfel, so stark gesalzen, dass nur der Griff zum Weinglas hilft. Richtig fein ist dafür die rosa gebratene Entenbrust mit Butternusskürbis, Hirse und köstlich geschwärztem, dabei saftig-weich geschmortem Lauch (28 Euro), die Hirse als kräuterige Nockerl, der Kürbis feingewürfelt sowie als Püree. Der Spanferkelrollbraten (20 Euro) widersetzt sich dann hartnäckig den Schneidversuchen. Die zwei Fleischstücke sind unterschiedlich weich, die Kruste ist nur zum Teil so knusprig, wie sie aussieht. Der sehr dichte Bratensaft übertönt das milde Fleisch, auch das Sauerkraut hat wieder reichlich Salz mitbekommen. Köstlich und mild dagegen die Erdäpfelpaunzerl, eine Art gebratene Gnocchi. Und natürlich gibt es hier auch ein gut gezapftes Bier, obwohl die Sommeliers mehr Spaß am Wein haben, kein Wunder bei der Karte.

Bei den Desserts ist dann etwas die Luft draußen. Als Abschluss des "Back to the Roots"-Menüs wird hübsch angerichtete Alpenmilch-Pannacotta im tiefen Teller (wodurch sie eine Haut hatte) serviert, dazu Karottensorbet und etwas Crumble. Der Kardamom in der Pannacotta dominiert extrem. Und der Milchreis (9 Euro) eignet sich nicht als Ausklang eines eleganten Menüs. Dafür ist er zu viel, zu pampig und die Sauerkirschen darauf scheinen aus dem Glas zu kommen - außer Säure haben sie leider nicht viel zu bieten. Weil aber das nächste Spitzengewächs im Glas hier nie lange auf sich warten lässt, hat man bis zum nächsten Morgen, falls man in einem der sensationell renovierten Säle (Zimmer wäre untertrieben) nächtigt - ohnehin das Ende des Menüs vergessen.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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