Lokaltermin:In der Wursthölle

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Im Vergleich zum Hofbräu-Wirtshaus am Berliner Alexanderplatz ist das Oktoberfest ein wahrer Gourmethimmel. Was hat die Hofbräu-Brauerei bloß geritten, diese Wursthölle zu lizensieren?

Sollten wir je ein böses Wort über den kulinarischen Massenbetrieb auf dem Oktoberfest verloren haben, dann leisten wir hiermit Abbitte. Die Wiesn ist ein Gourmethimmel. Jedenfalls im Vergleich zum Hofbräu Wirtshaus am Berliner Alexanderplatz. Harriet Köhler fragte sich: Was hat die Hofbräu-Brauerei bloß geritten, diese Wursthölle zu lizensieren?

Der Japaner hat halt einen Riecher, zumindest, wenn es ums Essen geht. Der Japaner marschiert nämlich einfach rein in die Hallen des Hofbräu-Wirtshauses, ignoriert Hopfendoldendeko, Blasmusidampf und Masskrugdunst, ignoriert die Speisekarte und auch die Plastikaufsteller auf den langen Tischen und ordert ohne Umschweife: "Ha-kse!" Dass die gut ist, muss irgendwo im japanischen Internet stehen, so erzählt es die nette Bedienung mit dem geflochtenen Haarkranz und dem flotten Dirndl - beurteilen kann sie es nicht, weil Vegetarierin. Aber die Haxe ist das, was sie am meisten verkauft, gleich nach dem Würstelteller mit Weiß-, Rostbrat- und Wiener Würsteln auf Sauerkraut und Kartoffelpüree.

Ja, das steht wirklich so auf der Karte. Und wer jetzt irritiert aus dem Fenster späht, stellt fest, dass den Biergarten da draußen keine alte Kastanie überschattet, sondern der sozialistische Koloss des Pressehauses an der Karl-Liebknecht-Allee, und dass den Himmel darüber keine Frauentürme zieren, sondern bloß die Spitze von St. Walter - dem Fernsehturm, der nervös blinkt. Kopf in den Nacken: Auch über uns keine Lüftlmalerei, sondern Lüftungsrohre. Wir sind eben in Berlin. Und vor dem Mauerfall ist das hier kein Wirtshaus, sondern Ministeriumskantine gewesen ("Fresswürfel der DDR").

Man weiß nicht genau, was die Hofbräu-Brauerei geritten hat, die Franchise-Kette der "Hofbräu-Wirtshäuser" eines Hamburger Großgastronomen zu lizenzieren. Oder man weiß es natürlich doch: Sie wird schon gut daran verdienen. Sechs Ableger gibt es inzwischen, in Hamburg, Hannover und in einer Indoor-Skihalle in Bispingen. Der Erfolg ist riesig, allein hier am Alexanderplatz haben sie 2500 Plätze, es ist angeblich das größte Wirtshaus Europas. An Berliner dürfte sich das Angebot allerdings weniger richten, an Exilbayern erst recht nicht - sondern eher an Touristen, die es mit dem Unterschied zwischen Alemania im Allgemeinen und Baviera im Besonderen nicht ganz so genau nehmen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, würde die Küche ihre sogenannten Schmankerl nicht genauso gleichgültig produzieren. Die Anführungszeichen sind Absicht, denn was hier serviert wird, hat die Bezeichnung Essen eigentlich nicht verdient.

Man muss sich noch einmal einen hausgemachten, buttrig-geschmeidigen Obazda ins Gedächtnis rufen, diese Würze, wenn sich die Aromen von gut gereiftem Camembert, Rosenpaprika und Kümmel vermählen. Das, was sie hier servieren, ist angeblich ebenfalls selbst produziert. Nur woraus, fragt man sich! Es ist eine geschmacklich flache, klebrig-zähe Masse ohne jeden Schmelz, eher so wie gefärbtes Kartoffelpüree (6,90 Euro). Das dazu servierte "frische Bauernbrot" schmeckt wie fertig geschnittenes Supermarktgraubrot aus dem Plastikbeutel, hat aber immerhin die unterhaltsame Eigenschaft, immer wieder zurück in seine Form zu springen, wenn man es zerdrückt. Die nachbestellte "Brezn" ist zwar warm, aber so trocken, dass sie einem im Mund zu Staub zerbröselt - so viel Helles (4,50 Euro für die Halbe) kann man gar nicht trinken.

Geht's noch schlimmer? Es geht. In diesem Jahr wird ja der 500. Todestag von Hieronymus Bosch begangen - hätte der das Hofbräu gekannt, er hätte sich seine gesammelten Gräuel gespart und gleich "Schlachterplatten" gepinselt (19,90 Euro pro Person). Die "Weißwürstl": lauwarme, dumpfe Genossen ohne jede Würze, die sich weder zuzeln noch pellen noch überhaupt genießen lassen. Der "abgebräunte Leberkäs": eine tranige Scheibe, die in erster Linie nach Salz schmeckt und in zweiter Linie nach nichts. Die "Rostbratwürstl" sind fettig und aromenfrei, der "Krautsalat" ist pappsüße Eimerware, aber immer noch besser als das zu schleimigem Mus zerkochte "Sauerkraut", das so widerwärtig ist, dass man in Erwägung zieht, eine Probe davon zur Analyse ins Labor zu schicken. Was ist das für ein Säuerungsmittel, das da so penetrant hervorsticht?

Der "deftige Schweinsbraten" ist ebenfalls mysteriös, er hat nämlich weder die Struktur von Fleisch, noch schmeckt er nach solchem - sondern eher so, als habe man schon das Tier mit Glutamat gefüttert. Ein abschreckendes Beispiel deutscher Lebensmittelchemie ist auch die dazu servierte "Dunkelbiersauce", eine geschmacksfreie, braune Flüssigkeit, die mit reichlich Mondamin abgebunden wurde und nun wie eine Eins in ihrer Sauciere steht. Der "Kartoffelknödel" ist normale Kochbeutelware - in diesem Kontext beinahe positiv.

Der Stimmung im Saal kann das miese Essen aber nichts anhaben: Ein "Prosit der Gemütlichkeit" schallt von der zweiköpfigen Halbplayback-Kapelle herüber, Wangen röten sich, Touristen fangen an, fürs Erinnerungsfoto mit Masskrügen zu posieren. Doch wir verschwinden nicht, ohne die Haxe probiert zu haben, die wie eine allerletzte Drohung ganz oben auf der Platte der acht Grausamkeiten liegt. Sie ist dann tatsächlich essbar, stellenweise zumindest, und die Kruste, ja, die knuspert sogar ein wenig. Unser Appetit ist da allerdings schon weg. Und wir? Wir folgen ihm.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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