Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Hotel Sacher, Wien

Zum Schaulaufen treffen sich die Gäste im Restaurant "Rote Bar". Dort gibt es Wiener Klassiker wie Schnitzel und Tafelspitz. Einiges ist eher enttäuschend.

Von Katharina Seiser

Wer ins Hotel Sacher in Wien geht, wird angemessen staatstragend begrüßt. Zum Schaulaufen treffen sich die Gäste im Restaurant "Rote Bar". Dort gibt es Wiener Klassiker wie Schnitzel und Tafelspitz, jedoch auch Speisen, die aufgebrezelt sind wie das ganze Haus, kulinarisch aber eher enttäuschen, findet Katharina Seiser.

Egal, wen man in Wien darauf anspricht: Zum Stichwort "Sacher" fällt allen etwas ein. Meist mit dem Artikel "die" voran. Dann ist die Torte gemeint. Manchmal auch mit "das". Dann ist gewöhnlich ehrfurchtsvoll oder leicht spöttisch (in Wien kein Widerspruch) vom Grand Hotel die Rede. Selten denkt man an "den" Sacher. Doch dieser Franz Sacher ist Urheber der Torte ebenso wie Vater des Hotelgründers. Vor ein paar Tagen jährte sich sein Geburtstag zum 200. Mal.

Anlass genug, im Sacher auf Spurensuche nach dem Geist des Gründers und vor allem der Patronne Anna Sacher zu gehen. Was ist von dieser Zigarren rauchenden, Bulldoggen liebenden und als ungewöhnlich emanzipiert geltenden Witwe, bei der jahrzehntelang alles, was in Wien Rang, Geld und Namen hatte, ein und aus ging, noch zu spüren? Die in ihren Restaurants selbst zu Kriegszeiten noch Luxus auftischte, über den sich die Wiener das Maul zerrissen?

Das Sacher hat einen unbezahlbaren Vorteil: seine Lage. Direkt hinter der Oper ist es seit mehr als 140 Jahren untrennbar mit dem ersten Bezirk verwachsen. Selbstverständlich ist der Portier parat, um die Tür aufzureißen, als sei man Staatsbesuch. Das mögen die Gäste, da sind sie wer.

Beim Betreten des Restaurants "Rote Bar" (der Name ist verwirrend, die eigentliche Bar ist weiter hinten) ändert sich das aber schlagartig. Die Klientel dort taxiert jeden Neuzugang auf Kleidung und Schmuck. Gehören sie zu uns? Wenn nein, wird man zum Glück ignoriert. Nicht so vom Service, der, wie es sich für ein Haus, das zu Zeiten des Vielvölkerstaates seine Hochzeit hatte, gehört, aus aller Herren Länder kommt. Höflich und geflissentlich agiert er. In der "Roten Bar" ist wirklich alles rot, bis zur Decke mit Brokat und Samt ausgekleidet, hochfloriger Teppich dämpft Schritt und Gespräche, der überlebensgroße Hund in Öl wacht über die Gesellschaft. Das tut auch Kaiser Franz Joseph, der aus einem Gemälde so plastisch herausschaut, als würde er die Schratt suchen, seine Liebschaft, die hier angeblich so gern verweilte.

Drüben im Restaurant "Anna Sacher" wird internationale Küche auf hohem Niveau serviert, aber hier, in der "Roten Bar", fühlt man sich bei Wiener Klassikern gut aufgehoben. Freilich, eine Rindssuppe für neun Euro, ein Wiener Schnitzel für 27 und ein Tafelspitz für 29 Euro sind keine Mezzie. Aber irgendwie muss die Instandhaltung des alten Charmes finanziert werden. Gutes Brot und zweierlei Butter kommen zum Gedeck, die Küche grüßt versehentlich zwei Mal. Als der Kellner noch einmal den winzigen Hirschschinken mit Rotkrautcreme einstellt und man ihn auf das Déjà-vu aufmerksam macht, lässt er ihn mit generöser Geste stehen.

In einem Satz

Eine Torte, ein Haus, eine Familie, dafür ist Sacher weltberühmt; in der "Roten Bar" gibt es dazu überteuerte Wiener Küche mit Historie.

Qualität: ○○●●●

Ambiente: ○●●●●

Service: ○●●●●

Preis/Leistung: ○○●●●

Die Vorspeise aus dem Wochenmenü verschwimmt in der Erinnerung zu einer Nachspeise, hätte der Ziegenkäse mit Quittengelee, Lebkuchenbröseln und eingelegten Zwergapferln doch auch am Ende des Menüs kommen können. Auch der Donauhuchen, der majestätische Fisch, wird mit sehr süßen roten Rüben serviert, die zwei Mandarinenspalten obenauf machen eine so klägliche Figur, dass man die Hoffnung für den kulinarischen Rest des Abends aufgeben möchte. Die Rindssuppe schmeckt sehr kräftig, leider schwimmt kein einziges der begehrten Fettaugerln obenauf. Der Lungenstrudel darin ist eine Miniatur, perfekt gemacht.

Der Tafelspitz wird am Nachbartisch als zu trocken bemäkelt. Weshalb echte Rindfleischfans lieber Schulterscherzel oder gar Beinfleisch ordern - wenn es angeboten wird. Das Rindfleisch schmeckt anständig, die Schnittlauchsoße könnte so wundersam wie selten eine ganz echte gewesen sein: aus gekochten Dottern und mit eingeweichtem Weißbrot gerührt. Apfelkren, Gemüse und Erdäpfelschmarrn kommen selbstverständlich dazu.

Die Weinkarte bietet einen schönen Querschnitt durch Österreichs beste Lagen, auch in halben Flaschen und glasweise wird man froh. Der Pianospieler intoniert - die Nähe zur Oper verpflichtet - sicher ein Repertoire aus Operette, Musical und Evergreens, passend zu den Gästen aus aller Welt und deren Alter. Während anderswo vom gekochten Rindfleisch aus dem Kupfertopf ein Deuxième Service (Nachschlag) angeboten wird, ist es hier beim perfekt soufflierten Wiener Schnitzel so. Die Panier wird mit entrindetem Weißbrot gemacht, wie es sich für so ein Haus schickt. Mit den Semmelbröseln des gewöhnlichen Volkes würde sie knuspriger werden. Löblich, dass das Kalbfleisch aus Österreich kommt, wie überhaupt die Küche auf regionale Produkte setzt und so zeitgemäß agiert.

Das versucht sie auch bei den Desserts wie Gewürzmousse oder Bratapfel-Tiramisu, aber nicht so erfolgreich. Aufgeputzt wie die Salons des Hauses und der meterhohe Christbaum im Lichthof kommen sie daher. Aber die bessere Wahl wären die Palatschinken am Nachbartisch gewesen, wären sie denn heiß serviert worden.

Bei aller Nostalgie und in Österreich immer noch unverhohlener Verklärung der Monarchie: Das Sacher mag einmal Avantgarde gewesen sein - das ist Vergangenheit. Für die Sachertorte - ob hier gegessen oder zu Hause gebacken - sind wir Franz Sacher aber ewig dankbar.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2016
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