Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Gustav

Lesezeit: 3 min

In dem Restaurant in Frankfurt ist die Stimmung locker, das Interieur reduziert - und die Küche großartig undogmatisch.

Von Kai Mihm

Tischdecken gibt es hier nicht, das Geschirr ist handgetöpfert und die Servietten aus feinstem Leinen liegen als Knäuel auf polierten Nussbaumtischen. Für Restaurants wie das "Gustav" im Frankfurter Westend wurde der Begriff "Casual Fine Dining" überhaupt erst erfunden. Die Küche ist raffiniert und regional, mit deutlichem Anteil an Gemüse und - wie wohltuend, findet Kai Mihm - ohne Dogmen. Wenn ein Fisch aus Bayern besser schmeckt, dann wird er eben von dort eingekauft.

Aus kulinarischer Sicht war 2015 ein bedeutsames Jahr für die deutsche Gastronomie. Das "Nobelhart & Schmutzig" in Berlin und das "Sosein" bei Nürnberg eröffneten und beide Restaurants wurden zu einflussreichen Ikonen der neuen deutschen Regionalküche. Aber es gab in dem Jahr noch einen dritten, in dieselbe Richtung kochenden Neuzugang: Das "Gustav" im Frankfurter Westend eröffnete fast zeitgleich mit dem Nobelhart, nur eben mit weniger überregionalem Aufsehen.

Das Interieur ist reduziert, aber keineswegs streng, es ist eine stimmige Mischung aus modernistischen Designklassikern, ungewöhnlichen Kunstobjekten und dezenten Vintage-Elementen. Tischdecken gibt es nicht, das Geschirr ist handgetöpfert und die Servietten aus feinstem Leinen liegen als bauschige Knäuel auf den polierten Nussbaumholztischen. Für Restaurants wie das Gustav wurde der Begriff "Casual Fine Dining" überhaupt erst erfunden. Als wir eintreffen, ist die Stimmung allerdings etwas angespannt: Wegen eines Systemfehlers ist das Lokal überbucht, Improvisation ist gefragt, und so werden wir flugs am großen Servicetisch platziert, neben Menükarten, Besteckkästchen und bauchigen Vasen. Ein wenig eng, aber hat was, und es zeugt von der positiven Atmosphäre im Gustav, dass die kleine Irritation sich schnell in Wohlgefallen auflöst.

Küchenchef Jochim Busch, 32, war vorher langjähriger Souschef von Andreas Krolik, der seit jeher eine vegetarische und vegane Küche auf höchstem Niveau zelebriert. Gemüse spielt auch im Gustav eine große Rolle: drei der sechs Menügänge (120 Euro, Wasser inklusive) haben pflanzliche Hauptprodukte. Viele Zutaten kommen aus der Region, doch Busch ist kein Dogmatiker - wenn ein Fisch aus bayerischer Zucht besser schmeckt, dann wird er eben von dort eingekauft. Woher das gebeizte Eigelb im Küchengruß an diesem Tag stammt, wissen wir nicht, aber sicher ist, dass Busch es mit Spinatcreme, knuspriger Hühnerhaut und Kartoffel-Verjusschaum zu einer delikaten Variante des Kindheitsklassikers "Rahmspinat mit Kartoffeln und Ei" veredelt.

Das Menü startet mit gebeiztem Saibling, den Busch mit Buttermilchsauce, geräuchertem Saiblingskaviar, Borretschkresse, Austernkraut und Eisbegonienblüten wie einen frühherbstlichen Kranz anrichtet, dazwischen winzige Würfel von Gurke und Rettich für leichten Biss und Frische. Das sind eine Menge Zutaten auf dem Teller, doch dient alles dazu, den eleganten Geschmack des Fischs zu unterstützen.

Wesentlich puristischer wird es bei der gegrillten und marinierten Roten Beete, die lediglich mit etwas Emulsion und Pulver vom Johannisbeerstrauch, eingelegten schwarzen Johannisbeeren und gerösteten Leindottersamen serviert wird. Das schmeckt erdig und süßlich, bringt dunkle Grillaromen und die Säuerlichkeit der Johannisbeeren in Einklang. Noch reduzierter die Scheibe halbgetrockneter Ochsenherztomate, die in einer Essenz von Süßwasserfischen liegt. Es schmeckt großartig, wie eine Verdichtung sonnengesättigter Sommeraromen. Die sämige Essenz, gekocht aus Zander-, Forellen- und Saiblingsköpfen, hat nichts Fischiges, sondern ist ungeheuer dicht und wohlig-warm. Zusammen hat dieses Duo eine regelrecht atemberaubende Kraft.

Konzeptionell ähnlich, aber sehr viel leiser im Geschmack kommt der in Kombucha gegarte Kürbis daher: Die hauchdünn aufgeschnittenen, bissfesten Hokkaido-Röllchen erinnern an al dente-gekochte Pastablätter. Eine Entenemulsion mit Röstzwiebelöl macht das Ganze würzig-vollmundig, bleibt aber in der Note angenehm zurückhaltend. Leider wird diese milde Eleganz von der dominanten Intensität eingemachter Preiselbeeren und frittierter Kürbiskerne dann doch etwas aus der Balance gebracht.

Beim Hauptgang, einem butterzarten Lammnacken mit Dicken Bohnen und geräuchertem Schmand, zeigt Busch, dass auch vermeintlich deftige Schmorgerichte ihren Platz in der Spitzenküche haben. Man muss sich nur trauen.

Schwächer wird es dann bei den Nachspeisen. Das Dessert aus sehr weich gebackenen Zwetschgen mit Quarkeis und einer Garnitur aus Malzöl, getrockneten Kornblumen und vielen weiteren Kleinigkeiten schmeckt wie Frühstücksmüsli mit Fruchtquark. Der Käsegang aus fünf Graubrot-Crackern mit Schafskäse, eingelegten Stachelbeeren und Schabzigerklee wirkt so, als habe man aus einem Käse-Küchengruß schnell noch ein ganzes Gericht gemacht.

Zum Glück wissen wir von früheren Besuchen, dass Busch es besser kann: Bei den letzten Schlücken Weins erinnern wir uns an sein großartiges Signature-Dessert aus Topinambureis, Feldsalat und Rübenkraut, und die originelle Frankfurter Handkäs'-Crème mit Apfelweinperlen. Inzwischen ist es spät geworden, der Gastraum leert sich. An einem Tisch meldet sich ein Babyphone, der Vater geht rasch ins Nachbarhaus. Lassen wir den Foodie-Jetset nach Berlin pilgern - das Schöne am Gustav ist, dass nicht nur die Küche regional denkt, sondern auch das Lokal selbst fest in seinem Viertel verankert ist.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019
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