Lokaltermin:Fischerklause

Warum ein Fischrestaurant in Ostholstein zum Pilgerort für Vinophile wird? Ganz einfach: Weil es eine der spannendsten Weinkarten Norddeutschlands anbietet.

Von Stevan Paul

Vor allem bei Weinfreunden gilt die Fischerklause im Nordosten Schleswig-Holsteins als Wallfahrtsort. Das Gasthaus ist äußerst romantisch am Lütjensee gelegen, je knappe 45 Autominuten von Hamburg und Lübeck entfernt. Und der gute Ruf als Weinlokal ist eng verbunden mit dem Patron des Hauses, dem gebürtigen Österreicher Gerhard Retter, vielfach ausgezeichneter Sommelier und gut vernetzter Gastronom. Der Wirtssohn aus der Steiermark wirkte schon in Eckart Witzigmanns Aubergine, bei Frédy Girardet in Lausanne, bei Gordon Ramsay in London und im Restaurant Lorenz Adlon in Berlin. Heute ist Retter einer der Betreiber der Cordobar in Berlin Mitte, eine der zeitgeistigsten Weinbars der Republik, deren Namen Profi-Auskenner stets mit hysterischem Quieken ausstoßen.

Die Fischerklause im Herzen der Stormarner Schweiz übernahmen Gerhard Retter und seine Frau Claudia bereits 2009 von den Schwiegereltern. Seitdem führen sie dort einen Familienbetrieb mit Pension, Bootsverleih und Fischerei, weit entfernt von jedem Berlin-Mitte-Chic. An diesem Sommerabend schwappen die Wasser des Lütjensees in beruhigendem Gleichtakt ans Ufer, am Steg dümpeln Ruderboote in der Abendsonne, der Mischwald steht in sattem Grün, Reiher gleiten majestätisch übers Wasser, der Holsteiner Himmel in königsblau und rosarot - was für ein Idyll! Das Lokal ist im aufgeräumten Landhausstil gehalten, die Fenstertische bieten Panoramablick. Das Menü listet neben regionalen Fischspezialitäten und Wild aus eigenem Revier auch Klassiker der Wiener Küche: Schnitzel, Tafelspitz, Marillenknödel.

Fischerklause

Der legendäre Weinkeller des Hauses verdankt sich auch Retters Faible für spannende Neueroberungen und seltene Flaschen. Doch die "Weinentdeckungen des Monats" auf der Speisekarte umfassen gerade mal eine Handvoll Empfehlungen (wahlweise 0,1, 0,2 und 0,75 Liter) und dienen, wie wir im Laufe des Abends genussvoll herausfinden, wohl nur als erste Anregung. Im Gespräch mit dem Service fallen dann schnell Sätze wie: "Da hab ich noch was ganz Interessantes, in die Richtung!" Oder immer wieder auch: "Da hab ich grade was ganz Schönes aufgemacht!" Der Service agiert höflich-charmant, überwiegend mit österreichischem Zungenschlag und glänzendem Weinwissen. Ab und an schaut der Chef selbst vorbei, prüft und kommentiert launig (und zum Vergnügen der Gäste!) Stimmung und Weinauswahl.

Zum Auftakt gibt es aber erst einmal "Kalte Ente", eine überstanden geglaubte Bowle-Zubereitung deutscher Tradition, die hier als erfrischend leichter Apéro im Weinglas wiederbelebt wurde: kühler Weißwein mit perlendem Winzersekt und einem Hauch Zitrone (7,50 Euro). Die Spezialität des Hause, Lütjenseer Aal in Gelee, ist aus, der Aal zeigt sich aber alternativ ebenfalls in Bestform: mild geräuchert auf geröstetem, gebutterten Schwarzbrot, mit gehobeltem Meerrettich und buntem Salat, begleitet von einem Rührei, das hier, ganz der guten alten Schule verpflichtet, eher ein fluffiges Schieb-Ei ist, elegant in Falten gelegt und saftig (16,50 Euro). Geschmacklich entbehrlich sind indes die Rote-Bete-Sprossen auf dem Teller, ebenso wie die Knoblauch-Sprossen auf den Nordseekrabben, serviert mit gegrillten Avocado-Spalten, Crème fraîche und schlanker Sauce Rouille (16,50 Euro). Zum Krustentier-Raviolo mit Safran-Edelfisch-Consommé (12 Euro) schlage ich einen Rosé vor, der junge Sommelier schüttelt energisch den Kopf und ja, es ist zu meinem Besten: Sein Gegenvorschlag, ein Oloroso-Sherry von den Bodegas Barbadillo ist ein perfect match - den Patron Retter im Vorbeigehen noch zu toppen weiß: mit einem herbeigezauberten Probierschlückchen vom Gonzalez Byass Apostoles Palo Cortado Sherry. Hier lernt man dazu!

In einem Satz

Wer hier - allein schon wegen der Weinkarte - eine Übernachtung einplant und ein offenes Ohr für den Service hat, kann einiges dazulernen.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

Als Hauptgang zarte Kalbsleber (21,50 Euro), perfekt gebraten, in dunkler Jus, mit Apfel, stückigem Kartoffelpüree und Röstzwiebeln. Dazu knuspriger Speck, den die Leber aber gar nicht nötig hätte. Die Portionen sind üppig, auch der auf der Haut kross gebratene Zander (27,50 Euro), der leider zuvor nicht entgrätet wurde. Dafür entschädigen das aromatische Gurkengemüse, Pfifferlinge und mit Fenchelsaat geschmorte Kirschtomaten in schaumigem Rahm. Eher rustikal zum Zander die Pellkartoffeln mit Crème fraîche und mehr Sprossen-Gedöns. Das Glas vom 2014 Chardonnay "Große Reserve Trocken" vom Württemberger Weingut Aldinger ist eine Empfehlung, ein großer Wein, der ans Burgund erinnert - gutes Stichwort für den Sommelier, der gerade wieder "was ganz Schönes aufgemacht" hat: Dem Aldinger Chardonnay folgt ein Glas Maranges 1er Cru La Fussiere von der Domaine Bachelet-Monnot - aus der Bourgogne.

Diesem ersten vinophilen Höhepunkt des Abends folgt der kulinarische: knusprige Tarte Tatin von Holsteiner Cox Äpfeln mit hausgemachtem Salzkaramell-Eis, Crème double und Karamellsauce extra. Dazu eine weitere, großartige Empfehlung: Le Mont Moelleux 1989 Première Trie von der Domaine Huet, Vouvray - ein Wein von Weltklasse, großes Glück im Glas! Wir hätten an diesem Abend auf keinen der empfohlenen Weine verzichten mögen, gut, dass das Haus über elf einfache Zimmer verfügt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: