Lokaltermin:Fabrik

In einem ehemaligen Kachelofen-Werk in Neustrelitz ist heute ein Öko-Hotel mit Restaurant untergebracht. Auch wenn die Karte eher rustikal ist, überzeugt die Qualität.

Von Philip Maußhardt

In der ehemaligen Kachelofen-Fabrik von Neustrelitz ist heute ein Öko-Hotel mit Kino, Galerie und Restaurant untergebracht. Nun war unser Autor Philipp Maußhardt so naiv zu glauben, dass man im einsamen Mecklenburg nicht reservieren müsste. In der Fabrik bekam er gerade eben noch einen Zwei-Stunden-Slot für 17 Uhr. Zum Glück!

Wäre Berlin mehr wie München, die Stoßstangen der Mittelklassewagen in Richtung Mecklenburger Seenplatte würden am Wochenende dicht an dicht kleben. Weil es aber nicht so ist, wird der Verkehr auf den Alleenstraßen schon hinter Pankow immer dünner. Bis nach Zehdenick könnte man sogar unfallfrei auf der Gegenspur fahren. Und wer es die gut 100 Kilometer bis Neustrelitz schafft, fragt sich angesichts des menschleeren Barock-Marktplatzes, ob sich die Fahrt bis hierher wirklich gelohnt hat.

Im Öko-Hotel "Fabrik" klingt das dann schon anders: "Was? Sie wollen hier auch essen?!" Die Rezeptionistin ist einigermaßen fassungslos. "Schwierig. Vielleicht wenn Sie gleich um 17 Uhr gehen, dann haben Sie noch eine Chance auf einen Tisch." Ausgestorbene Stadt und ausgebuchtes Restaurant - passt das zusammen? Doch, doch, das sei jedes Wochenende so, versichert die Rezeptionistin, "die Leute aus Neustrelitz kommen sehr gerne." So stehen wir also pünktlich um 17 Uhr vor der Tür der ehemaligen Kachelofenfabrik und die Bedienung erbarmt sich unser. Aber nur, wenn wir bis 19 Uhr den Tisch wieder räumen! Unsere Augen müssen sich an die dunkle Umgebung gewöhnen. Wir sitzen in einem schmalen Gang an einem rustikalen Holztisch, ringsherum rußüberzogene Ziegel, direkt vor uns der stillgelegte Brennofen der Kachelofenfabrik. Das Gebäude wurde vor 15 Jahren so liebevoll in ein Restaurant (mit zwei Kinoräumen und Galerie) umgebaut, dass es den Bundespreis für Denkmalpflege dafür gab.

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Die Speisekarte indes ist harmlos bis uninteressant (Flammkuchen, Blätterteigpastete mit grünem Spargel, Bio-Burger). Aber dafür kniet die Bedienung vor einer Tafel und notiert: "Rauke-Radicchio-Salat mit grünem und weißem Spargel, regionalem Ziegenkäse und Bio-Schinken, Käsepastete mit Oliven und hausgemachtem Aioli. Duett von Zander und Lachs auf Bärlauch-Risotto." Wir verfolgen mit wachsendem Appetit ihre Handbewegungen. "Bio-Schweinefilet mit Bärlauch-Kartoffelstampf und gebratenem Wurzelgemüse..." Als sie fertig ist, wissen wir, was der Küchenchef am Morgen eingekauft hat und heute auf unseren Tellern liegen wird. Mehr als zwei, drei Vorspeisen und eben soviel Hauptgerichte werden in der Kachelofenfabrik nicht angeboten, die Gerichte wechseln ständig.

Etwas länger braucht man für das Studium der Weinkarte. 18 offene Weine aus fast allen namhaften Regionen Deutschlands hätte man in der Mecklenburgischen Provinz nicht unbedingt erwartet, darunter auch ein alter Freund aus fragwürdigen Tagen: Der "Kröver Nacktarsch" gehört zu jenen Lagen an der Mosel, die den Ruf dieser Region in den 70er-Jahren gründlich ruinierten. Hier empfiehlt er sich aber als Bio-Riesling, trocken ausgebaut - und tatsächlich wird er die verlorene Ehre des "Kröver Nacktarsches" wieder herstellen. Dazu passt wunderbar jener schon erwähnte Salat mit Ziegenkäse sowie die Ziegenkäse-Tarte, die aber in einen etwas zu dicken Teigmantel verpackt ist.

In einem Satz

In dem alten Werk wird bodenständiges Bio-Essen in guter Qualität serviert, nur von der Regionalromantik sollte man sich nicht täuschen lassen.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Das Restaurant, das hier jeder nur "Kneipe" nennt, ist um 18 Uhr tatsächlich rappelvoll. Eine Gruppe Rentnerinnen kommt die Treppe herunter, die sich oben in der Galerie zu einem literarischen Zirkel getroffen hatte. Manche Gäste sind nur auf ein Glas Wein hier. Der Service ist aufmerksam. Und wer hier keinen Fisch isst, ist selbst schuld. Die Müritz und die benachbarten Seen und Flüsse zählen zu den fischreichsten der Republik, Zander, Barsch, Hecht und Aal werden von Berufsfischern hier täglich frisch gefangen. Doch genug der Regionalromantik. Auf die Frage, woher der Zander stammt, der neben einem Lachsfilet auf dem Bärlauchrisotto thront, gesteht der Kellner, dass die lokalen Fischer Preise verlangen müssten, die man an die Gästen hier nicht weiterreichen könne. Schade. Denn mit "Bio" und "Region" wirbt man ansonsten in der Fabrik offensiv.

Der Fisch schmeckt aber trotzdem: Das Risotto hat noch den nötigen Biss und die oft penetrante Bärlauchnote hat die Küche fein mit Wildkräutern und gebratenen Kirschtomaten austariert. Dafür kommt das Filet vom Schwein aus einem benachbarten Bio-Hof und ist so bemessen, dass allein der Anblick satt macht. Die Idee, dazu einen ebenfalls mit Bärlauch verfeinerten Kartoffelstampf zu reichen, ist nicht einfallslos sondern der Jahreszeit und den umliegenden Birken- und Buchenwäldern geschuldet. Bärlauch ist ein geniales, wenn auch schwieriges Gemüse, scharf und oft zu bestimmend im Geschmack. In der Kachelofenfabrik ist die richtige Dosierung gelungen. Wir bleiben beim Weißwein und entdecken auf der Karte einen Nahe-Riesling von Emmerich-Koebenik. Der ist mit 19,10 Euro für die Flasche dem insgesamt mehr als fairen Preisniveau des Hauses angepasst.

Zur Crème brulée mit eingelegten Waldbeeren bringt der Kellner gleich zwei Löffel, denn auch beim Dessert kennt der Koch kein Erbarmen: Obwohl seine gutbürgerliche Küche immer wieder Ausflüge in die Raffinesse macht, ist man bei den Portionen offenbar auf Radfahrer und Wassersportler eingerichtet. Auf der Rückfahrt rätseln wir lange, warum vor dem Lokal eine Holzstatue von Joachim Ringelnatz steht. Der stammte doch gar nicht aus dieser Gegend. Irgendwo zwischen Zehdenick und Summt fällt es uns dann doch ein, das Gedicht! "Ich hab dich so lieb. Ich würde dir ohne Bedenken / Eine Kachel aus meinem Ofen schenken."

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