Lokaltermin:Ernele

Das Romantikhotel "Das Schiff" in Vorarlberg hatte immer schon ein Gourmetrestaurant. Nun hat nebenan ein bescheidenes Ladenlokal eröffnet. Stevan Paul hat beide Restaurants besucht und kann sich nicht entscheiden, welches er besser fand.

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Die Spitzengastronomie steht neuerdings vor einem Dilemma: Der eigene Anspruch und der gute Name stehen einer wachsenden Zahl von Gästen gegenüber, die immer öfter keine Lust haben, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag noch in die Gedankenwelt eines Meisterkochs zu vertiefen. Es geht um Gäste, die eine alltagstaugliche Wohlfühl-Atmosphäre den überladenen Inszenierungen der Hochküche vorziehen. Diese viel zitierte "neue Lässigkeit" geht nicht zwingend zu Lasten der Qualität. Ohnehin diskutiert der aufgeschlossene Kulinariker heute bei Tisch weniger über Tafelsilber und Damastservietten, als vielmehr über die Herkunft des Fleisches und den Geschmack alter Gemüsesorten.

Der Trend wird für viele Betriebe auch wirtschaftlich spürbar, einige Restaurants suchen den Neuanfang in der Reduktion, andere wiederum versuchen alle Gäste abzuholen, etwa mit einem Zweitlokal als Alternative, der gute Name wirbt auch dort. "Tasty Kitchen" nennt sich zum Beispiel das Zweitrestaurant des Osnabrücker Drei-Sterne-Kochs Thomas Bühner, hier gibt es junge Produktküche am großen Gemeinschaftstisch. Und im Saarland bittet Drei-Sterne-Koch Klaus Erfort auch in die "Schlachthof Brasserie". Auf internationaler Ebene wird es noch bunter, Starköche wie der Franzose Alain Ducasse oder der Brite Gordon Ramsay herrschen über weltweite, breit aufgestellte Restaurant-Imperien.

Sehr viel kürzer sind die Wege im familiengeführten Romantikhotel "Das Schiff" in Hittisau, Vorarlberg. Dort erleben wir in der historischen "Wälderstube 1840" zunächst einen klassischen Abend für das großzügigere Budget. Im Gourmetrestaurant steht seit Juni 2017 der gebürtige Bregenzerwälder Bernd Reimer am Herd. Wir genießen sein tadelloses Regionalmenü in fünf Gängen zu sehr fairen 81 Euro (mit Käseteller, Wasser und einer Flasche rotem Veltliner vom Mantlerhof kostet der Abend 175 Euro pro Person). Die Küche ist in Bestform: gebratene Wachtel mit Sauermilchmousse, konfierter Waller mit Kapern und Pinienkernen, Pilzbouillon, heimische Sau auf Eiszapfenrettich und Semmelauflauf. Der Service um Ignaz Pieler ist von geübter Herzlichkeit, die Stofftischdecken wiegen schwer, romantisch knarzen die Dielen, am Nebentisch flüstern Gäste bei Kerzenlicht. Alles so, wie es sich gehört, für eine vom Gault-Millau mit zwei Hauben ausgezeichnete Gourmetadresse. Nur zufällig erfahren wir am späten Abend vom Ernele, einer modernen Ladenwirtschaft, die zum Hotel gehört und sich in einem architektonisch interessanten, holzverkleideten Kubus neben dem Haupthaus befindet. Im Inneren: ein einziger, hoher und lichter Raum, der nach frischem Holz duftet, puristisches Design mit Werklampen und Filzläufern auf den Tischen. Auch hier: regionale Küche. Wir reservieren also im legeren Zweitrestaurant einen Tisch für den nächsten Abend.

Der beginnt mit einer Begrüßung durch Koch und Gastgeber Felix Groß, der uns einen Platz direkt an der offenen Küche anbietet, "wenn ihr wollt!" Wir wollen und kriegen sauer eingelegte dünne Scheiben vom Sellerie, heimischen Wildschinken, Sauerrahmbutter und duftendes Gewürzsalz zu gutem Brot - als Appetithappen zum Rivaner Kabinett, Weingut Fulterer, vom nicht allzu fernen Bodensee. Als wir noch die verlockende wie übersichtliche Karte studieren, präsentiert Felix Groß am Tisch zwei kapitale Forellen, die nicht auf der Karte stehen, die wurden eben gebracht, erklärt der Koch. Und zwar von den Geschwistern Güfel, die im nahen Meiningen artgerechte Fischzucht "ohne Haken" betreiben.

Alle Grundprodukte in der Küche des Ernele stammen aus dem Umkreis von 100 Kilometern. Fotos mit Kurztexten zu allen Produzenten finden sich an einer Wand der Ladenwirtschaft, die nach Seniorchefin Erna Metzler benannt ist. Wir teilen uns die Kleinere der Forellen als Fischgang, das Tier durfte langsam wachsen und so an Geschmack gewinnen. Felix Groß schwenkt dazu eine Pfanne mit bissfestem, buntem Gartengemüse und am Tag gesammelten Pfifferlingen. Die Forelle ist lediglich "blau" gedämpft, wird am Tisch filetiert und vorgelegt. So viel alte Schule im modernen Konzept rührt, das Wissen um den Service "am Gast" stirbt ja gerade aus zugunsten hübsch angerichteter Teller. Auf unserem finden sich dann einfach: so zarte wie festfleischige Forellenfilets von schmeckbar hoher Qualität, serviert mit Gemüse, das nach sich selbst schmecken darf, dazu knackfrische Pfifferlinge.

Zum Hauptgang gibt es perfekt medium gebratenes Kalbssteak und wir lernen den Riebelmais aus alten Sorten von "Dr. Richard Dietrich aus Lauterach" kennen. Der Wissenschaftler, Landwirt und Mostsommelier hat den Riebelmais wieder zur Marktreife gebracht. Der nussig-buttrige Brei daraus (zum Kalb) ist locker und saftig, mit einer präzise gekochten, tiefen Jus dazu. Schnörkellos. Danach kommt ein üppiges Brett mit heimischen Käsesorten, die alle im hauseigenen Keller reifen. Auch die Weinauswahl ist üppig und spannend. Am Ende eines wunderbaren Abends haben wir schlicht und einfach gut gegessen im Ernele, aufrichtig wirkende Gastfreundschaft genossen und viel über die Region und ihre Schätze erfahren. Bezahlt haben wir pro Person 65 Euro, Wasser und jeweils drei Gläser Wein inklusive, also nur ein gutes Drittel von der Rechnung am Vorabend. Vergleichen lassen sich beide Abende allerdings sowieso nicht. Es bleibt das Glück, in beiden Fällen eine gute Wahl getroffen zu haben. Der Rest ist Geschmackssache!

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