Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Emma Wolf 

In Mannheim sind Gourmetlokale wie das "Emma Wolf" gern mal im Einkaufszentrum untergebracht. Understatement ist hier Programm. Das Bistro fährt auf, dass es eine Freude ist.

Von Kai Mihm

Bei Primark die Rolltreppe runter und dann links am Asia-Imbiss vorbei: In Mannheim wirken Wegbeschreibungen zu den besten Tischen der Stadt nicht gerade verführerisch, was auch daran liegt, dass Gourmetrestaurants wie das Emma Wolf 1920 hier gern mal im Einkaufszentrum untergebracht sind. Abschrecken lassen sollte man sich dadurch aber nicht, sagt Kai Mihm. Understatement ist hier Programm. Das Lokal gibt sich als unkompliziertes Bistro - und fährt dann auf, dass man weinen möchte vor Freude.

Mannheim ist in mancher Hinsicht ein bisschen anders. Die Innenstadt besteht aus streng unterteilten Quadraten, die Straßen tragen keine Namen, sondern bezifferte Buchstaben, und die besten Restaurants befinden sich nicht in stilvollen Altbauten oder hippen Hinterhöfen, sondern in Kaufhäusern und Shopping Malls. Dieser geballte Pragmatismus wirkt erst mal etwas spröde, passt aber zum lässigen Understatement der durchaus wohlhabenden Stadt. Ihr bekanntestes Restaurant zum Beispiel, das mit zwei Sternen bewertete Opus V, bietet modernistische Menüs im obersten Stockwerk eines traditionsreichen Modekaufhauses an, leicht erreichbar per Expressfahrstuhl. Nur ein paar Quadrate weiter, im modernen Einkaufszentrum Q6Q7, muss man nach dem ebenfalls besternten "Emma Wolf 1920" erst etwas suchen. Ein kleiner Wegweiser: Bei Primark die Rolltreppe runter, einmal Kehrtwende links, vorbei am Asia-Imbiss, schon ist man da. Klingt vielleicht unromantisch, lässt aber auch an Weltstädte wie Tokio, Hongkong und Los Angeles denken, wo die Verquickung von Shopping Mall und Spitzenküche längst Standard ist. Man würde sich wünschen, dass auch in Deutschland die gehobene Gastromonie ein beiläufigerer Teil des alltäglichen Angebots wird, selbst wenn man es nicht täglich nutzt. Insofern sind Lokale wie das Emma Wolf 1920 Glücksfall und Vorreiter in einem.

"Finest Bistronomy" lautet dort die Devise, und es scheint zu funktionieren: An diesem regnerischen Samstagmittag ist das kleine Lokal (benannt übrigens nach der Großmutter von Küchenchef Dennis Maier) voll besetzt. Das Interieur mischt Industrial Chic und leicht nostalgisches Bistro-Flair, mit kleinen Holztischen und dezenten Designerlampen, an der Decke Rohre und Abdeckgitter. Die offene Küche und der Gastraum sind nur durch eine Theke voneinander getrennt. Während draußen die Käufermassen wuseln, herrscht drinnen eine entspannte Atmosphäre, lebendig, aber nicht trubelig. Alles zusammen fühlt sich mehr nach Pariser Quartier Latin an als nach Mannheimer Q7.

Dazu passt das Amuse-Gueule aus ungestopfter Entenleber mit Rote Bete, längst eine klassische Kombination. Dennis Maier schichtet beide Zutaten und bringt den süßlichen Schmelz der angenehm festen Leberterrine sowie den erdig-würzigen Geschmack der Roten Bete (gekocht und als Crème) in ideale Harmonie, aufgepeppt durch eine Molke-Schnittlauch-Vinaigrette. Der erste Gang des Menüs (fünf Gänge 99 Euro, vier für 85 und drei für 69 Euro, mittags kosten zwei Gänge 31 Euro, Weinbegleitung etwa elf Euro pro Gang) aus gebeizter Bachforelle mit Forellenkaviar und geräucherter Crème fraîche klingt rustikal, erweist sich dann aber als ein filigranes Spiel mit harmonischen Kontrasten. Da ist die feine Aromatik des Fischs, der fette Schmelz der leicht rauchigen Crème fraîche und als Clou eine sattrote erfrischende Vinaigrette aus Rotkohlsaft und Dashi, mit sauer eingelegten Kartoffelscheiben für angenehmen Biss. Das geht deutlich über die Einfachheit der typisch französischen Bistronomie hinaus.

Und es bleibt auf diesem Niveau. Süßsauer eingelegten Hokkaido-Kürbis schneidet Maier in dünne Scheiben und rollt ihn zu einer fotogenen Blüte, gefüllt mit einer leichten Mayonnaise mit Kürbiskernöl und getoppt mit Kürbiskernen sowie getrocknetem Pilz-Pulver, dazu kommt eine "Umami-Sauce" mit Kern- und Korianderöl. Das schmeckt frisch, nussig und auf geheimnisvolle Weise exotisch, mit leichter Süße und animierender Säure. Perfekt dazu ist der vom Service empfohlene Riesling "Vulkan" vom Weingut Odinstal.

Bei "Jakobsmuschel x2" werden zunächst rohe Tranchen von der Jakobsmuschel serviert, unterlegt mit dünnen Radieschenscheiben für knackigen Biss - ein scheinbar simpler Kniff mit verblüffendem Effekt. Ein molliger Fond aus Kalbskopf mit Rinderfett stärkt den delikaten Eigengeschmack der Muschel. Das ist so gut, dass es die gebackene Kalbskopfpraline am Tellerrand gar nicht gebraucht hätte. Teil zwei des Tellers besteht aus einer kräftig angebratenen Jakobsmuschel auf fein gewürfeltem Kalbskopfragout. Die knackige, saftige Muschel und das sämig-gelatinöse Ragout ergänzen sich prächtig, eingelegte Radieschen grätschen aufs Schönste mit leichter Schärfe und würziger Säure dazwischen. Wunderbar!

Als Hauptgang gibt es butterzartes Onglet vom U. S.-Beef mit glasierten Eiszapfen sowie einer Würzmischung aus Dill, Schalotten und Senfkörnern. Rindfleisch mit Dill gehört zu jenen fast vergessenen Kombinationen der Großmutterküche, auf die man sich öfter besinnen sollte: Es schmeckt kräftig und auf deftige Art elegant. Beim Dessert begeistert ein Eis aus Ziegenfrischkäse mit einem vielschichtigen Aroma zwischen würzig und süß, der typisch herbe Ziegenkäse-Geschmack wird glücklicherweise nicht kaschiert. Johannisbeeren (als Püree, Chip und Gel) und eingelegte Birnenstücke steuern Fruchtigkeit und Säure bei, ohne dem Eis die Starrolle streitig zu machen.

Das sind mit die schönsten Erlebnisse: Man erwartet gehobene Bistroküche und wird von einem unverkrampft köstlichen Ideenreichtum überrascht. Auf dem Weg zurück zur Rolltreppe wuseln die Menschen immer noch durchs Q6Q7. Man schaut sich um und lächelt. Shoppen oder essen? Angesichts der hervorragenden Küche und der tollen Atmosphäre im Emma Wolf 1920 fällt die Wahl nicht schwer.

In einem Satz

Das "Emma Wolf" ist auch eine gute Basis für eine Shoppingrast und das Mittagsmenü für 31 Euro zu haben.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●○

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Quelle:
SZ vom 11.01.2020
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