Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Einsunternull

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Das Berliner Restaurant Einsunternull ist bekannt für seine gute Regionalküche. Seit der Koch gewechselt hat, ist das Menü noch besser geworden.

Im Berliner Restaurant Einsunternull hat man die neue Regionalküche immer besonders ernst genommen. Gerichte hießen "Barsch im Brackwasser" oder "Gesäuerter Kuhspargel". Dafür gab es viel Lob, doch nicht immer wirkte es, als ginge es um Genuss. Eher hatte man als Gast den Eindruck, der Koch wolle einem etwas zu denken geben, sagt Harriet Köhler. Das hat sich gründlich geändert. Am Herd steht hier neuerdings der Sous-Chef von Dreisternekoch Jan Hartwig. Das Menü? Ein ungetrübtes Freudenfest!

In den letzten Jahren sah es fast so aus, als sei der Bauchmensch und Genussesser zusammen mit dem alten, weißen Mann auf der Mülldeponie der Geschichte abgeladen worden. Zumindest in Berlin schlossen Gourmetrestaurants alter Schule ("Alt Luxemburg", "Fischers Fritz"), französische Opulenz wie bei Pierre Gagnaire setzte sich nicht durch, stattdessen brachte der Guide Michelin Restaurants zu höchsten Ehren, in denen man sich brutal lokal der Selbstvollendung entgegenfermentierte.

Auch das "Einsunternull" in Mitte bekam einen Stern, ein Restaurant, das Fans wie Feinde hatte, weil es eine eher anstrengende Küche servierte, die bisweilen so wirkte, als wolle Küchenchef Andreas Rieger seine Gäste nicht verwöhnen, sondern ihnen mit Gerichten wie "Barsch im Brackwasser", "Gesäuertem Kuhspargel" oder "Milchkuh im Fluss" vor allem etwas zu denken geben. Dazu schenkte man Getränke aus, die zum Teil eher wie etwas schmeckten, was die Speiseröhre hinaufkriecht, statt dass es sie hinunterfließen sollte (Stichworte: Brottrunk, faulig riechender Öko-Cidre). Doch nun hat Inhaber Ivo Ebert das Konzept über den Haufen geworfen - offenbar war er mit der Ausrichtung selbst nicht mehr ganz glücklich. Die Weinkarte wurde geklärt und filtriert; Andreas Rieger hat das Restaurant verlassen. An seine Stelle tritt der 29-jährige Silvio Pfeufer, der im Münchner "Atelier" als Sous-Chef bei Jan Hartwig alle drei Sterne mit erkocht hat und nun offenbar ganz nach vorne will.

Zugegeben: Nach der weitgehend fleischfreien Ausrichtung des Vorgängers wirkt das neue Menü fast schockierend old school: dreimal Fisch, dreimal Fleisch - das ist nicht mehr ganz zeitgemäß und einfach zu viel Tier. Doch darf man alle Gänge frei mit Gerichten vom vegetarischen Menü tauschen, und davon sollte man das eine oder andere Mal Gebrauch machen, schon allein, weil man sich sonst um den "Kohlrabi" bringen würde. Der wurde Sous-vide gerade nur so eben aus roher Knackigkeit herausbefördert, ist mit Dill-Öl und Dill-Gremolata zurückhaltend gewürzt und wird von einem frischen und doch mundfüllenden Sauerrahmeis begleitet, das alles zusammenfügt. Auch der "Blumenkohl" ist eine Wonne: Späne, Blätter, Röschen und Asche versinken zusammen mit einem Eigelb voller Wollust in der ganzen Üppigkeit einer Schüssel voll Hollandaise - eine klare Ansage und ein harter Bruch mit der bisherigen Linie des Lokals.

Unter den Fischgängen sticht der konfierte Hecht hervor, der fest und mild auf einem Salat aus Stangen- und Knollensellerie liegt, der Queller dazu kracht beim Kauen und erquickt mit seiner Rettichnote, ein milder Misosud hält das Gericht mit all seiner Würze fein, leicht und verspielt.

Einem "Broiler" begegnet man in letzter Zeit öfter im Berliner Fine Dining - wohl auch, weil Küche ungern auf Folklore verzichtet. Weil noch der letzte Touri versteht, dass dit irgendwie Berlin is. Dieser Broiler hier sucht dennoch seinesgleichen: Auf der Haut knusprig gebratene Brust, dazu zwei samtige Pommes, die man statt in Mayonnaise in ein schmelzendes Eigelb stippt - das könnte behäbig wirken, wären da nicht der geniale Chip von der Hühnerhaut, der reichlich Umami in den Mund bringt, und die scharfe Paprikajus, die das Gericht flammend wachküsst. Fast ebenso genial schlicht ist das "Spanferkel", das aus knusprig-schmelzigem Bauch und einem geschmeidigen, aber bissfesten Gyoza besteht, beides wird von ein paar Tupfen Feigen- und Zwiebelcreme süß konterkariert, dazu passt die feine Jus. Und die "Short Rib Sonnenallee" weist mit Aubergine, Minzspinat, Zitronenjoghurt und orientalisch gewürzter Gelbe-Linsensuppe darauf hin, was in Berlin eben auch regional ist. Nur der Linsenfalafel ist etwas trocken, was uns nicht weiter stört, denn die begleitenden Weine sind ein einziges Freudenfest, klassisch und köstlich, manchmal auch originell, wie etwa der mit Kastanien ausgebaute Cidre zum Spanferkel, aber immer nachvollziehbar und stimmig (Weinbegleitung: 84 Euro).

Zum Dessert kneift dann bereits der Hosenbund, doch durchhalten lohnt sich: Schon das Pre-Dessert aus Fichtencreme mit Preiselbeere bezaubert, weil es die Säureklaviatur virtuos bespielt, danach katapultiert uns die so leichtfüßige und doch mollige Variation von Joghurt, weißer Schokolade und Rhabarber endgültig ins Paradies.

129 Euro kostet das siebengängige Menü, auch das ist eine Ansage. Bedenkt man aber, dass an diesem Abend elf Mitarbeiter für nur 22 Gäste ihr Bestes gaben, wird der Preis beinahe zum Schnäppchen. Und dem Bauch, dem ist die Vernunft ohnehin egal. Zum Glück.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2019
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