Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Dorfwirt

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Soll ein Gasthaus auf dem Land Erfolg haben, dann muss der Koch sich etwas einfallen lassen. Der Dorfwirt in Unterammergau lockt mit edelrustikaler Bioküche. Ideal für ein Wochenendgelage!

Von Marten Rolff

Früher war der Dorfwirt ein Ort, an dem sich verlässlich alle trafen, ob Bauer, Pfarrer, Lehrer oder Sonntagsausflügler. Heute ist der Dorfwirt ein gastronomisches Himmelfahrtskommando, für das ein Koch sich viel einfallen lassen muss, wenn er überleben will. Im oberbayerischen Altenau zum Beispiel, am Fuß des Ammergebirges, gründeten die landfluchtgeplagten Bürger eine Genossenschaft, um ihr marodes Gasthaus wiederzueröffnen. Und im Nachbarort Unterammergau posiert die Mannschaft des Restaurants "Dorfwirt" für rockige Fotostrecken gern mit einem Schweinekopf - im Stil des Briten Fergus Henderson, der vor 20 Jahren die Nose-to-Tail-Küche erfand. Auf den Teller kommt hier nur das Fleisch hauseigener Tiere, die ihr Leben beim nahen Bauern auf der Wiese verbringen; die Weinkarte bietet 180 Positionen; und wäre man früher in einem solchen Wirtshaus nach dem sechsten Hellen hinausgegrantelt worden, so steht die Patronin nun am Tisch, und fragt lächelnd ihre Gäste: "Wo seid ihr untergebracht? Zwei Orte weiter? Da fahren wir euch später ins Hotel. Wäre ja schade um die Weinbegleitung." Kein Wunder also, dass Menschen auch aus München, Augsburg oder Innsbruck anreisen, um hier zu essen.

Am Herd steht Thomas Zwink, er und seine Frau Brigitte haben das Gasthaus (30 Plätze, acht Betten) vor vier Jahren übernommen, unterstützt nur von Zwinks Bruder und einer Sommelière. Zwink, 53, ist in Oberammergau geboren, verließ seine Heimat aber schnell, reiste als Boulevardfotograf durch die Welt, hatte Cafés in München und ein Lokal in Kempten, bis er 2013 zurückkehrte. Nun schlägt seine Küche den Bogen vom Früher zum Heute, denn sie ist fleischlastig und bodenständig, wie man es hier gewohnt ist. Und dabei so modern, wie es die neue Klientel erwarten dürfte: Rustikales wertet der Koch gern durch überraschende Kombinationen und feine Soßen auf, nachhaltige Tierzucht gehört für ihn ebenso dazu wie die Wiederentdeckung ungewöhnlicher Rassen. Zum Beispiel die für ihren hohen Fettanteil bekannten Mangalitza-Wollschweine, deren schmelziger, hocharomatischer Lardo als Amuse Gueule serviert wird, dazu gibt es Kürbiskernaufstrich, eingelegte Senfgurken, Vinschgauer und Schüttelbrot.

Im Dorfwirt geht es also um üppige, handwerklich tadellose Produktküche mit gerade so vielen Zugeständnissen an das Fine Dining, dass die fast zum Mythos verkommene Wirtshausgemütlichkeit nicht leidet. Altes Holz, kitschige Ölschinken an den Wänden, auf den Tischen weißes Tuch und schöne Gläser, dazu gutes Licht und ein so aufmerksamer wie tiefenentspannter Service - hier möchte man lange sitzen bleiben.

Eine Speisekarte gibt es nicht, die Gerichte des Überraschungsmenüs (drei Gänge 36 Euro, vier für 47 und fünf für 58 Euro) werden erst beim Servieren erläutert. Und wenn sie im Dorfwirt auch brav nach Unverträglichkeiten und Vorlieben fragen, so würden Gäste, die keine Innereien mögen oder denen schon nach einem Gang der Bauch drückt, hier doch einiges verpassen. Zum Beispiel die erste Vorspeise, die sich gleich als Schlachtfest de luxe erweist: Dünne Scheiben von sous-vide-gegartem Kalbsrücken thronen auf einer zu üppig bemessenen, aber fein säuerlich abgeschmeckten Forellen-Kapern-Mayonnaise; dieses Vitello Forello ist natürlich eine bayerische Spielart des Vitello Tonnato. Dazu gibt es - eigentlich ein eigenes Gericht - eine Nocke Entenleber-Mousse, die in Sachen Luftigkeit ihresgleichen sucht, begleitet von Kürbismus, Yuzu-Vinaigrette, Brotchip und einem drei Tage lang cremig gefrorenen Wachtelei - alles sehr harmonisch, aber nicht eben ein Magenöffner.

Der zweite Gang ist ein Höhepunkt: Die oft ungelenke Kombi Surf and Turf landete zwar nicht ganz zu Unrecht gleich nach ihrer Erfindung 1962 im Lexikon des schlechten Geschmacks, doch wie Zwink den zweifelhaften Klassiker interpretiert, ist grandios: saftiges Zanderfilet auf deftiger Mangalitza-Blutwurst und mildem Krautsalat, alles umschmeichelt von einer ausgewogenen Dijon-Senfsauce, beflügelt von eingelegter Senfsaat und harmonisch wieder abgefedert von gelben und braunen Linsen. Säure, Süße, Schärfe, alles da, alles wunderbar integriert. Und die Rosé Cuvée von Sighardt Donabaum (Alte Flur 2015 Fasan) aus der Wachau passt ebenfalls gut (Weinbegleitung 8 Euro pro Glas).

Auch als Hauptgericht serviert Zwink natürlich einen Fleischklassiker: Böfflamott, so zart und voller Geschmack, als seien Wirtshäuser nur erfunden worden, um solcherart geschmortes Rind darin zu essen. Dazu kommt Selleriepüree. Nur mit der Bissfestigkeit des Gemüses - gelbe Rübe, Brokkoli-Spargel und Flower Sprouts (eine etwas hipsterige Kreuzung aus Grünkohl und Rosenkohl) - hat die Küche es übertrieben.

Beim Serviertempo dürften sie es hier gern ruhiger angehen lassen. Pausen sind ja nicht nur wegen der Wohligkeit wichtig und Erleichterung durch kalorienarme Zwischenteller wie Kräutersorbets sind bei diesem Gasthausgelage nicht zu erwarten. Gnade erfährt man nur durch die großzügigst nachkippende Sommelière (auch Fleisch muss schwimmen!). Oder als die Hausherrin die Flasche im Eichenfass gereifte "Alte Zwetschke" der Tiroler Edeldestillerie Oberhofer zur Selbstbedienung auf den Tisch stellt.

Da haben wir die Käseplatte schon ausgelassen. Das Zweierlei von der Schokolade - angenehm wenig süße Mousse, dazu Gâteau, Plätzchenparfait, Pfefferminzblättchen, Preiselbeeren und (verzichtbare) Keksbrösel - ist als Abschluss mehr als genug. Alles sehr reichhaltig, sicher, aber so glücklich sind wir lange nicht mehr aus einem bayerischen Wirtshaus gewankt.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2018
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