Lokaltermin:Die Weinbar Schwein

Aus der lakonischen Speisekarte lässt sich das vielleicht nicht sofort herauslesen, aber die Küche der Weinbar "Schwein" in Berlin-Charlottenburg ist fast schon aufregend zu nennen.

Von Harriet Köhler

Auf den ersten Blick mag die Weinbar Schwein wie ein Hipstertreff wirken, der sich von Berlin-Mitte ins gediegen schläfrige Charlottenburg verirrt hat. Doch hier ist einiges anders, als es scheint, fand Harriet Köhler. Die äußerst lakonische Speisekarte zum Beispiel. Denn dort stehen Namen wie Burrata/Tomate/Fenchel für eine Küche, die sehr viel aufregender ist, als sie tut.

Neonröhrenkunst an anthrazitfarbenen Wänden, funktionale Deckenspots, ein paar Spiegel. Hinter der Bar: 40 verschiedene Gins, sechs Sorten Tonic Water, ein tätowierter Sommelier - nichts, aber auch rein gar nichts lässt einen daran zweifeln, dass die Weinbar "Schwein" noch vor Kurzem im coolen Mitte saß und nur notgedrungen ins elegant vor sich hin alternde Charlottenburg übergesiedelt ist; "Unstimmigkeiten" mit dem alten Vermieter soll es gegeben haben. Nun also: die Mommsenstraße, für die das Wort "gediegen" erfunden worden sein könnte, weiter gen Westen geht's in Berlin nur noch geografisch. Nicht nur kulinarisch regiert hier das Immer-schon-da-Gewesene: Das "Marjellchen" etwa, wo man seit mehr als 30 Jahren Königsberger Klopse und Grießpudding serviert. Oder die legendäre "Fettecke", Klemke's Wein- und Spezialitäten-Eck, wo halb Charlottenburg seine mittägliche Bulette verdrückt. Ob ein alter Organismus wie der Mommsenkiez so ein Mitte-Transplantat nicht einfach wieder abstößt?

Wobei, wer nur die Speisekarte liest, wird erst mal nicht damit rechnen, dass sich hier ein Küchenchef wie Christopher Kümper niedergelassen hat, der schon Station in diversen Sterne-Küchen machte: bei Nils Henkel im Schlosshotel Lerbach zum Beispiel, bei André Chiang in Singapur, bei Daniel Boulud in New York. "Burrata, Tomate, Fenchel" für 12,50 Euro? In einer Gegend, in der die Promi-Trattoria an der nächsten Ecke elf Euro für eine Insalata Caprese nimmt, erwartet man da zunächst mal wenig.

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Umso überraschender, was dann kommt: nämlich eine Burratacreme, die sich frisch und sahnig auf den Teller schmiegt. Darüber Scheiben und Stücke säuerlicher und süßer Tomate. Fenchelspäne, grüne Olivenscheiben, gebackene Kapern und kleine Sorbet-Tupfen vom Fenchelgrün - das schmeckt so sommerlich-frisch, dass man sofort in den Urlaub fahren will, wirkt aber gleichzeitig herb und erwachsen und lässt alles Edelitalienerhafte weit hinter sich.

Auch das im tiefen Schälchen servierte "Landei, Kartoffel, Kerbel" (13 Euro) ist gut und komplex, ohne seine Exzellenz laut herauszuposaunen: Ganz unten findet sich ein würziges Ragout aus dunklem Hühnerfleisch, darüber ein schwereloser Schaum aus geräucherter Kartoffel, in dem ein zartcremiges Onsenei versinkt. Das Ganze wird von einer hauchdünnen Haut aus Kerbelvelouté bedeckt, obendrauf gepuffte Hühnerhaut, die dem insgesamt sehr geschmeidigen, fast winterlich-cremigen Gang einen rustikalen Crunch mitgibt.

Der "Fang des Tages" (28 Euro) entpuppt sich als außen schön gerösteter, im Inneren perfekt glasiger Kabeljau mit säuerlichen Zwiebeln und einer Erbsencreme. Der Clou dazu verbirgt sich jedoch in einer knallgrünen, perfekt runden Spitzkohlroulade: nämlich eine herrlich würzige Blutwurstmasse, gepaart mit einer luftigen Fischmousse, die deren dunkle Kraft wieder ausbalanciert. Christopher Kümper weiß, wie Pinzettenküche geht, zumindest theoretisch. Doch er lässt sie hinter sich. Zum Glück. Das beweist auch das "Kalbstafelspitz, Spargel, BBQ" (32 Euro), bei dem das mit einer appetitlichen Kruste versehene, zartrosafarbene Fleisch zusammen mit sehr säuerlichen Aprikosenschnitzen und intensiv-rauchiger Paprikacreme auf den Tisch kommt - ein Aromenspektrum, das sich auch in dem gut scharfen Fond wiederfindet, in dem der Spargel schwimmt. Der wiederum ist kräftig abgeflämmt und damit gut gerüstet für sein lautes Umfeld. Das panierte Kalbsbriespralinchen obendrauf ist eher Gag als unbedingt notwendig - wirklich überflüssig sind aber die Chips aus gepufftem Kalbskopf, die den gefürchteten Krabbenchips beim Chinesen erschreckend ähneln, und die dem Gericht weder echten Crunch noch viel Aroma mitgeben.

In einem Satz

Wer im "Schwein" isst, muss zugeben: Das Tamtam, das in Berlin schon länger um die Weinbars gemacht wird, kann durchaus berechtigt sein.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Auch auf dem Dessert findet sich etwas Gepufftes, diesmal von der Erdbeere - angeblich, denn wirklich danach schmeckt es nicht. Überflüssig, aber egal, denn der Rest ist wunderbar: ein mit Basilikumcreme gefüllter "Cheesecake" von der Burrata mit eingelegten weißen Erdbeeren, einer frischen Erdbeersauce, einem Tomatensorbet und etwas Basilkumöl (12 Euro).

Sommelier Emmanuel Rosier weiß Kümpers Küche kenntnisreich, aber undogmatisch zu begleiten, das ist viel wert in einer Zeit, in der man in Berlin manchmal aufpassen muss, dass einem kein gekippter Sauerkrautsaft eingegossen wird. Und: Er macht im Prinzip gern jede Flasche auf, das Coravin-System, mit dem sich Korken anzapfen und wieder verschließen lassen, macht's möglich. Leider sind, wie so oft, die Getränkepreise so hoch, dass einem die Lust aufs Herumprobieren vergeht. Schon klar, dass sich Gastronomen durch Getränke finanzieren, trotzdem kommt es einem doch absurd vor, wenn ein Gläschen von "Dr. Jaglas Artischocken-Elixier" zum Abschluss genauso teuer ist wie eine aufwendige Vorspeise. Für das Essen in der Weinbar Schwein würde man gern auch deutlich mehr ausgeben - wenn man dafür von der tollen Weinkarte deutlich mehr probieren könnte.

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