Der Vorgänger im alten Lagerhaus im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn hätte nicht bekannter sein können: Hier war bis 2016 das Noma von René Redzepi untergebracht. Manche Köche hätte das wohl davon abgehalten, dort neu zu eröffnen. Nicht so den Deutsch-Dänen Thorsten Schmidt, der in seinem Restaurant Barr nun zeitgemäßes Soulfood serviert. Bei reduzierter Einrichtung und schnörkellosen Gerichten fällt es nicht schwer, sich wohlzufühlen, findet Josef Wirnshofer. Trotz gruseliger Musik zum Essen.
Um zum Barr zu gelangen, läuft man also den Kanal am Nyhavn entlang, vorbei an historischen Reihenhäusern und Segelbooten, die auch schon etwas älter aussehen. Man läuft vorbei an hinreißend gekleideten Menschen, die obendrein auch hinreißend freundlich wirken. Man läuft aufs Hafenbecken zu, über eine Brücke, und bleibt auf der anderen Seite erst mal vor zwei großen, futuristischen Halbkugeln stehen, die wohl Kunst sind. Der Regen, vorhin deutlich spürbar, verschnauft gerade. Kopenhagen, kein Zweifel.
Die dänische Hauptstadt gilt seit Jahren als eines der tauglichsten Ziele für Menschen, die gut essen wollen. Und jahrelang kamen diese Menschen genau an diesen Ort. Denn hier, in dem alten, verklinkerten Lagerhaus, war bis 2016 das Noma untergebracht, weltweit eine der ersten Adressen, wenn es um moderne Küche geht. Inzwischen ist René Redzepi mit dem Noma ein paar Straßen weiter gezogen. In dem alten Lagerhaus eröffnete er im Sommer 2017 mit Thorsten Schmidt ein neues Restaurant: das Barr. Schmidt, der in Dänemark und Deutschland aufgewachsen ist, hat sich zeitgemäßem Soulfood verschrieben. Schnitzel, Frikadellen, aber ohne den Muff von Bratfett. Natürlich hat sein Stil auch einen Namen, kommt ja keine Bulette mehr ohne Etikett aus: Nordsee Cuisine.
Musste man zu Noma-Zeiten noch Monate im Voraus reservieren, bekommt man an diesem Freitagmittag problemlos einen Tisch. Beim Betreten merkt man sofort, was die Kopenhagener verstanden haben wie kaum jemand sonst: Eleganz entsteht durch Weglassen. Ein offener Raum, Sichtbeton, rustikale Holzbalken. Keine Tischdecken, kein Gedöns, nur ein paar Büschel getrockneter Blumen und Gräser.
Eigentlich sind sie im Barr auf Bier spezialisiert. Weil einem aber gerade nach Wein ist, bestellt man zum viergängigen Menü (600 Kronen, etwa 80 Euro) die Weinbegleitung (475 Kronen, etwa 64 Euro). Eine Entscheidung, über die man später noch froh sein wird.
Amuse-Gueules servieren sie hier keine, dafür sehr gutes Brot. Ein kräftiges aus Roggen und ein Weizenbrot mit Joghurt und Mohnsamen.
Und damit zum ersten Gang, der gegrillten Makrele. Der Fisch hat eine üppige Ladung Röstnoten abbekommen, ist trotzdem saftig geraten und geht gut mit den eingelegten Artischocken zusammen. Wirklich großartig ist aber das Hagebuttendressing. Ätherisch, süffig, schön zum Grünen Veltliner aus dem Weinviertel. Mit jedem Löffel fragt man sich etwas mehr: War was mit Fisch?
Das Tatar, das danach auf dem Tisch steht, sieht spektakulär unspektakulär aus. Ein roter Fladen, sonst nichts. Eleganz durch Weglassen. Nach ein paar Bissen kommen darunter sonnengetrocknete Tomaten zum Vorschein, die wegen ihrer süßen Säure gefallen. Auch die Sauce tartare mit Petersilie und die gepickelten Senfsamen sind gelungen. Das einzige Problem: Vom Fleisch schmeckt man nicht viel. Soll sich das Hauptprodukt mal schön hinten anstellen.
Es fällt übrigens nicht schwer, sich im Barr wohlzufühlen. Der Sneakers tragende, kurzbehoste Service erklärt die Teller unverkrampft und mit Humor, weiß viel, labert aber nicht. Allmählich irritiert nur, dass aus den Boxen belangloser Billo-Pop träufelt. Gruselige Dinge zum Teil. Damit ist das Barr kein Einzelfall, und natürlich geht's beim Essen in erster Linie um den Geschmack. Aber ein bisschen fragt man sich schon, warum die Musik in vielen Restaurants auf so einem DosenfischNiveau rumdümpelt.
Im Hauptgang serviert Thorsten Schmidt, Stichwort Soulfood, Brathähnchen mit Brunnenkresse, Mais und Pfifferlingen. Das Geflügel kommt aus Gråsten im Süden Dänemarks. Regionale Produkte, schnörkellos zubereitet. Schade nur, dass das Fleisch etwas stark geräuchert wurde, die Bittertöne schlagen fast ins Metallische um. Sehr gut dafür der Mais, den im Moment nicht nur Kopenhagener Köche wieder für sich zu entdecken scheinen. Mit Pfifferlingen und Estragon ist er eine, wie sagt man, sichere Bank. Erst recht mit all der Butter, die im Mais und in der Jus steckt, und die so langsam etwas drückt. Darauf angesprochen, lächelt der Service und sagt: "Yeah, butter everywhere." Fragt sich, wie es wäre, wenn man dazu noch Bier tränke?
Mit dem Dessert macht Schmidt dann klar, dass es sich nach wie vor lohnt, hierher zu kommen. Zu dem alten Lagerhaus am Wasser. Der Gang steht als "Sweet Cake" auf der Karte und ist angelehnt an den "Kartoffelkuchen", den es überall in der Stadt gibt. Unter einer Schicht Marzipan stecken Karamellwürfel, Sonnenblumenkerne und eine Creme aus weißer Schokolade. Klingt bleischwer, aber die Johannisbeeren sorgen mit ihrer Säure dafür, dass das Ganze elegant und reduziert bleibt. Kopenhagen, kein Zweifel.