Lokaltermin:Colette

Ein Berliner Spitzenkoch, der in deutschen Städten unkomplizierte Brasserien eröffnet? Eigentlich eine tolle Idee von Tim Raue. Eigentlich.

Ein Berliner Spitzenkoch, der in mehreren deutschen Städten unkomplizierte Brasserien eröffnet? Eigentlich eine tolle Idee von Tim Raue, fand Max Scharnigg - und reservierte umgehend einen Tisch im Münchner Colette. Für Ästheten ist das Lokal ein Fest, sogar die Waschräume sind perfekt. Nun wäre es schön, wenn die Lebensfreude auch die Teller erreichte.

Was man sich so in Münchner Bürofluren zuvorderst über das "Colette" erzählt, ist, dass es zwar erstens im Glockenbachviertel (hip) situiert, aber zweitens dort in einer Seniorenresidenz (nicht hip) untergebracht ist. Erst danach folgt die Information, dass Tim Raue, einer der besten Köche Deutschlands, hinter diesem Colette steckt und es Teil einer Edel-Brasserie-Kette mit weiteren Standorten ist, darunter Konstanz. Das klingt also alles sehr interessant, und die gestaute Neugier entlädt sich in den frühen Minuten des leibhaftigen Besuchs dann in einer ersten Gewissheit: Von Kette merkt man hier genauso wenig wie von Konstanz oder der tatsächlich vorhandenen Seniorenresidenz.

Im Gegenteil, das Colette ist einer der schönsten Gasträume Münchens geworden, der perfekt beschimmerte Speisesaal mit Bar ist eine architektonische Melange aus Art-déco-Speisewagen und französischem Shabby-Gewächshaus, da jodelt die Zielgruppe der urbanen Ästheten. Die Tische halten, im Gegensatz zu echten Brasserien, einen geziemenden Abstand und am Ende ist es genau das, was an dem Raumkonzept vielleicht nicht ganz aufgeht. Es fehlt das Übergriffige, die lebenslustige Enge, die das Essen zur Nebensache macht, weil die Hauptsache das In-Gesellschaft-Sein ist. Aber vielleicht quillt das Colette auch bald über, normalerweise haben die Münchner nichts gegen selbst verursachte Platznot.

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Service und Karte sind von frischer Höflichkeit, und man ahnt, wenn die Teller auch nur halb so appetitlich sind, wie sie klingen, dann wird man nie wieder zu einem der näselnden Eck-Franzosen mit ihrem Chateaubriand und ihrem alten Wolfsbarsch gehen. Raues Colette-Karte wuchert mit Hummern und gebratener Blutwurst, mit Kalbskopf und Huhn in Teighaube, es ist die Speisekarte einer Bilderbuch-Brasserie und nebenbei gesagt, wunderschön layoutet. Erst mal gibt es winziges Gemüse, eher Tischdeko, so hübsch ist es, pikant und bissfest eingelegt nebst neutralem Olivenöl-Butter-Aufstrich. Auch die Weinkarte ist eine erbauliche Lektüre mit dezentem Schwerpunkt in den hohen Lagen des Burgund. Es gibt aber auch Volksnahes, wie den Kaitui von It-Winzer Schneider, der an mehreren Tischen steht, weil es ein sehr praktischer Wein ist.

Es folgt der Auftritt der Calmars Frits. Wer sich im Münchner Winter Calmars Frits bestellt, der meint eigentlich die Erinnerung an Sommerferien, Pepita-Hütchen und hitzeflimmernde Nachmittage am Strand. Nun sind die Tintenfischringe hier allerdings nicht lustbetont wie im Strandbistro, sondern so fein geraten, als wären sie auf einmal von Adel. Zart frittiert kommen sie zwar stilecht in französischem Zeitungspapier, aber statt mit Fettflecken mit Salathintergrund und einer zivilisierten Aioli, was ja eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Aber im Colette haben sie so etwas. Das ist also vielleicht nicht die vollbusige Attraktion, auf die man sich am Strand gefreut hatte, aber nett. Ein bisschen sehr zierlich vielleicht. Der Teller macht jedenfalls klar, dass man sich hier nicht unbedingt in simplem Leckerschmecker suhlen will. Und Tim Raue ist es natürlich auch nicht ganz, was hier so aus der Küche kommt, das stellen die Hauptgänge (und Preise) vollends klar.

In einem Satz

Schöne Kulisse, die auf dem Teller noch ein bisschen justieren muss. Sollte aber zu machen sein, wir kommen trotzdem wieder!

Qualität: ●●●○○

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●○○

Das Bœuf Bourguignon (20 Euro )ist von ganz klassischer Rezeptur, eine wonnige Pfütze, genau fünf Löffel tief. Dann ist der Teller leer und der Gaumen schmeckt, erschrocken vom frühen Ende, dem Mehrwert und Geheimnis nach, aber es bleibt, was es war: einfach nur gutes, geschmortes Rindfleisch und Champignons in Rotwein. Der halbe Hummer (18 Euro) dann, noch so ein Sehnsuchtsgericht, liegt schön rosé-perlweiß auf, ja, einem Karottenpüree. Neben dem Püree finden sich mehr Karotten, deren Aggregatzustand ist: gedämpft. Das gilt auch für die Stimmung bei Tisch. Karotten, überall. Es gemahnt der orange Brei an die Seniorenresidenz im Rücken, die man bis dato wirklich vergessen hatte. Was soll die Karottenmarotte? Wann hat man je davon gehört, dass ein armer Hummer ausgerechnet mit gelben Rüben so richtig rumknallt? Das tut er nicht. Es ist Hummer, und es sind Karotten plus ein Hauch Ingwer. Beides ist mildsüß, aber eines davon bleibt übrig.

Sicher, die Gerichte sind fein fokussiert und die Zutaten tadellos, aber ein richtiges Olala-Bouquet will sich nicht einstellen, fast als wären die Aromen wie die Tische, einfach ein bisschen zu weit auseinander gestellt worden. Das ist irritierend, denn wie gesagt, der Raum, das Licht, auch die vortrefflichen Waschräume - das ist alles toll durchdacht. Aber auf den kleinen Tellern kommt die Lebensfreude nicht an. Vielleicht braucht die Küche noch ein bisschen Spielpraxis. Wie ein enttäuschtes Kind läuft man dann noch zum Süßigkeiten-Stand und zeigt auf das Teuerste, das Signature-Dessert: Crêpe Colette. Klingt toll, zwölf Euro, merci. Es kommt ein mittelprächtiger Crêpe, aus dem beim ersten Gabeldruck ein braungelber Brei dröppelt. Das ist pürierte Banane, notdürftig verfeinert mit Salzkaramell. Weiche Karotten, weiche Bananen, ja, du lieber Himmel, ist denn Paris die Stadt der Liebe und Mixstäbe? Man schlürft beschämt die Banane und sagte leise "Au revoir!"

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