Süddeutsche Zeitung

Lokaltermin:Cantina Popular

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Auch im Hamburger Schanzenviertel fordert die Gentrifizierung ihren Tribut. Eins der wenigen positiven Beispiele: Die Cantina Popular, die lateinamerikanische Küche vom Feinsten serviert.

Von Stevan Paul

Auch im Hamburger Schanzenviertel fordert die Gentrifizierung ihren Tribut. Gyros-Buden nennen sich nun "Food Bar" und Bäckereien werben mit "Lifestyle-Ambiente". Zum Glück gibt es Gegenbeispiele: Die Cantina Popular ist der Angeberei unverdächtig, serviert dafür aber lateinamerikanische Küche vom Feinsten. Endlich mal eine Aufwertung, die den Namen verdient hat, findet der Autor.

Im nicht mehr ganz so bunten Schanzenviertel, einst Hochburg alternativen Lebens in der sonst eher wertkonservativen Hansestadt, findet die Revolution nur noch am 1. Mai statt, wenn sich traditionell die letzten Autonomen des seit 1989 dauerbesetzten Kulturzentrums Rote Flora mit Wohlstandskindern aus den Elbvororten zusammentun, um gemeinsam die Polizei zu ärgern. Die andere Revolution heißt Gentrifizierung und die läuft das ganze Jahr. Die sogenannte Aufwertung des früheren Lebenskünstlerviertels ist voll im Gange und bescherte den Alteingesessenen neben höheren Mietpreisen und einer Partymeile genau jene Mischung an Markenmode-Filialen und Telefonanbietershops, die schon in der Innenstadt nerven. Der griechische Imbiss heißt jetzt Food Bar und gegenüber vom Traditionscafé Stenzel findet sich eine "Back-Factory" in "modernem Lifestyle-Ambiente".

Über jeden Verdacht des Hipstertums erhaben sind dagegen die Betreiber der neu eröffneten Cantina Popular, eines lateinamerikanischen Lokals: Die Gastgeber Maria Endrich und Alvaro Rodrigo Piña Otey, im Schanzenviertel bereits mit ihrem "Bistro Carmagnole" erfolgreich, haben sich mit dem Unterhaltungskünstler und Autor Heinz Strunk zusammengetan, dessen Beitrag zur Kulinarik sich bisher auf den Bestsellerroman "Fleisch ist mein Gemüse" beschränkte. Mit dabei auch Karl-Heinz Dellwo; der ehemalige RAF-Terrorist ist heute Verleger, Dokumentarfilmer - und jetzt auch Gastronom. Weniger prominent, dafür ungleich interessanter ist die Besetzung der Küche: Küchenchef Cristián Orellanus aus Chile kochte schon mit und für die Hamburger Kitchen Guerilla, er steht jetzt gemeinsam mit Souschef Carlos Ledesma Mosquera aus Peru in der Cantina am Herd. Mosquera wurde jüngst von der peruanischen Regierung zum kulinarischen Botschafter Perus in Deutschland ernannt. Das ist so vielversprechend wie die Cocktails, die wir als Aperitif bestellen: belebend frisch der Las Margaritas mit Zitronen- und Orangenlikör, weißem Tequila, Grapefruit und Soda. Der Chilcano (Pisco, Limettensaft, Amargo Chuncho Bitters und Ginger Ale) ist komplex, dabei aber rund und frisch. Die Drinks begleiten auch die ersten Teller formidabel, zweierlei Ceviche, einmal roh marinierter Rotbarsch in cremiger Leche de Tigre, einer Marinade aus fermentiertem Maisessig und Grapefruit, mit glasierten, cremig gekochten Süßkartoffeln und knusprig geröstetem Mais. Die Ceviche de Lubina überzeugt mit saftigen Würfeln vom roh marinierten Loup de Mer mit roten Zwiebeln, gelber Chili und Koriander. Eben will man das filigrane Wechselspiel von Süße, Säure und Schärfe loben, da wird der Tiradito Nikkei De Salmón serviert - marinierter Biolachs mit Wakame (also Seealgen)-Salat, Enoki-Pilzen und Nikkei-Leche de Tigre, ein Gericht aus der Nikkei-Tradition, der japanisch-peruanischen Fusion-Küche - und so scharf, dass wir nach wenigen Happen schwitzen.

Während wir wieder zu Luft kommen, ist Zeit sich umzusehen: Das schlauchartige Restaurant mit offener Küche war einst Hamburgs erster vegan-vegetarischer Imbiss mit dem lustigen Namen "Hin & Veg!". Bei gedämpften Licht wurden dort so falsche wie fade Currywürste gereicht. Der Raum ist nicht wiederzuerkennen, die Cantina Popular ist licht und freundlich, helle Cremetöne, weiches Holz und feine Stoffe, dazu gerade so viel buntes Mosaik, dass kein Folklore-Vorwurf zu machen ist. Und schon geht es weiter mit in Rotweinessig marinierten Bio-Rinderherzspießchen (Anticuchos de Corazón) zu violetten Kartoffeln und Huancaína-Käse-Sauce. Das blättrig geschnittene Herz am Spieß wurde kurz gegrillt, daher die rauchige Note. Auch die geschmorten Rippchen vom Bio-Schwein sind aromatisch-zart mit karamellisierten Tomaten, Wildkräutern und Chimichurri-Salsa. Ein Höhepunkt sind dazu die gebratenen Locro-Törtchen, eine Reminiszenz an den traditionellen Locro-Eintopf aus der ecuadorianisch-peruanischen Küche, hier als knuspriger Würfel mit cremigem Kern aus Mais und Gemüse.

Auf der Weinkarte finden sich überwiegend naturbelassene Weine, die Beratung durch den Service ist nötig und fundiert. Die Teller (5 bis 12,50 Euro, für diese Mischung aus Tapas und Hochküche durchaus fair, drei kleine Gerichte pro Person werden empfohlen) sind elegant angerichtet, die Portionen übersichtlich. Probieren und Teilen ist Teil des Konzepts. Wir wollen immer weiter essen: Chalaca Aparihuelao - eine große Wildfanggarnele, butterweich geschmorte Pulpostücke und große Miesmuscheln in einer tomatig-chilischarfen Tunke mit fruchtiger Banane - grandios!

So wie die Desserts: Wer das heiße Schokoladenküchlein El Gran Volcán mit flüssiger Maja-Schokolade, knusprigen Kakao-Nibs und cremigem Vanilleeis probiert hat, ist für immer verloren für andere Küchlein ähnlicher Machart. Und die Plátano Flambé ist ein Traum an süßer, geflämmter Banane in duftender Rum-Reduktion mit cremigem Dulce-de-Leche-Eis und Salzflocken. Genial dazu: Cerveza de los Mayas, ein schokoladig-würziges Craft Beer, gebraut von einem Schwaben, der in Honduras eine Mikrobrauerei betreibt. Noch ein Café aus der French Press, ein scharfer Pisco, peruanischer Traubenbrand. Es bleibt die Gewissheit: Wir kommen wieder. Wenn schon Gentrifizierung, dann bitte so - ohne falschen Pomp!

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Quelle:
SZ vom 10.06.2017
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