Lokaltermin:A Cevicheria

Lesezeit: 3 Min.

Wenn eine fischverrückte Stadt wie Lissabon ein neues Lieblingsfischlokal hat, dann muss das wohl etwas Besonders sein. In der Tat!

Von Max Scharnigg

Im Sommer ist es leicht, mit allen Sinnen zu reisen. Durch Lissabon zu spazieren und dabei vielleicht von einem leichten Meerwind hinauf in den kleinen Jardim de S. Pedro getragen zu werden, mit seiner großen Aussicht auf die gewellte Stadt. Beim alten Kiosk dort vielleicht einen kleinen, kalten Kaffee mit Zitronenrinde zu trinken. Dann weiter, die Rua Dom Pedro entlang, noch ein paar Höhenmeter über das unebene, abgetretene Marmormosaik, das sie in dieser Stadt überall so wunderbar großzügig als Fußboden verlegt haben. Klein liegt an der Seite eine Restauranttür, vor der sich die Menschen drängen, es ist eine angesagte Restauranttür.

"A Cevicheria" hat nur ein paar Plätze, reserviert wird nicht, man braucht eben ein bisschen "felicidade" - oder trinkt draußen auf dem Gehweg schon mal Pisco Sour, den hier alle trinken, das Stammgetränk des Lokals. Ein Sommerdrink mit einem eigentümlichen süßherben Geschmack, sehr passend zu alten, bröckelnden Städten am Wasser. Der peruanische Traubenschnaps Pisco wird dabei, gemixt mit Limettensaft und Eiweiß, zu einem eleganten, opaken Getränk, das die Lissabonner aus Champagnerflöten genießen. Der feste Schaum sitzt perfekt und verrät die Präzision des Pisco-Mixers, der hier sein Werk den ganzen Tag in hundertfacher Wiederholung verrichtet.

(Foto: N/A)

Die Plätze an der runden kleinen Bar mitten im Raum sind gar nicht schlecht. Dort bekommt man neben ein paar netten Worten der jungen Crew, die dort arbeitet, gleich noch einen Frontalunterricht in Sachen Ceviche, der sich zu Hause leicht nachmachen lässt. Denn der Arbeitsplatz der nicht kochenden Köche liegt direkt im Raum, dort fliegen Hände, die sich ganz der peruanischen Zubereitungsart verschrieben haben. Zack, zwei Handvoll rohe Fischwürfel in die Schüssel, zack, zack, zack Limettensaft, etwas Rohrzucker, dünnste rote Zwiebeln und ein paar kleine Extras dazu, einmal den Schüsselinhalt durchschütteln - fertig, Teller her! Dieser Vorgang wiederholt sich auf dem weißen Marmor im Minutentakt. Wo das Essen kalt bleibt, reicht eben ein Tisch als Küche. Die Karte listet nur etwa ein Dutzend Gerichte und bevor es zur klassischen Ceviche geht, soll eine Gazpacho probiert werden. Sie wird als Bausatz angetragen, wie es sich derzeit für U-40 Restaurants gehört, aber auch mit einem entwaffnenden Lachen des Kellners: Nur damit man alles einzeln probieren kann. Einzeln liegen da Tapioka-Perlen in einer geheimnisvollen Marinade, auf der Zunge zerplatzen sie als winzige Atlantikpralinen. Dazu kommen rohe, sehr kleine und durchscheinende Garnelen, gefangen direkt vor der heimischen Küste, delikat. Das Ganze aufgegossen mit der kalten Tomatensuppe ergibt ein paar Löffel vollkommenes Sommerglück. Die kalte Süße reifer Tomaten, gesalzen von den kleinen Krebsen, umsprungen von einer Gischt aus Tapioka - ein kleines, großes Gericht.

Obwohl es hier um nichts anderes geht, riecht es in dem winzigen eleganten Ladenlokal nicht nach Fisch, weil frischer Seefisch eben nicht riecht. Und für eine Ceviche muss er superfrisch sein, der Limettensaft denaturiert das Eiweiß in den paar Minuten nur an der Oberfläche. Würde man den Fisch darin eine Nacht kalt stellen, wäre er durchgebeizt. So schmeckt er aber viel besser. Die Würfel von Lachs und Thunfisch haben nicht das kalte Roh von Sushi, nein, Limette, Zucker, Koriander und ein paar Flocken der scharfen Rocoto-Schoten zaubern entscheidend am Geschmack herum. Sie brechen das Rohe, scheuern am Fisch und machen ihn fabelhaft zart. Würfel für Würfel schmeckt man dieser Verwandlung nach, die in Peru angeblich schon seit 2000 Jahren praktiziert wird und zum Nationalerbe gehört. Köstliche Zersetzung, schwereloses Essen!

Leicht und hell schmeckt auch die portugiesische Variante mit Dorsch, den man sonst selten roh serviert bekommt. Als Ceviche zeigt der Fisch allerdings, wie Unrecht man ihm mit der üblichen Verklappung in Bierteig tut: wachsweich zergeht sein Fleisch auf der Zunge und entblättert sich zartnussig und ozeanmild. Ob mit Jakobsmuscheln oder Oktopus, überall an den kleinen Tischen machen die Menschen beim ersten Bissen Achterbahngesichter. So wow! Und nach der ersten Verzückung weiß der Gaumen, dass das hier eigentlich einen Stern verdient hätte, aber die Gerichte sind nun mal alle in zwei Minuten zubereitet und liegen zwischen zehn und zwanzig Euro. Ceviche ist simpel, aber ähnlich wie beim Salat macht das Dressing die Kür. Schnell gerät es zu süß oder sauer, sind die Zwiebeln oder die Chiliflöckchen zu viel, so dass man den Fisch aus diesen Überaromen heraus picken muss. Hier aber ist die Beize so grünfrisch abgeschmeckt, Limettenhauch und Korianderahnung, dass man bis zum letzten Tropfen nicht davon lassen kann.

Die Türen zur Straßen sind jetzt weit offen, Abendsonne flutet den Raum, die gekachelten Fassaden gegenüber sehen auf einmal doch verflixt lateinamerikanisch aus - oder macht das der Pisco? Das Team würfelt weiter rohen Fisch, die Menschen sitzen still vergnügt vor ihren Tellern und lassen sich wieder und wieder die kleine Karte zeigen. Noch mal eintauchen?

© SZ vom 04.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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