Essen & Trinken:Superfood aus alten Zeiten

Bowl of vegan lentil salad with cucumbers, bell peppers and parsley LVF08921

Alles andere als winterlich: Linsensalat ist leicht und gesund.

(Foto: imago images)

Lange galten Linsen bei uns als Arme-Leute-Essen. Seit Kurzem erleben die Hülsenfrüchte einen Boom - nicht zuletzt als gesunde und kalorienarme Alternative zu Fleisch.

Von Titus Arnu

Jedes Land hat seine typischen Frühstückskombinationen: Croissant und Café au lait, Birchermüsli und Ovomaltine, Shakshuka und Orangensaft, Pfannkuchen und Filterkaffee, Semmel und gekochtes Ei. In der Türkei essen viele Leute am Morgen warme Linsensuppe mit Fladenbrot. Wie, Linsen am Morgen? Ja, und gerne auch Linsensuppe zum Mittagessen, als Vorspeise zum Abendessen, als Mitternachtsimbiss oder als Snack zwischendurch. "Linsensuppe ist lecker und sättigend, schnell gemacht, und die Zutaten kosten fast nichts", sagt der türkischstämmige Sternekoch Ali Güngörmüş.

Der Geruch nach Linsensuppe ist für Güngörmüş mit Kindheitserinnerungen verbunden. In seinem Geburtsort Pageou in Ostanatolien, den er im Alter von zehn Jahren in Richtung Deutschland verlassen hat, waren Linsen ein Grundnahrungsmittel: "In unserer Küche gab es immer Reis, Kichererbsen, Tee, eingelegtes Gemüse - und Linsen." Und obwohl er als Kind fast täglich Linsensuppe gelöffelt hat, ist er der Linsen nicht überdrüssig, im Gegenteil. In seinem Münchner Restaurant "Pageou" stehen sie oft auf der Karte, als Salat mit Apfel oder geschmorten Aprikosen und gewürzt mit Koriander und Dill, als Ragout mit Radicchio, in Form von Falafel mit Minzjoghurt, als Beilage zu Fisch und Geflügel - und natürlich auch als mediterran gewürzte Suppe.

Gesunde und kalorienarme Alternative zu Fleisch

In Deutschland kannte man Linsen lange Zeit vor allem als typischen Linseneintopf - ein herrlich deftiges Gericht mit Kartoffeln und Speck, das eher in den Winter passt als in den Sommer. Doch nicht zuletzt weil immer mehr Menschen Alternativen zu Fleisch suchen, sind die Hülsenfrüchte zuletzt immer beliebter geworden, gerne auch in leichten, sommerlichen Gerichten. Linsen enthalten viel Eiweiß, sind reich an Ballaststoffen, B-Vitaminen und Mineralstoffen wie Kalium, Zink und Magnesium, zudem sind sie relativ kalorienarm und enthalten Folsäure. Deshalb werden sie längst als "Superfood" gefeiert - ein Modewort, das der bekennende Linsenfan Ali Güngörmüş nie in den Mund nehmen würde.

Essen & Trinken: Linsenfan seit früher Kindheit: Ali Güngörmüş in seinem Restaurant "Pageou" in München.

Linsenfan seit früher Kindheit: Ali Güngörmüş in seinem Restaurant "Pageou" in München.

(Foto: Catherina Hess)

Der Koch sieht die Hülsenfrüchte lieber als so selbstverständliche wie vielseitige Zutat, sowohl in der Alltagsküche als auch im Spitzenrestaurant. "Das Tolle an Linsen ist, dass man mit starken Aromen arbeiten kann", sagt er, "man kann sie mit Chili, Knoblauch, Koriander und Ingwer würzen, und sie behalten immer noch ihren Charakter." Die Stärke, die vor allem große, weiche Linsensorten enthalten, macht Saucen und Suppen sämig, kleine festkochende Sorten bleiben dagegen knackig genug für Salate. Gekochte Linsen lassen sich zu Nudeln verarbeiten oder als Falafel-Bällchen in Fett ausbacken. Ali Güngörmüş brät manchmal auch Pflanzerl aus gekochten Linsen, von denen er für ein spannenderes Mundgefühl die eine Hälfte ganz lässt und die andere püriert.

Allein Indien lässt 50 verschiedene Linsensorten anbauen

Das vermeintliche Superfood ist vor allem superalt. Die Küchenlinse (Lens culinaris) stammt aus dem Mittelmeerraum und gilt seit Beginn des Ackerbaus als eine der wichtigsten Kulturpflanzen. Schon im alten Ägypten waren Linsen ein Grundnahrungsmittel, aus der levantinischen, indischen und türkischen Küche sind sie nicht wegzudenken.

In Deutschland galten sie lange als Arme-Leute-Essen und gerieten fast in Vergessenheit, bevor sie nach und nach wiederentdeckt wurden. Nun kann man schon fast von einem Boom sprechen. Ungefähr 20 000 Tonnen Linsen werden in Deutschland jedes Jahr importiert, der größte Anteil kommt aus Kanada, der Rest aus der Türkei, aus Spanien, Russland, Südamerika oder Indien, wo allein 50 verschiedene Sorten angebaut werden. In Deutschland gibt es einige winzige, aber sehr gute Anbaugebiete auf der Schwäbischen Alb und in Niederbayern.

Sich die enorme Sortenvielfalt auch zunutze zu machen, ist in Deutschland aber noch nicht selbstverständlich, die Küche von Ali Güngörmüs ist da eher noch die Ausnahme. Der Spitzenkoch schätzt etwa schwarze Belugalinsen für ihre feste Konsistenz und wegen ihres feinen Eigengeschmacks. Er verwendet auch Puy-Linsen aus Frankreich, rote und gelbe Linsen aus der Türkei, die schon geschält sind und nicht unbedingt eingeweicht werden müssen vor dem Kochen. Und für bestimmte Gerichte empfiehlt er einheimische Linsen mit einer ganz besonderen Geschichte: "Alb-Leisa" von der Schwäbischen Alb.

Dort waren Linsen einst weit verbreitet. Das so nahrhafte wie billige Duo "Linsen und Spätzle" gilt immer noch als schwäbisches Nationalgericht. Doch die Hülsenfrüchte verschwanden in den 50er-Jahren fast komplett von den Äckern, um das Jahr 1960 gab der letzte schwäbische Linsenbauer auf. Der mühsame Anbau der winzigen Feldfrüchte rentierte sich für die Landwirte nicht mehr, denn die Linsen aus Asien und Amerika waren viel billiger. Dass die alten deutschen Sorten heute wieder in ausgesuchten Bioläden zu kaufen sind, ist einem engagierten Biobauern aus Lauterach bei Ulm zu verdanken. Woldemar Mammel hat die Alblinsen wiederbelebt und zusammen mit einer engagierten Erzeugergemeinschaft zu einer ebenso edlen wie bodenständigen Marke gemacht.

Die deutsche Alblinse ist in Sicherheit

Mammel begann in den 80er-Jahren, Linsen auf seinem Bauernhof anzubauen, zunächst eine grüne französische Sorte. Nirgendwo konnte er Saatgut für die klassischen Alblinsen finden. 2006 entdeckte ein Bekannter von Mammel in der Wawilow-Genbank in St. Petersburg Saatgut alter Alblinsen, die dort eingelagert waren. Wenige hundert Samen wurden von Mammel und weiteren schwäbischen Biobauern von 2008 bis 2011 in mühevoller Kleinarbeit vermehrt, erst im Gewächshaus, dann unter Hagelschutznetzen und schließlich im Freiland.

Seitdem baut die Lauteracher Erzeugergemeinschaft erfolgreich zwei historische Sorten an, die von der Schwäbischen Alb stammen: "Späths Alblinse I" und "Späths Alblinse II". Die eine ist mittelgroß, hellgrün bis ockerfarben und hat eine leicht mehlige Konsistenz, die andere ist klein, hellgrün bis beige, und hat einen aromatischen, nussigen Geschmack, geeignet besonders für Salate. "Beide Sorten sind festkochend und trotzdem sämig, eine ideale Linse für die Gastronomie", sagt Woldemar Mammel.

Die Alblinse ist eine zierliche Pflanze, sie wird nur etwa 40 Zentimeter hoch und ist je nach Witterung von Juli bis September erntereif. Auf der Schwäbischen Alb wird sie zusammen mit sogenanntem Stützgetreide angebaut, Gerste oder Leindotter, da die empfindlichen Halme bei Starkregen und Wind schnell abknicken. Der Ertrag schwankt stark, das Trocknen und Reinigen der winzigen Linsen erfordert Fingerspitzengefühl und hohen technischen Aufwand. Mittlerweile bauen 100 Biolandwirte wieder Alblinsen an, sie sind in Biosupermärkten, im Internetshop der Erzeugergemeinschaft und in Hofläden erhältlich.

Am Schluss noch zu einem unangenehmen Thema, das auch in einem Gedicht von Heinz Erhard thematisiert wird: "Es gibt Gerüchte, dass Hülsenfrüchte - in Mengen genommen - nicht gut bekommen." Doch der Genuss von Linsen muss nicht automatisch zu einem Blähbauch führen, wenn man ein paar Tricks kennt. Der klassische Linseneintopf schmeckt nicht nur besser, wenn man etwas Essig hinzufügt, er ist auch leichter verdaulich. Die Säure mildert die potenziell explosive Wirkung der Hülsenfrüchte ab.

Den gleichen Effekt haben Ingwer und Chili in einem indischen Linsengericht. Ali Güngörmüş kocht, wie schon seine Mutter, die klassische türkische Linsensuppe mit Zwiebeln, Karotten, Kreuzkümmel und Knoblauch und gibt gerne etwas Zitronensaft und abgeriebene Zitronenschale dazu. Das ist nicht blöd, weil es nicht bläht - und es schmeckt noch dazu hervorragend.

Rezept zu Linsen-Apfelsalat von Ali Güngörmüs

Zutaten: 500 g Beluga- oder kleine Alblinsen (eingeweicht), 1 Bio-Orange, 20 g Ingwer, 2 Lorbeerblätter, 2 Pimentkörner, 1 TL Senfsaat, 1 Gewürznelke, Thymian, 4 Frühlingszwiebeln, 2 Äpfel (Granny Smith oder andere säuerliche Sorte), 2 EL Olivenöl, 100 g Kalbs-Demi-Glace, 50 g Butter, 1 TL Crema di Balsamico, Salz, Pfeffer, Zucker

Zubereitung: Linsen kurz einweichen, abgießen und in frisches kaltes Wasser geben. Orangenschale abreiben. Ingwer, Lorbeer, Piment, Senfsaat, Nelke, Thymian und Orangenschale in einen Gewürzbeutel legen, mit in den Topf geben und alles kochen lassen, bis die Linsen weich sind (etwa 20 Minuten). 2 EL Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und in Ringe geschnittene Frühlingszwiebeln leicht braun werden lassen, salzen. Linsen durch ein Sieb gießen und in eine andere Pfanne geben, Demi-Glace und Butter hinzufügen und etwa 5 Minuten leicht köcheln lassen. Mit Salz, Pfeffer, Crema di Balsamico und Zucker abschmecken. Linsen mit Apfelscheiben und Frühlingszwiebeln anrichten. Ali Güngörmüş empfiehlt geräucherte Entenbrust oder kurz gebratene Hühnerbrust zu seinem Salat.

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