Süddeutsche Zeitung

Lifetsyle:Haste mal 'ne Diode?

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E-Zigaretten sollen heute aussehen wie digitale Gadgets. Mit ihrer Form erinnern sie aber vor allem an die Schlichtheit der alten Zigarette.

Von Max Scharnigg

Das Ding ist nicht zu übersehen. Ein zwei Meter großer Schwangerschaftstest in der Farbe Apple-Weiß, der seit Wochen in der ganzen Stadt plakatiert ist. Nur dass es eben kein Schwangerschaftstest ist, sondern, wie man liest: "Die neue Art, Tabak zu genießen". Der Grund dafür ist die alte Art, Tabak zu genießen, denn die hat Nachwuchsprobleme. Seit einigen Jahren sinken in Deutschland die Raucheranteile in allen Altersgruppen, bei Jugendlichen ist der Trend zum Nichtrauchen am deutlichsten. Ende der 1990er-Jahre rauchten knapp 30 Prozent der 12- bis 17-Jährigen, heute sind es nur noch rund 10 Prozent. Es wächst also eine Generation ohne Zigarette zur werberelevanten Zielgruppe heran und diese Vorstellung peinigt die Tabakindustrie. Der flächendeckend plakatierte Schwangerschaftstest (andere mögliche Assoziationen: Fieberthermometer, Laserpointer) ist deshalb der Versuch der Firma Philip Morris, ihr altes Feld neu zu bestellen. Das Gerät trägt dazu nicht nur alle Insignien des digitalen Zeitalters - winziges LED-Licht, No-Touch-Schalter, Akkubatterie - sondern auch einen angemessenen Retortennamen: iqos.

Weil man ihm seine Funktionsweise nicht ansieht, gibt es eine Bedienungsanleitung auf der Homepage samt Erklärvideo, in dem eine Marlboro-Man-Stimme sagt: "Nehmen Sie den Holder aus dem Pocket-Charger und setzen Sie den Stick mit der Tabakseite nach unten bis zur silbernen Linie in den Holder. Schalten Sie den Holder ein, wenn die grüne LED-Anzeige aufhört zu blinken, können Sie den Tabak genießen."

Probiert haben die neuen Dampfgeräte schon viele, dabeigeblieben sind nur wenige

Das also ist aus der Kippe geworden. Wenn man einen "Tobacco Stick" in den vorgeheizten Holder schiebt, kommt natürlich auch kein Rauch, sondern Dampf, erzeugt durch eine winzige Kochplatte. Wie bei nahezu allen E-Zigaretten zieht sich der Konsument ein Aerosol in die Lunge. Im Falle des iqos mit Philip Morris Tabakgeschmack, in den anderen Fabrikaten verdampfen etwa so viele Geschmacksrichtungen, wie es auch bei Duftkerzen gibt. Ob das richtig oder nur mäßig gesundheitsschädlich ist, darüber sind sich die Experten noch nicht ganz im Klaren. Ziemlich klar hingegen ist: Das Einzige, was beim neuen Dampfen vom alten Rauchen geblieben ist, ist die Handbewegung und eine dezente Nikotinpatina am Gaumen. Die Hoffnung der Industrie aber, dass die Nichtraucher dennoch bald auf Plastikflöten mit Leuchtdioden herumkauen werden und dazu, wie bei den Kaffeekapseln, in schicken Boutiquen teure Tobacco Sticks kaufen, wird sich so schnell nicht erfüllen. Die Statistik dazu ist eindeutig: Probiert haben die neuen Dampfgeräte demnach schon viele, gerade junge Menschen, dauerhaft dabeigeblieben sind nur sehr wenige. Und das liegt nicht zuletzt wohl am Design.

Eine analoge Zigarette war und ist ja ein bestechend einfaches Produkt, auch noch nachdem ab 1934 die Filterzigarette daraus wurde: Tabak, Papier, und davor ein bisschen Celluloseacetat, um das Gewissen zu beruhigen. Ein simpler, formschöner Konsumartikel, Inbegriff der Wegwerfware, den man auch in hundert Jahren gestalterisch nicht infrage hätte stellen müssen. Mit ihrem klaren Nutzwert hat die industriell hergestellte Zigarette jedenfalls bald nach Einführung die komplizierteren Pfeifen und Zigarren zu Nischenprodukten werden und auch das Tabakkauen in Vergessenheit geraten lassen (außer in Schweden).

Sie fällt optisch und physisch nicht ins Gewicht, sitzt im Mundwinkel wie ein kesser Accent-Strich für ihren Menschen. Wer in ihr Sex-Appeal erkennen kann, sieht es wahrscheinlich in dieser Leichtigkeit oder der Dramaturgie, nach der sie in fünf Minuten vom Objekt der Begierde über zarte Rauchkringel zum zertretenen Stummel mutiert. Und natürlich in dem Glutnest, dem Feuer nah an den Augen. Außerdem war die Zigarette immer ein Gleichmacher: Alle rauchten die gleiche Form, alle zahlten das Gleiche, Markenunterschiede musste die Werbung konstruieren - ansehen tut man sie der Zigarette nicht. Da ist kaum Platz für Statussymbolik, nur für etwas Distinktion, also: Filterlos, selbstgedreht oder im Etui?

Die E-Zigaretten der ersten Generation sahen alle aus wie klobige Füllfederhalter

Ohne Feuer, Asche und Rauch an diesen Gefühlsstängel anknüpfen zu wollen, ist nun also eine eher aussichtslose Aufgabe für die Produktdesigner, schon weil E-Zigaretten im Vergleich geradezu grotesk kompliziert sind. Selbst die Einweg-E-Zigaretten, die für ein Dampf-Äquivalent von etwa eineinhalb Schachteln reichen, schnipst man nicht gerne einfach in die Tonne. Auch sonst fehlt den Geräten das Unbeschwerte. E-Zigaretten der ersten Generation sahen allesamt aus wie klobige Füllfederhalter und verliehen ihrem Nutzer eine Konzentration, die so ungefähr das Gegenteil der gedankenlosen Freiheit der Raucher war. Mehr noch: Mit einem solchen Gerät zwischen den Lippen wird der Vorgang vom Nebenbei wieder zur nerdigen Hauptsache oder wirkt zumindest aufwendig, ergo uncool.

Verständlich, dass Firmen nun mit viel Werbeaufwand versuchen, die E-Zigaretten ästhetisch aufzuladen, das Dampfen zu einem futuristischen Vorgang zu verklären, den Raucher zum User und das Gerät selbst zum Statussymbol zu machen. Für den Hersteller Nexvap etwa hat die Design-Agentur Mormedi kürzlich eine E-Zigarette entworfen, die laut Designer "dem bisherigen Mangel an Ästhetik und Bedienerfreundlichkeit ein Ende machen soll": Mit ihrem stromlinienförmigen Aluchassis ist diese "Treasurer Vape" dann zwar noch weit weg von einer Gauloises, wirkt aber immerhin wie ein Zusatzgerät zum Smartphone. Die Gestalter möchten, dass man den Dampfkessel irgendwann so selbstverständlich aus der Jackettasche zieht wie einen Kugelschreiber. Viel wahrscheinlicher ist, dass auch die cleane E-Zigarette bei einem besseren Pfeifen-Status hängen bleibt, ihr also dauerhaft etwas Besonderes anhaftet. Vielleicht sollten die Formgeber also gleich mal in Richtung E-Pfeife weiterdenken.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2017
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