In vielen deutschen Küchen dürfte Kakao vor allem in seiner gezuckerten Variante als Kindermischgetränk zu finden sein, irgendwo im Schrank zwischen Müslibox und Puderzucker. Dunkles Kakaopulver kennen die meisten nur als Backzutat, weshalb es doch überraschend klingt, dass das Lebensmittel mancherorts als neue Modedroge gehandelt wird.
Gemeinsames Kakaotrinken als Ritual, das mag nach einem Nischenphänomen der alternativen Szene klingen. Tatsächlich sind Kakao-Zeremonien aber ein Trend geworden - auch in Deutschland. Sogar in der Fernsehshow "Bachelor" stand angeleitetes Kakao-Schlürfen bereits auf dem Programm, allerdings in einer etwas profaneren Version mit dem Ziel, die Quote nach oben zu treiben.
Ursprünglich kommt das spirituelle Format aus Südamerika, wo die Olmeken und Mayas es vor Jahrhunderten bei ihren Stammesritualen anwandten. Heute fliegen US-Touristen gerne in den Süden, um ihre erste Kakao-Zeremonie in authentischem Umfeld zu erleben. In Guatemala können sie bei Keith Wilson, dem Pionier unter den Zeremonienmeistern, Kakao mit Blick auf den Lago de Atitlán trinken - mit einer neuen Onlinezeremonie will Wilson nun die Corona-Zeit überbrücken.
Die vermeintliche Kraft von Kakao kann man aber auch hierzulande kennenlernen: Leni Glapa, 31, bietet das Ritual auch in Berlin an. "Vor fünf, sechs Jahren habe ich damit angefangen, damals war das noch ungewöhnlich. Jetzt kann man in der Großstadt jedes Wochenende eine Kakao-Zeremonie begehen." Laut Glapa könne das Programm variieren, je nach Neigungen des Leiters. Was es aber garantiert immer gebe: Kakao. Kein Pulver aus dem Supermarkt, sondern einen, der aus den reinen Bohnen der Pflanze bestehe.
Sie werden sehr schonend verarbeitet, damit die wertvollen Inhaltsstoffe nicht verloren gehen. Verwendet werde für die Zeremonie nur die Sorte Criollo, die vom gesamten Kakaoanbau weltweit weniger als fünf Prozent ausmacht. Diesen besonderen Kakao bereitet Leni Glapa als warmes Getränk zu. "Ich mische für ein Ritual etwa ein Kilo davon mit lauwarmer Hafermilch, ein bisschen Zimt und Kokosblütenzucker, manchmal auch etwas Chili. Das Ganze trinke ich gemeinsam mit den Teilnehmern, wobei wir eine Intention für den Abend festlegen und uns bewusst auf das Kommende einlassen. Es gibt im Anschluss meist eine geführte Meditation."
Lachanfälle und Tränen - kann eine Tasse Heißgetränk das wirklich auslösen?
Was man während der Zeremonie fühle, sei durch viele Faktoren bedingt, erzählt Glapa. Bei sensiblen Menschen kämen oft starke Emotionen hoch, begleitet durch Tränen oder Lachanfälle. Manche fühlten sich auch wie verliebt. Wer generell eher skeptisch im Vorfeld einer Zeremonie sei, erlebe eine eher sachte Wirkung in Form von innerer Ruhe und Wärme oder Wachheit. Bei ihr selbst habe Kakao schon viel Tiefliegendes hervorgebracht, so Glapa. Die Berlinerin trinkt jedenfalls jeden Morgen Kakao und meditiert dabei. Eine Zeit lang habe sie jeden Tag geweint. Aber wie viel therapeutische Arbeit kann eine Tasse aufgelöstes Kakaopulver leisten? Und ist das nicht etwas viel Gedöns um ein Getränk?
Medizinische Studien weisen darauf hin, dass Kakao tatsächlich Emotionen und Glücksgefühle entfachen kann. Die Ernährungsberaterin Christine Leicht vom Interdisziplinären Zentrum für Diätetik und Ernährungsmedizin der LMU München bestätigt, dass in der Bohne relevante Wirkstoffe enthalten seien, die sich indirekt auf unsere psychische Verfassung auswirken. In größeren Mengen komme vor allem Theobromin vor, das ähnlich wie Koffein wirke. Theobromin putscht auf, erhellt die Stimmung und regt das Herz-Kreislauf-System an. Zudem weist Christine Leicht auf die Aminosäure Tryptophan hin, die dank der im Kakao enthaltenen Fettsäuren nach dem Trinken gut ins Gehirn gelange. Dort wandelt sie sich in das als "Glückshormon" bekannte Serotonin um. Wegen dieser Reaktionen im Körper findet es die Ernährungsberaterin plausibel, dass Kakao bei Zeremonien für Zufriedenheit sorgen kann.
Ist das bitter-süßliche Getränk aber auch für die intensiven Erfahrungen von Teilnehmern, die Gefühlsausbrüche oder die "Wärme im Herzen" verantwortlich? Wenn ja, dann müsste man Kakao als neue Feelgood-Droge diskutieren. Dazu hat der Lebensmittelchemiker Andreas Dunkel vom Leibniz-Institut an der TU München eine eindeutige Haltung: "Für eine Droge sind die Effekte definitiv nicht stark genug. Bis auf wenige Leute, bei denen es vielleicht zu Überreaktionen kommt, bringt Kakao einen nicht in Ekstase." Trotzdem könne man bei dem Pulver eine größere Wirkung nachweisen als bei anderen Lebensmitteln mit angeblich euphorisierender Wirkung. Bei der Bewertung der Studien sollte man allerdings vorsichtig sein, schließlich gebe es immer auch einen Placeboeffekt.
Leni Glapa kennt die Bedenken skeptischer Wissenschaftler. Für sie kommt es vor allem darauf an, dass die Teilnehmer eine gewisse Offenheit mitbringen. Nur wer sich auf die Zeremonie einlasse, könne überhaupt etwas spüren. Im Grunde könne man sich auch zu Hause mit einer Tasse Rohkakao auf das Sofa setzen und es ausprobieren. Das Entscheidende sei, dass man sich Zeit nehme für das Ritual. Das gilt aber nicht nur beim Kakaotrinken, sondern bei allen Tätigkeiten, die glücklich machen sollen.