Legendäre Chefredakteurin:Die "Vogue" hat ein Wintour-Problem

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Sie gibt die Richtung vor: Vogue-Chefin Anna Wintour bei einer Modenschau 2016. (Foto: AP)

Eine Boulevardzeitung mutmaßt über den baldigen Weggang der allmächtigen Chefredakteurin. Fest steht: Das Modemagazin ist so abhängig von Wintour wie Apple einst von Steve Jobs.

Von Johanna Bruckner, New York

Selbst langjährige Weggefährten fürchten die harten Urteile von Anna Wintour. In den von Kleiderständern gesäumten Fluren der Vogue-Redaktion, mittlerweile im One World Trade Center in Manhattan untergebracht, regiert sie wie eine absolutistische Königin - und das schon seit 1988. Ob es um kostspielige Modestrecken geht oder Kosmetikprodukte, die im Heft besprochen werden - Wintour hat das letzte Wort. Oft spricht sie es aus.

Wie Wintour arbeitet und wie ihre Angestellten unter ihr arbeiten, zeigt eine Dokumentation aus dem Jahr 2007. "The September Issue" heißt sie. Im September erscheint das jeweils prestigeträchtigste Heft des Jahres. 916 Seiten stark und etwa zwei Kilo schwer war die dickste jemals gedruckte Ausgabe. In der Doku kommt Grace Coddington zu Wort, damals Kreativdirektorin der US- Vogue. Sie denkt darüber nach, Wintour für das nächste Heft eine Lederjacke vorzuschlagen. "Sie ist schwarz", wirft eine Mitarbeiterin ein. "Du hast recht", sagt Coddington, "dafür würde ich gefeuert werden".

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Selbst wenn das unwahrscheinlich ist - Wintour und Coddington arbeiten seit 30 Jahren zusammen -, zeigt die kurze Sequenz doch, wie die Szene schon seit drei Jahrzehnten funktioniert: Anna Wintour entscheidet über Karrieren. Von Moderedakteuren, Designern, Fotografen und Models. Hollywood hat ihr vor mehr als zehn Jahren einen Film gewidmet, man kann den Titel leicht als Kritik missverstehen - in Wahrheit drückt er jene angsterfüllte Bewunderung aus, die ihr in der gesamten Branche entgegengebracht wird: "Der Teufel trägt Prada".

Doch wenn es stimmt, was die New York Post am vergangenen Wochenende berichtet hat, steht die zugleich meist respektierte und meist gefürchtete Frau der Modewelt vor dem Aus. Angeblich soll es bereits im Sommer soweit sein - nach dem Redaktionsschluss der berühmten September-Ausgabe.

Wintour ist nicht nur seit drei Jahrzehnten Chefredakteurin des wichtigsten Modemagazins der Welt, sondern seit 2013 auch Artistic Director von Condé Nast. Sie hat Entscheidungsmacht über alle redaktionellen Produkte des Verlags. Dazu gehören Magazine wie Glamour, GQ, The New Yorker, Vanity Fair und Wired. Dass die Ära Wintour irgendwann zu Ende gehen könnte, diesen Gedanken traute sich bislang niemand laut auszusprechen. Nicht Journalisten und schon gar keine direkten Kollegen.

Condé Nast hat den Bericht der New York Post bereits dementiert. "Wir weisen diese Gerüchte mit Nachdruck zurück", sagte ein Verlagssprecher.

Unabhängig davon, ob man geneigt ist, dieser Verlautbarung zu glauben, oder zumindest ein Fünkchen Wahrheit in dem Artikel zu vermuten, die Page Six der New York Post ist berühmt-berüchtigt für ihre Enthüllungsgeschichten. Sie sind zwar oft moralisch fragwürdig, aber meist gut recherchiert. Und die Frage, wie für die Vogue ein Leben nach Anna Wintour aussehen soll, stellt sich durchaus. Die allmächtige Chefin ist 68 Jahre alt.

Manisches Mikromanagement

Selbst wenn sie lediglich beschließen sollte, kürzerzutreten, würde das eine große Lücke reißen. An talentierten Leuten mangelt es dem Magazin zwar nicht, Coddington ist nur ein Beispiel. In der Doku würdigt die für ihre eisige Zurückhaltung bekannte Chefin ihre vielleicht engste Mitarbeiterin sogar als "Genie". Doch trotzdem wurde bislang niemand richtig zur Führungspersönlichkeit ausgebildet - weil schlicht keine Notwendigkeit bestand.

Wintour hat ein Klima des manischen Mikromanagements kultiviert, das langfristig für die Redaktion zum Problem werden könnte. Weil niemand sie ersetzen kann. Wieder eine Szene aus der Doku von 2007: Coddington ist halb belustigt, halb frustriert, weil sie den damaligen Design-Chef Charles Churchward nicht zu einer konkreten Aussage zu den von ihr produzierten Heftseiten bewegen kann. "Er wartet, bis Anna sie gesehen hat, damit er weiß, ob seine Meinung die richtige ist", erklärt sie.

Anna Wintour ist für die Vogue das, was Steve Jobs für Apple war. Sie ist keine Markenbotschafterin, sie ist die Marke. Vielleicht auch deshalb schien Wintour zumindest eine Zeitlang damit zu liebäugeln, ihre eigene Tochter zur Nachfolgerin aufzubauen. Doch über eine Erwähnung als Inspiration für und freie Mitarbeiterin von Teen Vogue ging deren Karriere in der Modeindustrie nie hinaus. Heute arbeitet Bee Shaffer als Fernsehproduzentin. Im Sommer wird sie heiraten - den Sohn der früheren italienischen Vogue-Chefin Franca Sozzani.

Der Modejournalismus steht wie der Rest der Branche vor der Herausforderung, zukunftsfähige Ideen zu entwickeln und Leser zu finden, die bereit sind, für ein Magazin sieben Euro auszugeben. Anna Wintour reagierte darauf. Sie brachte einst Prominente auf die Titelseite des Magazins, um den Kaufanreiz zu erhöhen. Dass Haute Couture und Hollywood heute eine symbiotische Beziehung pflegen, dass Schauspielerinnen und Schauspieler mit Hochglanz-Werbekampagnen für Designerlabels Geld verdienen (und für Fashion-Fauxpas' auf dem roten Teppich kritisiert werden), hat nicht zuletzt mit Wintours Entscheidung zu tun, die Mode für die Unterhaltungsindustrie zu öffnen.

Wer also soll ihr nachfolgen - wenn sie denn irgendwann aufhört?

Die Vogue-Chefin selbst wird sich dazu eher nicht äußern. "Anna Wintour verdankt ihre Berühmtheit nicht nur ihrem Erfolg, sondern auch ihrem ausdrucksstarken Schweigen. Niemand ist besser darin, mysteriös zu erscheinen als sie, mit ihrem Bob, der Sonnenbrille und den dünnen Armen, die sie vor der Brust verschränkt", schrieb 2015 das Magazin The Cut über sie. Die Britin sei "auf spektakuläre Weise kontrolliert, extrem fokussiert" und fühle sich wohl mit der Macht, die sie innehat. Allerdings empfindet sie selbst ihren Einfluss in bestimmten Situationen als gar nicht so groß, etwa im Vergleich zu ihren Geschwistern. Die arbeiteten für Hilfsorganisationen und im politischen Journalismus, erzählt sie in der Doku-Sendung. "Es amüsiert sie, was ich mache", so Wintour - und das sei durchaus verständlich.

Die New York Post hat Edward Enninful als möglichen Nachfolger ins Spiel gebracht. Er ist seit Kurzem Chef der britischen Vogue, der erste Schwarze in dieser Position. Demnächst soll er angeblich Chefredakteur der US-Ausgabe werden. Enninful hat angekündigt, die britische Vogue diverser und politischer machen zu wollen.

Das passt in die Zeit, auch in Amerika - und könnte selbst der gestrengen Chefin gefallen.

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