Lederwaren-Erbe Philipp Bree:Unaufgeregt zum Lieblingsteil

Lederwaren-Erbe Philipp Bree: Philipp Bree ist ein moderner Unternehmer mit flachen Hierarchien: Gearbeitet wird bei ihm zu Hause, alle machen alles.

Philipp Bree ist ein moderner Unternehmer mit flachen Hierarchien: Gearbeitet wird bei ihm zu Hause, alle machen alles.

Als kleiner Junge stand Philipp Bree Modell für die Schulranzen aus dem Taschen-Konzern seines Vaters, jetzt präsentiert er seine erste eigene Kollektion. Sie präsentiert die Firmenphilosophie in Taschenform - und einen Gegenentwurf zum konsumgeilen It-Bag.

Von Michaela Gerganoff

B R E E - wer in Deutschland aufgewachsen ist, kennt diese vier Buchstaben. Man sieht sie in Einkaufspassagen-Shops, Studienrätinnen tragen sie oder auch Abgeordnete der Grünen. Eigentlich aber sind die Handtaschen von Bree geradezu unsichtbar. Seit 40 Jahren trotzen sie in ihrer Unauffälligkeit sämtlichen Trends, was in diesen, von der Handtasche bestimmten Modezeiten fast schon wieder eine Kunst ist.

Tom Ford war in den Neunzigerjahren der Erste, der Models überhaupt mit Handtaschen auf den Laufsteg schickte, womit er handstreichartig die gesamte Modeindustrie sowie die weibliche Psyche veränderte. Plötzlich waren Taschen die Sportwagen der Frauen, über tausend Euro teure, tragbare Angeber-Geräte mit Beschlägen aus Messing, dann wieder Chrom, winzig klein, dann wieder unpraktisch ausufernd, auf neue Begriffe wie "Hobo-Bag" oder "Clutch" gebracht, in glattem, rauen, gesteppten oder gesmokten Leder, mit Schnallen oder Reißverschlüssen. Die Hauptsache? Immer anders als gerade noch. Die Botschaft: Eine reicht nicht, wird nie reichen, dort drinnen steckt nicht nur dein Leben, sondern die Essenz dieses Augenblicks ...

So kam es, dass sich selbst die klügsten Frauen auf den "It-Bag"-Schummel einließen. Und dass heute kaum ein Accessoire unsere Mehr-mehr-mehr-Gesellschaft besser symbolisiert als die Handtasche.

Man kann sagen: Die Firma Bree verfolgte die ganze Zeit über den gegenteiligen Ansatz. Bree steht für das Haltbare, Leise und Uneitle, die Taschen schrien nie: Hoppla, hier komm ich! Sondern eher: Ich bin zwar gerade auf dem Weg zum Soziologieseminar, habe aber Zeit für ein kleines Schwätzchen. Philipp Bree, 41, ist einer von zwei Erben des Unternehmens, das seinen Familiensitz seit der Gründung vor 43 Jahren in Isernhagen bei Hannover hat und heute einen Jahresumsatz von geschätzten 50 Millionen macht (Bree macht dazu keine Angaben). Und dieser Tage erscheint Phillip Brees erste eigene Taschenkollektion.

Herzlich, enthusiastisch und normal wie ein VW-Bus

Hannover, Gleis 7 am Hauptbahnhof, da kommt er schon angelaufen, vorbei an Modegeschäften und Imbissen, jungenhaft und ganz und gar nicht der Erbe eines millionenschweren Lederimperiums, eher genauso normal wie sein Auto, ein silberner VW-Bus: "Mit dem bin ich in den letzten Monaten viel durch Europa gejuckelt, ich bin ein Sammler und Schlepper ..." Jetzt geht die Fahrt zwanzig Minuten durch die City. "Sie waren noch nie in Hannover?" Er schaut und spricht so herzlich und enthusiastisch, als würde da draußen vor dem Fenster gerade Versailles vorbeiziehen, "gucken Sie doch, das sind die schönsten Straßenbahnen der Welt, die sind von Jasper Morrison, da habe ich mal ein Praktikum gemacht ... "

Bree gestikuliert viel mit den Armen, die in einem hellgrauen Cashmere-Pulli stecken, und - was sonst - Lederbesätze an den Ellenbogen haben. Dazu trägt er dunkelblaue Chinos. Bree ist kein szeniger Berlin-Styler und auch kein hanseatischer Herrenreiter, eher der Typ sportlich-lässig, ohne spießig zu sein. Draußen wird's zunehmend grüner, ein Vorort, hübsch bürgerlich. Der Van hält vor einem schmiedeeisernen Tor. Hier lebt und arbeitet Bree in einer Sechzigerjahre-Villa mit moderner Glas-Erweiterung. Und hier entstand auch seine besagte erste eigene Linie, PB 0110 heißt sie.

2011 war er nach Gesprächen mit dem Bruder Axel aus der Geschäftsführung des international operierenden Unternehmens Bree ausgestiegen, das beide nach dem überraschenden Tod ihres Vaters Peter im Jahr 2002 übernommen hatten.

Start-up der anderen Art

Peter Bree war Vertreter für die Design-Möbelmarken Walter Knoll und Läsko gewesen, er hatte sein Unternehmen 1970 gegründet, zusammen mit seiner Ehefrau Renate und einem Startkapital von 10.000 Mark. Sein Prinzip: Er wollte funktionale Taschen aus Naturleder machen - im Unterschied zum industriell chromgegerbten Leder. Heute ist ökologisches Bewusstsein schon wieder ein moderner Ansatz, aber anders als andere, welche die Zeichen der Zeit früh erkannt haben, macht der Sohn heute nicht einmal daraus einen Mythos. Im Haus liegt lediglich ein alter, leinengebundener Bree-Katalog mit Lederecken auf einem Tisch, innen vergilbte Produktfotos. Für den Bree-Schulranzen standen übrigens 1975 die Bree-Jungs Axel und Philipp Modell. "Einen Scout gab's bei uns natürlich nicht. Aber die Bree-Schulranzen waren auch sehr angesagt damals."

Drinnen im Haus geht es sehr familiär zu: Das Wohnzimmer wurde für den Besuch mal eben provisorisch zum Showroom umfunktioniert, das Playmobil-Indianerdorf des siebenjährigen Sohnes und ein Teleskop zum Sternegucken beiseite geschoben. Die zehn Monate alte Tochter krabbelt über die cremeweißen Douglasien-Dielen, während Ehefrau Vivica und Praktikantin Louise eine imposant breite Schiebetür aus hellbeige bespanntem Leder beiseite rollen und Einkäufe entgegennehmen.

Über offen liegenden, weiß lackierten Deckenbalken liegt quer ein dicker Ast, an dem fünf Modelle der Kollektion PB 0110 baumeln. Wie schafft man etwas Eigenes und überträgt dabei trotzdem den sehr diskreten Charme von Bree in die neue Linie, und in die Gegenwart? Man bleibt diskret. Jedes Teil ist pur und minimalistisch, keinerlei Effekthascherei, es dominieren Stücke in rosigem Nude, daneben Grau und Blau.

Bewusst demokratischer Designprozess

Entstanden sind neun Modelle, vom Shopper über Henkel- und Umhängetaschen in je zwei bis drei Farben, für Damen wie für Herren. Drei verschiedene Designer machen die Entwürfe. Für die Damenmodelle zeichnet Ayzit Boston aus München verantwortlich, die vorher auch schon für Bree entworfen hatte. Die zweite Designerin, Christine Ahrens, lebt in London und verantwortet die Männerkollektion, die aus sieben Produkten besteht, inklusive eines Rucksacks. Die Kleinteile wie Portemonnaies, Computer- und iPad-Hüllen entwickelt der Berliner Christian Metzner, der jede Woche für zwei Tage nach Hannover kommt. Neben Leder spielt Materialmix eine große Rolle. Der Ansatz des Ganzen klingt bei Philipp Bree bewusst demokratisch: "Es ist interessant, mit unterschiedlichen Leuten, aber auf einer einheitlichen Materialbasis zusammenzuarbeiten. Und ich schätze es, aus einem Fundament verschiedene Interpretationen zu bekommen."

Wie schon sein Vater legt Philipp Bree Wert darauf, dass das Leder vegetabil ist, also rein natürlich gegerbt. 50.000 Kilometer in vier Monaten ist er auf der Suche nach den richtigen Partnern mit den geeigneten Verarbeitungsmethoden gefahren. Das Leder stammt aus Belgien, die Messing-Beschläge aus Italien.

Auch für die hat sich Philipp Bree überraschende Unterstützung geholt, "da habe ich eine Designerin um Entwürfe gebeten, die nichts mit Taschen zu tun hat, sondern nur Beschläge entwickelt. Wir haben uns für Messing entschieden, weil es am härtesten ist und die beste Metallqualität hat."

Alle machen alles

Das unprätentiöse Image wird bei den Brees, ob nun bewusst oder unbewusst, bis in jeden Winkel gepflegt. Philipp Bree geht zum Holztisch, setzt sich in einen der honiggelben Schalenstühle, die so aussehen, als habe er schon als Kind darin gelümmelt und sein Müsli gelöffelt, derweil machen Ehefrau Vivica und die Praktikantin Spargel, öffnen die große Terrassentür zum sonnigen Garten, in dem der Rasenmäher-Roboter namens Robbie seine Runden dreht. Der Designer kocht fürs Team, die Praktikantin bespielt auch mal den Sohn, die Ehefrau beantwortet E-Mails, und Philipp Bree verschickt Pakete; alle machen alles. "Mein Label ist kein Start-up im üblichen Sinn, da ich das Knowhow mitbringe, aber die Strukturen sind vergleichbar."

Mit anderen Worten: Alles harmonisch, familiär, unaufgeregt modern. Wie kam es denn dann eigentlich, dass er 2011 bei Bree ausgestiegen ist? Dahinter stecken weder ein Familien-Twist noch sonstige Dramen. Zufällig sei er über "Geliebte Objekte" gestolpert - das Buch des Psychoanalytikers Tilmann Habermas, und die Grundthematik habe ihn gefesselt. "Der beschreibt so wunderbar Dinge, die einem ans Herz gewachsen sind, welchen Zweck oder Funktion sie im Laufe des Lebens haben, symbolisch und auch funktional. Das hat mich sofort fasziniert."

Stolz auf ein Nischenprodukt

Er habe im Urlaub angefangen, darüber nachzudenken, wie man aus diesem Grundthema ein Produkt machen könnte. Und dabei immer wieder vor seiner alten Bree-Tasche gesessen, einem cognacbraunen Weekender, den er seit 25 Jahren mitschleppt. Die gehöre zu seinen persönlichen Lieblingsteilen. Und genau das wollte er schaffen: Dinge, die das Potenzial haben, irgendwann Lieblingsteile zu werden. Er ließ sich den Firmentitel "PB 0110" eintragen, PB sind seine Initialen, die Zahl steht für seinen Geburtstag. Und dann, "was für ein toller Zufall", kam der Firmeneintrag vom Handelsregister zurück - datiert auf den 01.10., auch das Gründungsdatum.

Als Zweitmarke könne man so einem Unternehmen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Verbunden bleibe er dem elterlichen Betrieb ohnehin, als Gesellschafter von Bree. Nun genieße er es sehr, sein eigenes Label aufzubauen und dabei noch die Kinder aufwachsen zu sehen.

Die Naturtaschen von PB 0110 - dieser Tage das erste Mal erhältlich - begeistern bereits die Blogger und Moderedakteure. Vergleiche mit Kultmarken wie Céline nimmt Philipp Bree als großes Kompliment. Er weiß, dass er ein Nischenprodukt macht, mit Preisen von 350 bis 1000 Euro. Verkauft wird PB 0110 in Department- und Concept Stores. "Sogar Selfridges in London hat geordert. Darauf sind wir stolz."

Ein Blick auf die Uhr, der Sohn muss von der Schule abgeholt werden; zurück zum Multivan. Ob er Bree jemals untreu wurde, taschenmäßig? Ja, er habe eine große Plastiktasche in Vietnam gekauft, und in Japan eine Ledertasche mit lauten, knarzenden Scharnieren. "Aber das sind Experimente", sagt er und grinst. Vielleicht meint er ja auch: abschreckende Beispiele. Nach zwei Jahrzehnten der Taschen-Aufrüstung ist jedenfalls gerade das sehr angenehm bei ihm: was man nicht sieht oder hört.

Hinweis der Redaktion: Ein Teil der im "SZ am Wochenende" vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.

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