Lebensläufe:Zwischen Dada und Dessau

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Grandes Dames: Die Bauhaus-Fotografinnen Ellen Auerbach (li.) und Grete Stern 1994 in New York. (Foto: Nils Fonstad/Geovision)

Wie zwei junge Fotografinnen zu Ikonen der Werbung wurden: Die Geschichte der Berliner Jüdinnen Grete Stern und Ellen Auerbach, die international Karriere machten.

Von Anne Goebel

"Wir haben für damalige Verhältnisse sündhaft gelebt, mit verschiedenen ,boyfriends'", sagt die Dame im Rollkragenpulli. Pagenkopf, dazu das puristisch weiße Strick-Outfit mit einer geometrischen Brosche: Ellen Auerbach sieht auch mit 92 Jahren exakt so aus, wie man sich eine Bauhaus-Künstlerin vorstellt. Androgyn, selbstbewusst, auf kühle Weise elegant. Und natürlich passt dazu die Erinnerung an ihre Berliner Jugend: Freizügigkeit, auch in sexueller Hinsicht, gehört zum Bild vom Bauhaus als Keimzelle für revolutionäres Denken, Leben und Gestalten.

Als die Jüdin Ellen Auerbach der Zeitschrift Aufbruch in New York 1998 über ihr Leben Auskunft gab, hat sie eine bewegte Existenz als Künstlerin zwischen drei Kontinenten hinter sich. Auf den Porträts im weißen Turtleneck-Pullover, die zu dem Interview erschienen, meint man das zu erkennen: ein eindrucksvolles Gesicht, durchzogen von Falten, mit wachen Augen und einem ironischen Zug um den Mund. Im Jubiläumsjahr 2019 gehört sie zu den Bauhaus-Schülern und vor allem -Schülerinnen, die uns gerade überall als aufregende Wiederentdeckung präsentiert werden. Die Huldigungen all dieser angeblich zu Unrecht vergessenen Design-Genies sind nicht immer berechtigt. Aber in Auerbachs Fall: eindeutig überfällig.

Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Grete Stern eröffnet Auerbach, als Ellen Rosenberg in Karlsruhe geboren, in Berlin 1929 eine Werbeagentur. Die jungen Frauen aus gutem jüdischen Elternhaus, exzentrisch die eine (Stern), zurückhaltend die andere (Rosenberg), fallen damit sogar im Berlin der Zwanzigerjahre auf. Auch wenn Frauen damals in den Metropolen so selbstbestimmt sein konnten wie nie zuvor, von den New Yorker Flapper Girls bis zur Garçonne in Paris: Geschäfte führen meistens Männer. Das Studio "ringl+pit" ist eine Ausnahme. Und die Gründerinnen leben genau nach der neuen Freiheit, die ihnen der Zeitgeist gewährt. Sie tragen die Haare kurz und Seidenstrümpfe, teilen Tisch, Bett, manchmal einen Mann und schreiben ihre Firma in schicken Kleinbuchstaben.

Heute gehören Ellen Auerbach und vor allem Grete Stern zu den wichtigsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Beide lernen den Umgang mit der Kamera erst nach einer Ausbildung in anderen kreativen Bereichen, und wirklich am Bauhaus studiert hat nur Stern (die wiederum ihre Freundin unterrichtete). Aber der Stil von Weimar und Dessau, das Spiel mit Sachlichkeit und Verfremdung prägt jede ihrer Arbeiten. Abgesehen davon entspricht allein die Geschäftsidee eines Reklamestudios - Werbeagenturen waren damals ja nichts Gängiges - dem Gropius-Glaubenssatz von der Einheit zwischen Technik und Kunst, Nutzen und Ästhetik.

Ringl und Pit sind die Kosenamen der Künstlerinnen aus Kindertagen. "Einen Kuss von deiner Ringl", so unterschreibt Grete Stern noch Jahrzehnte später ihre Briefe aus Argentinien an die Gefährtin von einst. Nach der Gründung des Fotoateliers stellen sich ab 1930 schnell erste Erfolge ein, mit dadaistisch angehauchten Werbekampagnen für das Stärkungsmittel Heliocitin oder ein Haarwasser von Pétrole Hahn. Die Tinktur wird auf dem Foto von einer Schaufensterpuppe mit gewelltem Bubikopf präsentiert - wobei die Hand mit dem Fläschchen echt ist. Ein typisch surrealer Streich à la Grete und Ellen, sorgfältig ausgeleuchtet im Studio.

So tickt das Bauhausmädel: "Sie weiß, was sie will, und wird es auch zu etwas bringen"

Europaweite Anerkennung erhält das Duo mit der Reklame für das Haarfärbemittel Komol, die 1933 bei einem Wettbewerb in Brüssel den ersten Preis gewinnt. Eine hübsche Frauenkopf-Silhouette aus Papier hinter einem Drahtgeflecht, auf dem blonde und dunkle Haarlocken arrangiert sind: Sehr künstlerisch, dabei die haptische Beschaffenheit der Materialien abbildend, kurz very Bauhaus.

Das wäre wohl der Startschuss für eine internationale Karriere gewesen, aber die Machtergreifung der Nazis macht sie zunichte. Grete Stern, inzwischen liiert mit dem früheren Bauhausschüler Horacio Coppola, emigriert über London nach Buenos Aires. Ellen Rosenberg wandert nach Palästina aus. "Weil man in einem Land, das Konzentrationslager hat, nicht leben kann", wie sie es einmal formulierte. Später heiratet sie ihren langjährigen Partner Walter Auerbach und geht mit ihm in die USA.

In dem gerade erschienenen Band "Bauhausmädels" (Taschen Verlag), eines der vielen lohnenden Jubiläums-Bücher, macht der Autor Patrick Rössler deutlich: Gerade die Fotografie als junges, experimentelles Medium ermöglichte der "Neuen Frau" jener Zeit einen emanzipierten Blick auf die Welt und auf sich selbst. Davon zeugen etliche Porträts und Selbstporträts von Bauhaus-Fotografinnen wie Florence Henri oder Lucia Moholy.

Auch Stern und Auerbach haben sich in ihrer Berliner Zeit viele Male gegenseitig aufgenommen. In ihrem Fall sind die Bilder auch das Zeugnis einer außergewöhnlichen und bewegenden Künstler-Freundschaft. Grete Stern bringt es in Argentinien zur angesehenen Fotografin für Museen und avantgardistische Magazine. Ellen Auerbach fotografiert intuitiver und wird erfolgreiche Kindertherapeutin. Ihr Leben lang bleiben sie in Kontakt, beide "Bauhausmädels" sterben hochbetagt.

Rössler hat in seinem Buch aufgezeigt, dass der Begriff Mädel erst in der Nazizeit völkisch vereinnahmt wurde. In den Zwischenkriegs-Jahren konnte damit ein harmloses Hascherl gemeint sein - oder eine junge Frau, die ihren eigenen Weg geht. Der "Typ des Bauhausmädels" wird 1930 in einem Text der Zeitschrift Die Woche mit einem Satz umrissen: "Sie weiß, was sie will, und wird es auch zu etwas bringen." Klingt wie eine Kurzbiografie von Ringl und von Pit.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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