Süddeutsche Zeitung

Langzeitexperiment im australischen TV:Ein Mann, ein Jahr, ein Anzug

  • Der australische TV-Moderator Karl Stefanovic trägt in seiner Sendung ein Jahr lang Tag für Tag denselben Anzug.
  • Niemand bemerkt die Eintönigkeit seiner Garderobe - bis Stefanovic die Aktion öffentlich macht.
  • Er wollte damit auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen, dass Frauen viel häufiger wegen ihres Aussehens kritisiert werden.

Kleider machen Leute, aber sie machen auch Leute kaputt. Das ist - etwas zugespitzt - die Erkenntnis, die Karl Stefanovic zu einer ungewöhnlichen Kampagne inspirierte. Der australische TV-Moderator trug ein Jahr lang Tag für Tag denselben Anzug, wenn er auf Sendung war. Das Aufsehenerregende an der Aktion: Stefanovic erregte damit zunächst überhaupt kein Aufsehen.

Nach Ablauf des Jahres machte er seine Zuschauer darauf aufmerksam, dass er stets dasselbe Outfit getragen hatte. "Keiner hat es bemerkt, es kümmert die Leute einen Dreck", sagte Stefanovic dem Medienunternehmen Fairfax Media - zumindest wenn es um ihn gehe oder um all die anderen Männer, die in der Öffentlichkeit stehen. Ganz anders sei das bei Frauen, und genau das wollte der 40-Jährige mit seiner Aktion zeigen: Wie häufig, wie schnell und vor allem wie unzulässig Kolleginnen wegen ihrer Optik in die Kritik geraten. Männer dagegen können ein Jahr lang Dasselbe tragen, ohne dass es jemandem auffällt.

"Ich werde nach meinen Interviews beurteilt, nach meinem schrecklichen Sinn für Humor - im Grunde danach, wie ich meine Arbeit erledige. Frauen dagegen werden ziemlich oft danach beurteilt, was sie tragen oder wie ihr Haar aussieht." Frauen wie Laura Wilkinson, die gemeinsam mit Stefanovic "Today" moderiert, die älteste Morgensendung im australischen Fernsehen.

Wilkinson hatte 2013 in einem Vortrag über die Kritik an ihrem Äußeren gesprochen, mit der sie ständig zu kämpfen habe. Sie zitierte aus dem Brief einer Zuschauerin: "Wer zur Hölle ist Lisas Stylist? Wer auch immer es ist, hat sie in fürchterliche Klamotten gesteckt. Das Outfit von heute ist besonders schrecklich und unstimmig." Der Vortrag brachte Wilkinsons Kollegen auf die Idee mit dem Anzug.

Nachdem er seine Kampagne öffentlich gemacht hatte, diskutierten Stefanovic - im vertrauten blauen Anzug - und Wilkinson - in einem weiß-schwarz-pinken Rollkragenkleid - in ihrer Sendung über den Hintergrund dieser Ungleichbehandlung.

"Ist das wirklich Sexismus?", fragt Stefanovic. Schließlich komme die Kritik an Frauen überwiegend von anderen Frauen. Ja, sagt Wilkinson etwas zögerlich, es seien ganz überwiegend Frauen, die sie kritisierten. "Ich frage mich, wie wir hier gelandet sind."

Dass nicht jeder Mann mit seinem Langzeit-Outfit unbemerkt bleibt, zeigte im vergangenen Jahr Hans-Christian Ströbele. Der Grünen-Politiker trug bei mehreren Auftritten an aufeinanderfolgenden Tagen die gleiche Kombination aus gestreiftem Hemd und rotem Schal, was von den Medien sogleich kommentiert wurde. Nicht nur das Geschlecht des Trägers scheint also eine Rolle zu spielen - sondern auch auf die Auffälligkeit der Kleidung.

Linktipp:

Die SZ-Magazin-Autorin Meike Winnemuth trug ein Jahr lang - ganz ähnlich wie Karl Stefanovic - Tag für Tag dasselbe blaue Kleid. Lesen Sie hier, warum.

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