Interiordesign:Edles Laminat

Lesezeit: 5 min

Interiordesign: Memphis ohne Ende: Blick in das hauseigene Museum von Abet Laminati, wo Fans von Vintage-Design durchdrehen würden vor Glück.

Memphis ohne Ende: Blick in das hauseigene Museum von Abet Laminati, wo Fans von Vintage-Design durchdrehen würden vor Glück.

(Foto: Abet Laminati)

Vom Billig-Image zum schrillen Memphis-Design. Das Material ist mehr als falsches Parkett. Damit lassen sich auch Möbel veredeln. Ein Besuch bei dem italienischen Hersteller, der die Qualität auf die Spitze treibt.

Von Silke Wichert

"Wenn man dort drei Minuten verbracht hat, möchte man sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf schießen." Der Satz stammt von Ernesto Gismondi, Chef der Designfirma Artemide, gesagt nach einem Besuch in Karl Lagerfelds Apartment in Monte Carlo. Der Designer hatte 1981 die halbe Debüt-Kollektion der italienischen Design-Sensation Memphis aufgekauft und sich komplett damit eingerichtet, obwohl diese Gegenstände, nach Gismondis Geschmack, nun wirklich nicht "beieinander stehen" konnten. Viel zu bunt, zu durchgeknallt, jedes für sich ein ästhetisches Feuerwerk. Artemide war damals übrigens Hauptanteilseigner von Memphis.

An dieses Zitat muss man unweigerlich denken, als man im Museum des Laminatherstellers Abet Laminati im italienischen Bra steht. Eine erstaunlich ungeordnete und vollgestellte Ansammlung auf 600 Quadratmetern von unzähligen Memphis- und Ettore-Sottsass-Stücken, dazwischen die Wägelchen von Joe Colombo, Regale von Jean Nouvel, jede Menge schrilles Zeug von Karim Rashid.

Menschen mit einem Faible für Vintage-Design würden hier schier durchdrehen vor Glück. In Retro-Shops und den nostalgischen Untiefen von Instagram feiern bunte, eher kitschige Möbel vor allem die Memphis-Ästhetik schon seit Längerem ein hartnäckiges Comeback. Es gibt eigene Fan-Accounts zu Ettore Sottsass, das Bild von Karl Lagerfeld, wie er sonnenbebrillt und leicht schief nach rechts geneigt in seinem Rausch der Farben posiert, wird ständig irgendwo gepostet. Als das britische Model Cara Delevingne dem Magazin Architectural Digest vor ein paar Jahren ihr Londoner Zuhause zeigte, stand da natürlich auch das ikonische Carlton-Regal von Memphis im Wohnzimmer.

Interiordesign: Joe Colombo entwarf den wahrscheinlich schönsten Stereo-Wagen aller Zeiten, der komplett aus Laminat gefertigt ist. Codiceicona hat ihn wieder aufgelegt.

Joe Colombo entwarf den wahrscheinlich schönsten Stereo-Wagen aller Zeiten, der komplett aus Laminat gefertigt ist. Codiceicona hat ihn wieder aufgelegt.

(Foto: Codiceicona)

Was das alles mit Abet Laminati zu tun hat? Ganz einfach: Ohne die Firma hätte es viele Arbeiten von Ettore Sottsass und des Designkollektivs wahrscheinlich nie gegeben. Erst als der österreichisch-italienische Designer durch einen Mitarbeiter Mitte der Sechziger auf die Firma stieß - so jedenfalls geht die Legende hier - wurde ihm klar, welche Möglichkeiten dieses angeblich so minderwertige Material für sein Design bot.

Natürlich waren die Schichten aus Papier und Harz günstig, dabei allerdings auch widerstandsfähig, vor allem aber waren sie bei Abet in allen erdenklichen, leuchtenden Farben und Mustern zu haben. Der Fantasie schienen keinerlei Grenzen mehr gesetzt. Möbel könnten die schillerndste Optik annehmen und damit doppelt kommunizieren: durch ihre Form wie ihre Oberfläche. Die Einrichtung als poppige Sprechblase gewissermaßen.

Das Billigmaterial Laminat hat bis heute keinen besonders guten Ruf

Die Gruppe Memphis, zu der neben Sottsass auch Matteo Thun, Michele De Lucchi und Barbara Radice gehörten, brachen mit ihrer Ästhetik Anfang der Achtzigerjahre die gängigen Regeln und wurden weltberühmt. Was jedoch unter beziehungsweise in den vielen glänzenden Oberflächen steckte, blieb den meisten verborgen. Der Effekt und das Taktile überstrahlten alles. Obwohl es seit 1989 keine neuen Memphis-Designs mehr gibt, werden die Original-Stücke wegen der großen Nachfrage heute sogar wieder produziert, aber würde man den Kunden sagen, dass sie hier nicht zuletzt Laminat anhimmeln, wären viele wahrscheinlich erst mal irritiert.

Das Material hat bis heute keinen besonders guten Ruf. Es gilt als Billigware schlechthin, am bekanntesten ist es als "Fake Parkett" für alle, die sich keinen echten Holzfußboden leisten können. Dabei kann Laminat noch sehr viel mehr, zumindest wenn es hochwertig gemacht ist, und eines der besten kommt eben aus Bra, eine Autostunde von Turin entfernt.

Interiordesign: Ettore Sottsass Ende der Sechzigerjahre mit seiner damaligen Frau Fernanda Pivano.

Ettore Sottsass Ende der Sechzigerjahre mit seiner damaligen Frau Fernanda Pivano.

(Foto: mauritius images/The History Collection/Alamy)

Der Ort hat 39 000 Einwohner, die Mehrheit davon arbeitet bei Abet oder bei Arpa, einem anderen Hersteller der Branche, der auch hier sitzt. Bra ist also gewissermaßen laminiertes Epizentrum und ähnlich glamourös wie der Ruf des Materials. Dafür produziert allein Abet jedes Jahr 22 Millionen Quadratkilometer und verschickt die dünnen Schichten in die ganze Welt. Fußböden in Holzoptik spielen hier allerdings kaum eine Rolle. Zu den profaneren Einsatzgebieten gehören Tischtennisplatten oder Bowlingbahnen. Die Zukunft dagegen liegt in dickeren Paneelen, die heute schon vermehrt als Außenhaut von Häusern oder als hygienische Wandverkleidung in Kindergärten und Krankenhäusern zum Einsatz kommen.

Interiordesign: Kindergarten mit Laminatverkleidung in Toronto, entworfen vom Designstudio Uoai.

Kindergarten mit Laminatverkleidung in Toronto, entworfen vom Designstudio Uoai.

(Foto: uoai studio)

Die Spezialität von Laminat made in Italy sind weiterhin die dekorativen Oberflächen, die vor allem im Interior-Design verwendet werden. Als Verkleidung von Küchen, Badezimmern, bei der Einrichtung von Yachten und natürlich bei Möbeln, wie sie im hauseigenen Sammelsurium stehen.

Für die Mitarbeiter ist die eigentliche "Hall of Fame" jedoch die Produktion, deshalb kommt kein Besuch in Bra ohne ausführliche Führung durch die riesigen, nach flüssigem Harz riechenden Hallen aus. Dicke Papierrollen werden hier in Phenolharz gebadet, um sie zu imprägnieren, dann wie in einem riesigen Backofen getrocknet und auf Fließbändern mit Luftkissen weitertransportiert. Schließlich werden mehrere solcher Papiere übereinandergelegt und in einer Presse mit gigantischen Zylindern mit einer Dekorplatte verpresst. Der Prozess erfordert immer noch erstaunlich viel Handarbeit, und am Ende, darauf bestehen sie bei Abet, sind es dann eben keine verschiedenen Schichten mehr, sondern ein neues, komplettes Produkt.

Die Italiener stellten als erste Laminat in leuchtenden Farben her

Abet wurde in den Fünfzigerjahren gegründet und war in den Sechzigerjahren einer der ersten Anbieter, der Laminat in starken, leuchtenden Farben produzierte. Noch heute verfügen sie hier über eine der größten Farbpaletten überhaupt: Neon, Marmor, Steinoptik, zartes Apricot, Froschgrün - einmal der ganze Pantonefächer. Eigentlich hätten sie das Angebot in den letzten Jahren mal ein bisschen runterfahren wollen, erzählt ein Mitarbeiter. Aber wann immer sie einen Farbton aus dem Sortiment nehmen wollen, wird genau der wieder nachgefragt, das Lager an vorhandenen Platten ist eine Bibliothek, die locker 20 Meter in die Höhe reicht.

Interiordesign: Glänzende Idee: Stuhl "Pemo" von Arthur Arbesser.

Glänzende Idee: Stuhl "Pemo" von Arthur Arbesser.

(Foto: Henrik Blomqvist)

Stattdessen kommen eher immer mehr Varianten dazu. Einerseits weil durch Digitaldruck heute so gut wie jedes Muster laminiert werden kann. Außerdem weil Abet weiterhin viel mit Künstlern zusammenarbeitet, zuletzt etwa mit dem in Mailand ansässigen österreichischen Modedesigner Arthur Arbesser, der sich mit eindrucksvollen Mustern einen Namen machte.

Genau solche sollte er für die Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile im vergangenen Jahr entwerfen. Mit seinem Laminat in leuchtender Streifen- oder Zickzackoptik ließ er dann, eigentlich nur zu Ausstellungszwecken, Boxen und kleine Stühlchen fertigen. Letztere kamen beim Publikum allerdings so gut an, dass sie mittlerweile tatsächlich in einer Mini-Edition von ihm produziert wurden. Ihre Oberfläche wirkt so edel und glänzend, dass man ständig darüber streichen möchte.

Theoretisch kann sich heute jeder sein individuelles Laminat entwerfen

Auch andere Designer sind immer wieder überrascht, wenn sie das erste Mal mit dem Material in Berührung kommen. Die Engländerin Bethan Laura Wood etwa durfte sich vor Jahren einmal durch den Fundus von Abet wühlen und war daraufhin wie verzaubert von dem "Chamäleon der Oberflächenwelt".

Daraufhin entstand ihre Tischserie "Moon Rock", für die sie gesprenkelte, getigerte und gepunktete Laminate verwendete, als seien es feinste Intarsien. Danach griff sie immer wieder darauf zurück. Bei der italienischen Marke De Rosso gibt es bunt bedruckte Tische und Hocker, die so perfekt als Gartenmöbel verwendet werden können. Und natürlich tobte sich auch schon Maurizio Cattelan mit Abet Laminati aus. Für die Marke Seletti entwarf er vergangenes Jahr unter anderem Tische mit surrealen Digitaldrucken des Fotografen Pierpaolo Ferrari. Die Küche, in der sie präsentiert wurden, war mit Laminat in Spaghetti-Pomodore-Optik verkleidet.

Interiordesign: Tischentwurf von Maurizio Cattelan für Seletti. Durch Digitaldruck ist heute im Grunde jedes Laminatdesign möglich.

Tischentwurf von Maurizio Cattelan für Seletti. Durch Digitaldruck ist heute im Grunde jedes Laminatdesign möglich.

(Foto: Seletti)

Tatsächlich kann sich heute eigentlich jeder seine individuelle Oberfläche zaubern. Eine Datei mit dem gewünschten Bild oder Muster genüge, heißt es bei Abet. Oder man greift für einen Tisch oder in der Küche einfach auf das berühmte "Bacterio" zurück. Das bekannteste Sottsass-Design, das von einem Sitzpolster in einem Milchladen der Fünfzigerjahre inspiriert war, ist noch immer im Sortiment enthalten. Original-Memphis fürs eigene Zuhause.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusWohnen
:Heizungen als Designobjekte

Heiße Teile: Handtuchtrockner hängen wie Kunst an der Wand, Heizkörper stehen dekorativ mitten im Raum. Warum nur?

Lesen Sie mehr zum Thema