Erste Chanel-Show nach Lagerfelds Tod:"Millionen Menschen sind vor uns gestorben - wollen Sie noch Käse?"

Nach dem Tod von Karl Lagerfeld zeigt Chanel die letzte Kollektion, die seine Signatur trägt. Es hätte eine Trauerfeier werden können. Stattdessen wird die Show zum Blick nach vorne.

Von Tanja Rest, Paris

In dem lustigen, größenwahnsinnigen und dann doch auch weisen Interviewbuch "Karl" des Bunte-Journalisten Paul Sahner gibt es eine Szene, in der Karl Lagerfeld auf den Tod zu sprechen kommt. August 2004, die beiden Herren sitzen im Park der Residenz Elhorria hoch über Biarritz beim Dinner. Schwüle Hitze. Der Hausherr trägt Krokostiefel vom Hoflieferanten des Papstes, eine Reiterhose von Hermès, ein Sakko von Dior Homme und den Kragen hochgeschlossen; er trinkt todsicher Cola light. Sahner todsicher nicht. Ein Lagerfeld-Museum dereinst? Entsetzliche Idee, findet Lagerfeld. Er sei seriös, nehme sich aber keinesfalls ernst. "Wenn ich morgen tot umfalle, ist mir das auch egal. Mein Gott, Millionen Menschen sind vor uns gestorben - wollen Sie noch Käse?"

An diese Szene muss man denken, als man am Dienstagmorgen in einem hysterischen Gewühl von Gästen, Glotzern, Kamerateams die Stufen zum Grand Palais hinaufsteigt, jene größte aller Pariser Modebühnen, die Lagerfeld viermal jährlich so ausufernd bespielt hat. Ob er das mit dem Sterben wirklich nonchalant gesehen hat? Er hat ja nicht nur kein Museum gewollt, kein Denkmal und keine Autobiografie ("Ich will den Leuten nicht die Freude machen, dass sie eines Tages in meinen Memoiren lesen, sie hätten in meinem Leben eine Rolle gespielt.").

Viele verdanken ihm seine Karriere

Auch die Beerdigung hat eigentlich nicht stattgefunden, jedenfalls nicht so, wie sich manch einer in der Mode das gewünscht hätte. Bildhübscher Trauerlook von Chanel, perfektes Make-up hinter der Heuchlersonnenbrille, Instagram-Post von den am Grab vertretenen Stars mit Heul-Emoticon: Die Freude hat er ihnen mal nicht gemacht und sich im engsten Kreise einäschern lassen. Andererseits gibt es unter den zur Fashion Week in Paris versammelten Menschen viele, die ihn gekannt, gemocht, mit ihm gearbeitet haben. Die ihm ihr Auskommen verdanken, nicht selten ihre Karriere. Sie müssen irgendwo hin mit ihrer Trauer.

Man mochte in den vergangenen zehn Tagen nicht in der Haut des Chanel-Teams stecken, das nach 36 Jahren diese letzte Show zu inszenieren hatte. Wie ehrt man einen, der zeitlebens beteuert hat, dass um seinen lästigerweise irgendwann bevorstehenden Tod bitteschön kein Aufhebens zu machen sei? Die Kulisse weglassen? Sie schwarz einfärben, die alten Supermodels noch mal laufen lassen, ein Karl-Hologramm ins Grand Palais beamen? So weit die Mutmaßungen am Tag zuvor.

Den Akzent ist er nie losgeworden

Aber die nostalgische Selbstbetrachtung war Lagerfelds Sache nicht, sein Blick blieb immer streng nach vorne auf die nächste Kollektion gerichtet. Weshalb man bei Chanel diesmal in eine winterliche Alpenlandschaft hineinstapft. Verschneite Gipfel auf der Panoramatapete, zu ihrem Fuße Chalets mit rauchenden Schornsteinen, schneebedeckte Fichten, schmiedeeiserne Laternen. Auf dem Boden liegt der Kunstschnee zehn Zentimeter hoch, darunter Schaumstoff für ein authentisches Trittgefühl. Wenn einen nicht alles täuscht, haben sie sogar die Temperatur im Grand Palais um einige Grad heruntergekühlt.

Es ist, mal wieder, atemberaubend. In der Front Row sitzen die Topmodels Claudia Schiffer und Naomi Campbell, die Schauspielerinnen Monica Bellucci, Kristen Stewart, Clémence Poésy und die Sängerin Janelle Monáe. Ein Stück entfernt und in der Menge gut verborgen: die diskreten Chanel-Eigentümer Alain und Gérard Wertheimer. CEO Bruno Pavlovsky lehnt an einem schneebestäubten Geländer und blickt aufgeräumt in die Kulisse. So weit alles wie immer.

Aber eben nicht ganz. Aus dem "Chalet Gardenia" treten jetzt nämlich die Chanel-Mädchen heraus und postieren sich zum Tableau; "une minute de silence", bittet ein Sprecher. Und eine Minute lang hört man in dem gigantischen, mit 3000 Menschen gefüllten Rund keinen einzigen Laut. Hier und da werden Tränen weggeblinzelt, manche tun das niemals Dagewesene und lassen ihre Handys sinken. Dann seine Stimme vom Band, französisch mit deutschem Akzent, den er in fast 70 Jahren Paris nicht losgeworden ist, er spricht über den kreativen Schaffensprozess.

Lagerfeld hat bis zum Schluss an dieser Show gearbeitet, das sagen alle, die ihn näher kannten. So hinfällig er in den letzten Monaten war, das Team sah seinen Tod nicht kommen. In den Chanel-Ateliers, heißt es, herrsche Schockstarre. Die letzte Kollektion, die seine Signatur trägt, beginnt mit einem seiner liebsten Models: Cara Delevingne im bodenlangen Tweedmantel, dazu eine Bouclé-Hose mit Gittermuster und die mehrreihige Perlenkette des Hauses. In einer Zeit, in der die Mode atemlos von Trend zu Trend, von Designer zu Designer hetzt, kann man diesen Look unter allen anderen in Sekundenbruchteilen erkennen. Nur eine Silhouette war berühmter als die von Chanel: seine eigene.

"Was ich noch schaffen möchte, liegt alles noch vor mir"

Es folgen die typischen Kleider mit diesmal alpenländischen Dekor, die trachtigen Pullover, glockigen Wollröcke, mit Lammfell gesäumten Taschen und gefütterten Bergstiefel. Zuletzt kommen, als Schneeprinzessinnen ganz in Weiß, die Schauspielerin Penelope Cruz und die 17-jährige Kaia Gerber, jüngste seiner Musen. Dann ist es vorbei. Im Eingang zum Chalet Gardenia zeigt sich eine Sekunde lang Lagerfelds engste Mitarbeiterin und Nachfolgerin Virginie Viard ganz in Schwarz. Dann singt David Bowie "Heroes", die Chanel-Mädchen laufen Hand in Hand und in Tränen durch den Kunstschnee, 3000 Menschen erheben sich zum letzten Geleit.

Anders als sonst bleibt nach dem Finale der ganze Saal stehen, bis der letzte Akkord verklungen ist. Dann springen sie auf und rennen. Die nächste Show beginnt in 15 Minuten. Was sagte Lagerfeld zu Paul Sahner im Interviewbuch? "Ich bilde mir immer ein, ich hätte überhaupt nichts erreicht. Was ich noch schaffen möchte, liegt alles noch vor mir." Oder, wie er eine Zeichnung überschrieben hat, die auf jedem Platz liegt und ihn an der Seite von Gabrielle Chanel zeigt: "The Beat goes on ..." Es muss immer, immer weitergehen. Noch Käse?

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