Sind Sie noch Stilikone, Anna Wintour?
Es gibt wenige Menschen, die man an ihrem Schatten erkennt: Udo Lindenberg zum Beispiel, oder Otto Waalkes. Man kann sagen, dass man es als Autorität im jeweiligen Genre geschafft hat, wenn es so weit ist. Auch Anna Wintour, die unentthronbare Chefin der amerikanischen Vogue, ist eine solche Scherenschnittikone. Der Haarhelm, eins mit der Sonnenbrille, auf einem Size-Zero-Körper, dazu die Silhouette aus schwingendem Rock und schmaler Mantelform - allen Mode-Hiwis gefriert das Blut schon in den Adern, wenn diese Gestalt noch hundert Meter entfernt ist. Grundsätzlich zeugt es von Charakter, wenn jemand bei seinem Stil bleibt, auch wenn die Mode anderes vorgibt. Andererseits wird diese Britin mit amerikanischer Staatsbürgerschaft ja so angebetet wie die Inkarnation des guten Geschmacks höchstselbst, und das, obwohl es extrem unfein ist, Sonnenbrillen in geschlossenen Räumen nicht abzunehmen. Wir verstehen ja: Wenn man sich das ganze Leben mit Mode befasst und sie dann auch noch selbst anwendet, wird man zwangsläufig verrückt. Und merkt vielleicht nicht mehr, dass dieser Spionage-Ledermantel in Kombination mit Pythonstiefeln, Blumendruck und Strass um den Hals doch sehr nach Witwen-Kaffeekränzchen in Dallas aussieht. Taugt die 68-Jährige, hier auf dem Weg zum Modeempfang in 10 Downing Street, also etwa gar nicht mehr als modischer Kompass? Klar doch: Sie erinnert uns und vor allem ihre Landsleute daran, dass es für den persönlichen Stil gar nicht gut ist, Europa zu verlassen.
Macht man das noch so, Christopher Kane?
Man kann es sich heute kaum vorstellen, aber es gab mal eine Zeit, in der die sogenannte Popkomm-Messe in Köln ein wichtiges Ereignis darstellte. Bands und Kritiker, Fans und Plattenmanager kamen dort zusammen, um die bloße Tatsache zu feiern, dass sich mit dem Verkaufen von CDs noch richtig Geld verdienen ließ. Die Manager der tollen Labels erkannte man damals daran, dass sie Anzüge von Helmut Lang oder Ozwald Boateng trugen und dazu expressive T-Shirts und echte Vintage-Sneakers. Die T-Shirts unter dem Anzugrevers waren die öffentliche Beweisführung dieser Menschen, dass sich in ihrem Job Spaß mit Big Business verbinden ließ. Wie wir heute wissen, war es damit aber bald vorbei, und das lustige T-Shirt unter dem Jackett fand sein gerechtes Ende an Elton und sonstigen Privatsender-Aposteln. Kein Verlust. Nun aber lief der bis dato relativ untadelige britische Designer Christopher Kane mit einem T-Shirt in die Downing Street ein, das aussah, als wäre es dem Merchandise einer asiatischen Metalband entnommen. Und man erinnert sich bei diesem Anblick sofort wieder daran, was bei der Kombination aus auffälligem T-Shirt und Anzug das Problem ist - es mindert beide Kleidungsstücke herab. Und lässt seinen Träger wirken, als hätte er sich in Eile was übergeworfen. Ist das der Eindruck, den ein Modeschöpfer beim Höflichkeitsbesuch bei Theresa May hinterlassen will? Gar politischer Protest? Oder ist diese Kombination tatsächlich immer noch Uniform von Männern, die in Branchen mit Jugendwahn arbeiten?