Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Schicker Strick

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Im Winter bleibt der Frau oft nur die modische Auswahl zwischen Pest und Cholera, während der Mann seinen warmen Schal im Laufe der Saison meist doch noch schätzen lernt. Für beide gibt es dieses Jahr wollene Neuigkeiten.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Pseudo-Pullover

Der Winter schlägt bekanntlich gerne in der Halsgegend zu, weil er weiß, dass seine ganze diabolische Kraft hier sehr effektiv wirken kann. Entweder wird die Frau krank und heiser, oder ihre Nacken-Schulterpartie zieht sich zu einem schmerzhaften Backstein zusammen, den sie für den Rest des Winters herumtragen muss. Die Möglichkeiten der Verteidigung sind limitiert: ein Schal oder ein Rollkragenpullover, auch, weil sich die letztjährigen Teletubbie-Sturmhauben von den Laufstegen im Straßenbild nicht durchsetzen konnten. Bleibt also nur die modische Wahl zwischen Pest und Cholera, denn der Schal sieht ja nur an anderen lässig gebunden aus, an einem selbst aber eben immer nur wie alles zerstörendes langes Ding um den Hals, das für perückenhaftes Abstehen der Frisur sorgt. Der Rolli hingegen ist deswegen ein Risiko, weil er sich in überheizten Kaufhäusern oder Trambahnen nicht mal eben ausziehen lässt. Und Schwitzen im Winter will wirklich niemand. Zum Glück bietet die Stylistin Britta McCay jetzt die Lösung für dieses First-World-Problem und zwar in Form von handgestrickte Halskrausen ihres Labels Balcon Preysing. Sie sehen deswegen so gut aus, weil sie vortäuschen, dass man einen kompletten dicken Pulli im Streifendesign drunter trägt, und zwar nicht nur unter dem Mantel, sondern sogar unter einem Hemd oder einem Blazer - und wie durch ein Wunder ganz ohne Schweißperlen auf der Oberlippe! Das macht die kalte Jahreszeit nicht kürzer. Aber ihr Ertragen ein bisschen würdevoller. Julia Werner

Für ihn: charmanter Charme

Bei allem Lob für Gestricktes muss man auch sagen: Mit dem dicken Wollschal in der Herrengarderobe ist es wie mit modernen Ballettaufführungen - man sträubt sich den halben Winter dagegen, aber wenn man sich darauf einlässt, ist es eigentlich ganz toll. Klassischerweise wird dem Schal von Anzugträgern aber keine allzu große Aufmerksamkeit gewidmet, weder was Design noch die Wicklung angeht. Ist eben weich und braun-schwarz-blau-bartfusselig. Bei Politikern im Außentermin ist der übliche Umgang damit derzeit gut zu beobachten: Man wirft sich das Ding im Hinausgehen irgendwie um den Kropf, so dass etwas zwischen pastoralem Gebetsschal und Kopfverband entsteht. Soll bloß nicht aussehen, als würde man sich ernsthaft Sorgen wegen der Kälte machen! Das leicht nachlässige Verhalten wird diesen Winter aber luxuriös gedeutet und zwar vom Hamburger Stylisten und Modemenschen Jürgen Claussen, der eine Kollektion von Strickschals anbietet, die an bestimmten Orten schon als Statussymbol durchgehen. Mit ihrem Patchwork-Mustern und den absichtlich flatternden Fadenenden, sind diese Gebinde eine Referenz an das, was Oma vor langer Zeit aus Wollresten fabriziert hat. Nur dass sie die Enden sauber gekappt und die Farben nicht ganz so harmodisch zusammengestellt hätte. Allerdings liegt so ein byclaussen-Schal auch jenseits der 300 Euro. Authentizität und "Handmade in Germany" sind eben wertvoll. Wer noch eine Oma hat, die an der Stricknadel hängt, sollte ihr das dankbar zuflüstern. Max Scharnigg

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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