Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Satinische Verse

Glatt und edel: Satin erlebt gerade ein glänzendes Comeback. Zwei aktuelle Beispiele vom roten Teppich.

Satin in Topform: Jennifer Aniston

Vor lauter Aufregung über das Aufeinandertreffen von Brad Pitt und Jennifer Aniston bei den diesjährigen SAG-Awards sind zwei Dinge untergegangen. Erstens: Die beiden sehen sich erschreckend ähnlich. Zweitens: ihr Kleid. Es ist perfekt, denn es ist kein aktueller Entwurf, sondern ein Vintage-Dior-Kleid aus dem Privatbesitz der Schauspielerin. Also keine für Social Media entworfene Robe mit brachialen Showeffekten. Vielmehr geht es hier einzig um den perfekten Bias-Cut, also diagonal geschnittenen Stoff, durch den man Elastizität und eleganten Fall erreicht. Der darin unangefochtene Meister ist bis heute John Galliano, der nix mehr sagt, aber still und leise tolle Kollektionen für Maison Margiela entwirft. Still und leise sind die Stichworte. Denn Satin hat sich längst in unser Leben geschlichen. Selbst in der billigen Polyesterversion wird er als Rock zu dicken Pullis getragen. Und das, obwohl er das Gegenteil von funktional ist. Man verzichtet damit am besten auf Unterwäsche, Unterhautfett, Sitzen und körperliche Aktivitäten, denn Satin verzeiht nichts. Der Stoff der Stunde war er übrigens schon mal in den Neunzigerjahren (aus dieser Zeit stammt wohl auch Jennifers Robe) - damals, weil der Glanz jedem noch so minimalistischen Schnitt Glamour verlieh. Heute steht Satin eher für die Sehnsucht nach einem Gefühl - auch wenn es nur die Gänsehaut ist, wenn er über den Körper rutscht wie ein Stück Seife. Satin schreit nicht: Hier bin ich. Sondern: Ich bin. Er glänzt mit leiser Zartheit. Wir sollten alle ein bisschen mehr Satin sein. Julia Werner

Satin zum Spielen: Noah Schnapp

Das Fasson bezeichnet in der Herrenmode jenen Bereich eines Anzugs, den Kragen und Revers zusammen bilden. Es ist also ein ziemlich wichtiges Element, nicht zuletzt weil es das Konterfei des Trägers einrahmt. Beim Smoking ist das Schalfasson üblicherweise aus schwarzer Seide oder Seidensatin, um das Kleidungsstück noch etwas festlicher wirken zu lassen. Jungschauspieler Noah Schnapp wurde für die Gala der SAG-Awards von seiner Stylistin nun aber in einen Smoking verfrachtet, der statt auf einen schmalen Satinstreifen einfach auf Ganzkörpersatin setzt. Für einen Erwachsenen wäre so ein Anzug eine ziemlich effektheischende Angelegenheit. Schon glänzende Satinbettwäsche wirkt ja bisweilen ein bisschen zu sehr nach Showtreppe. Noah Schnapp aber, bekannt als der allzeit gefühlsbereite Will Byers aus der Netflix-Serie "Stranger Things", ist gerade erst 15 Jahre alt. Einem schmächtigen 15-Jährigen tut man mit einem normalen, dunklen Smoking auch nicht gerade einen Gefallen. Deshalb passt das Hochglanzmodell mit Sonderfarbe in diesem Fall schon ganz gut - es geht irgendwie als frech durch und auch ein bisschen als Pyjamaparty. Wobei der Kummerbund noch mal Rätsel aufgibt, weil er hier ja gegen jede Regel exzentrisch außen gewickelt wurde. Das sieht ein wenig nach Bohnen im Speckmantel aus, oder nach kaschierter Sicherheitslasche für hyperaktive Kids. Aber auch diese Kapriole soll wohl das verrückte Jungsein des Knaben unterstreichen. Wohlan, das ganze Kind halb Fashion und halb Fasching. Max Scharnigg

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SZ vom 25.01.2020
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