Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Neulich bei Lanz...

Die richtige Talkshow-Garderobe zu finden, war schon immer kompliziert, doch wie präsentiert man sich in Krisenzeiten dem deutschen Fernsehpublikum? Zwei bewährte Ansätze im Vergleich.

Pragmatisch gut: Prof. Christiane Woopen

Was für eine Talkshow ein angemessener Look ist, um die Botschaft nicht zu verwässern, war schon immer eine schwierige Frage. Diese brenzlige Angelegenheit ist in Corona-Krisenzeiten noch schwerer zu meistern. Das Outfit soll vorrangig Ernsthaftigkeit unterstreichen, auch nur ein Hauch von Volant an der Bluse könnte nach hinten losgehen. Zumindest in Deutschland, wo man gerne sachlich bleibt, und zwar im Ton und im modischen Ausdruck (in Italien wird man für das genaue Gegenteil ernst genommen). Medizinethikerin Christiane Woopen zeigte nun neulich bei Markus Lanz, wie man das bravourös macht, denn ihre Kleiderwahl signalisierte von Kopf bis Fuß Kompetenz - und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch in Sachen deutscher Befindlichkeiten. Turnschuhe, die mit Street Credibility nichts zu tun haben, sondern ordentlich aussehen. Dazu Mom-Jeans und ein Blazer, dessen Form nicht ansatzweise daran erinnert, dass es modische Silhouetten gibt: So sehen erfolgreiche Frauen in der deutschen Provinz aus, die am Wochenende mit ihren Freundinnen gut gelaunt im Golfclub Radler trinken und sich den Friseur teilen. Der Haarschnitt ist praktisch, wirkt aber trotzdem weiblich, und dann wäre da noch das obligatorische T-Shirt, auf das Frauen in anderen Ländern bei offiziellen Anlässen nie kämen, das aber eine echte deutsche Geheimwaffe ist. Denn was wirkt gerade beruhigender als dieser sportliche Wohlstandspragmatismus? Nichts. Beruhigung ist definitiv die beste Botschaft und deshalb der neue Chic. Julia Werner

Ewige Denkerpose: Richard D. Precht

Man kann sagen, dass die Deutschen ihrem Entertainment- Personal treu verbunden sind. Spaßmacher mit drei gelungenen Sketchen in den Achtzigern, Moderatoren mit schöner Haarfrisur, Wissenschaftler mit volksnahem Auftreten und natürlich "Tatort"-Kommissare - sie alle werden solange sie noch aufrecht sitzen können in Talk- und Quizshows geladen, wo sie dann stets die gleichen Rollen geben müssen. Das ist, gerade in diesen wankenden Zeiten, eine beruhigende Komponente des deutschen Fernsehens. Was nun den Philosophen mit dem patentierten Eigennamen Richard David Precht angeht, so stellt er in diesem Wanderzirkus seit Jahren mustergültig den wohnzimmertauglichen Denker dar und zwar inhaltlich, aber eben auch optisch. Mit seiner athletischen Figur und dem charakteristischen Langhaar würde er auf den ersten Blick ja auch als deutsche Stabhochsprung-Legende (olympische Silbermedaille 1992, oder so) durchgehen. Damit das nicht passiert, setzt Precht gerne auf einen dezidiert unsportlichen, leicht abgewetzten Boho-Look, der oben meist von einem weit geöffneten Hemd und unten von gut eingetragenen Wildleder-Boots begrenzt wird. Das ist spätestens seit dem mittleren Michel Houellebecq das Outfit des urbanen Intellektuellen, dessen Botschaft lautet: Modefragen sind in meinen Sphären natürlich nicht relevant. Aber ich will auch nicht aussehen wie jemand in der Warteschlage für die Baumarktöffnung. Nein, in mir sollen sich für immer Montesquieu und Motorradfahren vereinen. O.k., weitermachen. Max Scharnigg

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SZ vom 18.04.2020
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