Ladies & Gentlemen:Die neue Kragenweite

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Den Hemdkragen über das Revers geklappt? Das erinnert an Disco und Gangsterfilme. Diesen Sommer wird man sich aber neu daran gewöhnen müssen.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Andere Kragenweite

(Foto: N/A)

Interessant wird es in der Mode immer dann, wenn es um feine Details geht, die nicht unbedingt an einem Kleidungsstück liegen, sondern an der Art, wie man es trägt. Solche Paradigmenwechsel sind dazu da, die Otto-Normalverbraucherin zu verwirren, denn meistens bekommt sie davon nichts mit, lacht beim Anblick der modischen Vorreiterin herzlich und verrät damit ihre eigene Provinzialität, von der sie doch dachte, sie erfolgreich abgestreift zu haben. Ein Beispiel dafür ist das fulminante Comeback von in Stiefeln getragenen Hosen - sieht rustikal aus, ist es aber nicht. Meistens kommt so eine Styling-Marotte eben genau aus der Welt derer, die lachen. Genauso wie auch die neueste Fashionkapriole: Ein über der Jacke getragene Hemdkragen. Bisher verorteten wir ihn an deutschen Politikerinnen mit wichtigeren Aufgaben als dem Ausstrahlen von Zeitgeist und gerne in Kombination mit Kurzhaar-Koteletten-Frisuren. Oder an all den jungen Frauen, die eine glückliche Kindheit auf dem Lande verbracht haben und dann plötzlich in einer Banklehre traumatisiert werden. Lifestyle-Journalisten nennen den spitzen, großen, übers Blazer-Revers gelegten Kragen lässig Disco Collar, und in der Tat gibt es keinen passenderen Begriff. Denn wer jetzt mit so einem Ding aufschlägt, muss jede Menge Attitüde mitbringen, oder wenigstens einen Travolta-Tanzflächen-Move antäuschen können. Die Leute gehen ja heute sowieso viel zu wenig tanzen. Die neue Kragenweite ist also eine sinnvolle Erinnerung daran, dass Netflix eben doch nicht das Leben ist. Julia Werner

Für ihn: Neue Öffnungszeiten

(Foto: N/A)

Angesichts eines Hemdkragens der über dem Anzugrevers liegt, ist man schnell geneigt zu rufen: Schlimm, was Tom Jones und John Travolta damals mit der Herrenmode gemacht haben! Schlimm, diese Siebziger Jahre! Aber das ist zu kurz gehopst. Denn tatsächlich gab es die merkwürdige Marotte mit dem Hemdkragen über der Anzugjacke schon viel früher - es finden sich Fotos von Errol Flynn, Clark Gable und Elvis, die schon kurz nach dem Krieg in dieser Manier auftraten. Meist sieht man auf den alten Fotos auch den Grund dafür - damals war der seidene Krawattenschal noch deutlich populärer als heute. Wenn man ein schönes Exemplar trug, knöpfte man dafür das Hemd eben entsprechend weiter auf und schlug den Hemdkragen sozusagen zur Seite. Als in den ausgehenden Sechziger Jahren dann der Sex und dazu vor allem das männliche "Peacocking" erfunden wurden, zeigte man freilich keinen Schal mehr, sondern lieber in voller Breite das nackte Brustbein. Denn damit war man, obschon Anzugträger, erotisch weit entfernt von den white collar workers in den Büros. Disco, Baby! In den vergangenen dreißig Jahren war diese Art der Hemdkragen-Verklappung dann aber wirklich nur noch in Gangsterfilmen zu sehen. Bis, wie das so ist, sich irgendwann ein Designer erinnerte und dem Prinzip "Collar Over Lapel" ein Comeback verordnete - hier zum Beispiel in der Kollektion von Celine. Also, der nächste Sommer wird Disco. Aber nur, wenn nicht noch schnell jemand den Krawattenschal neu entdeckt. Max Scharnigg

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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