Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Die It-Bags, die diesen Sommer keiner trägt

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Wenn nicht flaniert werden darf, dann haben neue Handtaschen auch keinen richtigen Sinn mehr. Zwei Modelle, die uns entgehen.

Für sie: Die Bag zum Hamstern

Es fühlt sich gerade peinlich an, über Mode zu reden. Die meisten Sommertrends sind jetzt schon Rohrkrepierer, denn die Leute, die noch Geld haben, haben keine Anlässe mehr es zu zeigen. Und die, die sich noch vor kurzem für eine Modeliebe verschuldet hätten, merken, dass eine Pleite auch ganz ohne eigenes Zutun möglich ist. Sie führen deshalb jetzt nicht mehr ihre Fashion-Eroberungen, sondern nur noch ihre Sorgenfalten in den Grünanlagen und Parks spazieren - wo, das muss an dieser Stelle betont werden, Handtaschen schon immer etwas dümmlich wirkten. Die Absage an die It-Bag der Saison ist trotzdem ein Jammer. Denn sie ist so fluffig, faltig und rund wie ein perfektes Croissant - und von Herstellern wie Lemaire, Nanushka oder, wie hier, von Bottega Veneta erhältlich (über matchesfashion.com). Die sommerliche Existenz mit diesem unter die Achsel geklemmten XXL-Plunderteil hätte so appetitlich und lebensbejahend werden können! Vielleicht wurden die Designer ja inspiriert von Instagram, wo Influencer feine Croissants bisher ungestraft gerne dazu missbrauchten, neue Armbanduhren in angesagten Hipster-Locations in Szene zu setzen. Die jetzt einsam auf dem rosafarbenen Quarantänesofa der Social-Media-Miezen drapierten Croissant Bags sind traurig, aber wenigstens ehrlich - Mode stillt eben nur dann den Hunger nach Anerkennung, wenn sie raus darf. Deswegen lässt sich die vorzeitig beendete Karriere der It-Bag 2020 nur noch als Appell zum Nachgeben lesen: Jetzt esst die Croissants doch endlich! Echte Butter glättet Sorgenfalten schließlich viel besser als butterweiches Leder. Julia Werner

Für ihn: Nicht systemrelevant

Über hundert Jahre lang war Rimowa ein mustergültiger deutscher Mittelständler. Großvater, Vater und Sohn der Familie Morszeck haben am Rand von Köln jeder für sich die Kofferherstellung revolutioniert. Der erste baute leichte Holzkoffer, der zweite holte sich dafür das Aluminium mit den Stabilisierungsrillen aus dem Flugzeugbau, und der Sohn entwickelte in den Neunzigerjahren schließlich mit Polycarbonat den modernen Hartschalenkoffer und bescherte der Marke und der Branche noch mal einen ganz neuen Hohlkörper-Absatz. Seit gut drei Jahren gehört Rimowa dem französischen Luxuskonzern LVMH, dem das handfeste Kölner Koffermärchen irgendwie zu hausbacken und nicht fashionable genug war. Sie erhöhten die Preise, änderten das Logo, holten einen Creative Director vom Szenemagazin Vice und lancieren nahezu jeden Monat irgendeine PR-lastige Aktion, die vermutlich auf die Brand einzahlen soll, wie man so sagt. Pop-Up-Stores in Los Angeles, limitierte Editionen in Gold und sehr viel Zeitgeistcapricen gibt es jetzt, wie diese Männerhandtasche in Zusammenarbeit mit Dior - eine andere Traditionsmarke, die zum LVMH-Imperium gehört. Was den Charme der alten Aluminiumkoffer ausgemacht hat, nämlich Beulen und Kratzer als Abzeichen einer gewissen Weltläufigkeit, dürfte bei so einem Ding mit einem Preis von knapp 2000 Euro natürlich niemanden mehr interessieren. Aber statt auf Tradition oder neue Technik setzt man jetzt eben auf luxuriösen Tinnef, und der Erfolg gibt dieser Strategie zumindest kurzfristig sogar recht. Dieter Morszeck ist aus dem Unternehmen vor zwei Jahren ausgeschieden. Max Scharnigg

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SZ vom 04.04.2020
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