Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Denkerpose

Dieses Jahr gibt es zwei Nobelpreisträger für Literatur. Aber was zieht man bei Geistesgröße XXL eigentlich an?

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Die Nüchternheit der Literatin

Literatur: offiziell das Gegenteil von Oberflächlichkeit. Weswegen es auf seriösen Buchveranstaltungen ja leider nie so pastellfarben aussieht wie in "Sex and the City", sondern eher mausgrau. Die einzigen Extravaganzen, die sich weibliche Autoren erlauben, sind verwegene asymmetrische Frisuren oder Brillen. Selbst wenn man gerade den Literaturnobelpreis bekommen hat, so wie Olga Tokarczuk. Die Polin trug auf der Frankfurter Buchmesse nichts, was dem modisch sensiblen Auge wehgetan hätte, nämlich ein einfach schwarzes Kleid und eine steingraue Stola. Nur die transparenten Strümpfe in rustikalen Stiefeletten könnte man ihr vorwerfen, allerdings sind die ja auch schon wieder ein Statement: der denkenden Frau müssen solche Details egal sein. Die normale Frau hätte einen kleinen Vorschuss des nicht unbeträchtlichen Preisgelds natürlich sofort in eine Valentino-Boutique getragen, um die Garderobe der Eleganz des neuen Status anzupassen. Allerdings bekommt man mit dieser Einstellung keinen Nobelpreis für Literatur, ja würde es vermutlich nicht mal schaffen, jemals ein Buch zu Ende zu bringen. Denn Schreiben ist ja hauptsächlich wochenlanges Sitzen im Kämmerlein und also nichts für Leute, die gerne in schönen Kleidern flanieren. Schade ist das trotzdem, denn Mode ist auch Kommunikation. Vielleicht hätte die Autorin der lautstarken Debatte um Peter Handkes Preiswürdigkeit in einem kapriziösen Hammerkleid etwas entgegensetzen können. Aber wie gesagt, Schreiben - vor allem das weibliche - ist leider geräuschlos. Julia Werner

Der Künstler als alter Mann

Dass in den letzten Tagen sehr viel über Peter Handke und weit weniger über Olga Tokarczuk gesprochen und geschrieben wurde, liegt neben vielen anderen Gründen vielleicht auch daran, dass Handke ein leicht konsumierbares Bild vom Großschriftsteller abgibt. Schon der Name kommt ja selbst Nichtlesern gut und bedeutsam von den Lippen. Als Handke vor über 50 Jahren in Princeton die Gruppe 47 zerlegte, war er ein Typ mit komischem Haarschnitt und leicht femininer Ausstrahlung, insgesamt eine sehr avantgardistische Erscheinung. Das hat sich heute zu einem nostalgischen Intellektuellen-Look ausgewachsen, einem Nachdenklichen wie aus dem Manufactum-Katalog. Bei seinem jüngsten Ausfall vor Journalisten erklärte er selbst und ungefragt, er komme nun mal von Homer und Cervantes. Na ja, zumindest in seiner Erscheinung kann man Peter Handke eine gewisse künstlerische Zeitlosigkeit attestieren. So wie er sich hier kurz nach der frohen Kunde aus Stockholm präsentierte, würde sich das jedenfalls kein Schmonzetten-Regisseur mehr trauen: mit leicht verlottertem Anzug und T-Shirt-Kragen, die eine Clochard-Rolle jenseits des Bürgerlichen so romantisch unterstreichen. Mit den Wiesenblumen am Revers, als untrüglichem Hinweis auf poetische Superempfindsamkeit und Freude am Einfachen. Und natürlich diese perfekte Bohemebrille! Neben sich hatte er auf einem Tischchen auch noch rotbackige Äpfel liegen. Dem Betrachter war sofort klar: Handke hat jeden dieser Äpfel zuvor mit zarter Inbrunst aufgelesen. Max Scharnigg

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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