Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Bitte obenrum freimachen!

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In diesem Sommer feiert der weite Ausschnitt sein Comeback. Aber Vorsicht: Wer denkt, er könne einfach den alten V-Ausschnitt noch mal aus der Schrankecke holen, kommt damit nicht durch.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Gute Nachrichten aus der Mode: Es wird wieder weiblich! Es wurde aber auch Zeit, die Frau aus den genderneutralen Oversize-Kitteln auszuwickeln. Der Ausschnitt ist endlich wieder da, was auch die Rainer-Brüderle-Fraktion unter den Menschen freuen wird. Aber Vorsicht: Wer denkt, er könne einfach den alten V-Ausschnitt noch mal aus der Schrankecke holen, kommt damit nicht durch. Denn ein viel älteres Ausschnittmodell macht gerade auf Laufstegen und Social-Media-Kanälen Furore: der Square Neck, also der eckige Ausschnitt. Ja, den trugen schon mal die Damen an den Höfen der Renaissance-Zeit, und wie alte Bronzino-Gemälde beweisen, sah das schon immer ziemlich gut aus. Der eckige Ausschnitt richtet den Blick nämlich auf zarte Schlüsselbeine - weswegen Körbchengrößen hier nur eine Nebenrolle spielen - und wird glücklicherweise meistens mit voluminösen Ärmeln kombiniert. Die Frau von heute ist ja total body-, aber gewiss trotzdem nicht oberarm-positiv. Die Gefahr, mit Ärmeln und Kasten-Ausschnitt wie eine bebende Operndarstellerin zu wirken, ist natürlich groß, kann aber lässig minimiert werden, wenn man das Oberteil nicht mit bodenlangen Galaröcken, sondern etwas Alltäglicherem kombiniert (wie hier auf dem Laufsteg von Brock Collection geschehen). Also, bis zu welchem Alter darf eine Frau Derartiges wagen? Das hat uns Bronzino leider verschwiegen: Seine Schönheiten wurden ja nicht alt, hatten also nie mehr Halsfalten als Schlüsselbeine. Also würden wir sagen: solange eine Frau das Ding ausfüllen kann. Mit ihrer Persönlichkeit natürlich. Von Julia Werner

Mit dem weit offenen Hemd ist es ein wenig wie mit dem Rauchen - es ist eine überkommene Pose, ziemlich lächerlich und macht obendrein krank. Aber dann sieht es im richtigen Moment leider irgendwie doch gut aus, und man begreift zumindest, was mal die Idee war. Und wie beim Rauchen gab es auch beim Hemd einen Pionier in der Klasse, der es als Erster bis knapp über den Solarplexus aufknöpfte und damit eine ganz kurze Ewigkeit lang erwachsener war als alle anderen. Seitdem begleitet einen dieser Typ mit dem offenen Hemd. Er steht mit der Gitarre auf der Bühne, er leitet die Off-Theaterbühne oder ist als Investmentbanker zur richtigen Zeit ausgestiegen und schlendert deshalb barfuß über seine eigene Insel. Die klaffende Knopfleiste ist männlicher als die elend tiefen V-Ausschnitte, die T-Shirts vor drei bis vier Sommern unbedingt haben mussten. Das war so eine verspielte Hipster-Erotik, die nicht wirklich gefährlich sein wollte. Ein gutes Herrenhemd aber, das absichtlich weit offen steht, ist immer noch ein Regelverstoß, zumindest in der Stadt. Einfach weil da jemand mutwillig nicht abgeschlossen hat, sich der Grundfunktion der Garderobe widersetzt. Erst so wird es möglich, dass ein eigentlich harmloses Körperteil voyeuristischen Wert bekommt. Wer derart durch die Straßen läuft, gibt nichts auf das bürgerliche Lager, obwohl er dessen Codes kennt. Es ist wie genüsslich über die rote Ampel zu flanieren oder das Cabrio demonstrativ im Parkverbot abzustellen. Toxische Männlichkeit? Vermutlich! Zumindest am Meer, wie hier bei der Show von Jacquemus, diesen Sommer aber wieder erlaubt. Von Max Scharnigg

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SZ vom 30.03.2019
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