Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Augenschutz zum Mundschutz

Welche Sonnenbrillen können diesen Sommer noch retten? Die Laufstege liefern zwei Vorschläge, mit denen man die kommenden Monate überstehen könnte.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Schützende Scheiben

Die Beautyfirmen müssen gerade umdenken, weil niemand mehr Lippenstift braucht. Wird die Maskenpflicht dem sorgsam aufgepinselten Augen-Make-up zu einem Comeback verhelfen? Wahrscheinlich auch nicht, denn das dauert länger als eine Homeschooling-Session mit den Kindern. Und mal ehrlich: So ein Meisterwerk wäre in ein paar Minuten sowieso tränenverschmiert. Was uns zum wichtigsten Accessoire dieses noch jungen Sommers bringt, der Sonnenbrille. Sie war schon immer eine modische Feinheit, mit der eine Frau ruckzuck beweisen konnte, dass ihre Zeitgeist-Antennen richtig ausgerichtet sind. In diesem Jahr ist das umso tröstlicher, weil viele von uns sowieso pleite sind und über neue Kleider oder Schuhe nicht mal mehr nachdenken. Die schmale Matrixbrille, durch die Stars und Sternchen der Social-Media-Welt in den letzten Jahren so gerne blinzelten, stirbt gerade zusammen mit vielen Influencerkarrieren. Oversized-Brillen, wie hier auf dem Laufsteg von Gucci, passen einfach besser, weil der Blick aufs Innenleben ja gerade in Rekordtempo die Außenwirkung ablöst. Stilregel: Je kleiner der Kopf dadurch wirkt, umso besser! Unzählige echte Diven aus der Vergangenheit haben uns vorgemacht, wie man seinen Schmerz glamourös hinter Riesenbrillen verstecken kann. Solange es noch keine getönten Full-Face-Plexiglasmodelle zum Schutz vor UV-Licht und Tröpfcheninfektion gibt, ist der Fliege-Puck-Look also erste Wahl für den Kampf ums Überleben. Bis die Augen wieder strahlen, irgendwann.

Für ihn: Traurige Tropfen

Wie sehr einen diese ganze Sache schwächt, merkt man in den seltsamsten Momenten. Zum Beispiel, wenn man sich ertappt, wie man die neue Single der New Yorker Upperclass-Rockband The Strokes ganz okay findet. Weil sie eben exakt so klingt wie 2005, als man zuletzt ein Strokes-Album in der Hand hatte und die Welt noch so schön abschleckbar war. An Zeiten, in denen alberne Sachen wie Bands und E-Gitarren wichtig waren, erinnerte auch der Celine-Laufsteg mit seinen Mod-Frisuren, schmalen Krawatten und kurzen Blousons - es war die reinste Beatschuppen-Polonaise. Und jeder Look war dabei von einer Aviator-Sonnenbrille gekrönt. Dieser Klassiker mit Gläsern in Tropfenform ist ja noch mal ein bisschen älter als die Strokes und auch als die Stones und gehört schon deshalb grundsätzlich in jedes Handschuhfach (wann wird das eigentlich umbenannt?). Die Brille war in den vergangenen Jahren aber sicher nicht erste Wahl, wenn es um ein zeitgemäßes Antlitz ging und begleitete eher alternde Hollywoodstars auf Golfplätze als Menschen in die Clubs. Der Nachwuchs-Mick-Jagger hier auf dem Bild macht aber klar, warum die Aviator jetzt wieder richtig sein könnte - sie hat eben immer noch Spuren von militärischem Ernst, passt also in Krisenzeiten. Im Zusammenspiel mit rausgewachsener Frisur und schlechter Laune verändert sich die Botschaft aber - dann sieht es immer aus, als möchte man inkognito das Hotel durch den Hintereingang verlassen. Und das möchten wir doch jetzt alle irgendwie, oder?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4898191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.